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Verbesserung der Suizidprävention durch Verbesserung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung

12 September 2025
12. September 2025, (in virtueller Form)

Höhepunkte der Veranstaltung

Am 12. September 2025 fand ein Webinar zum Thema Suizidprävention statt, bei dem Menschen mit gelebten Erfahrungen mit Vertretern aus den Ressorts Gesundheit, Bildung, Sozialfürsorge und Sozialwesen, von nichtstaatlichen Organisationen und aus der Wissenschaft zusammenkamen, um zu erörtern, wie Suizide anhand eines ressortübergreifenden Ansatzes und eines besseren Zugangs zur Versorgung verhindert werden können.

Das Webinar war Teil der Reihe „Genug gewartet: Umgestaltung der psychischen Gesundheitsversorgung“, die im Rahmen des von der Europäischen Union finanzierten Projekts „Bewältigung der Herausforderungen im Bereich der psychischen Gesundheit in den 27 Ländern der Europäischen Union, Island und Norwegen“ stattfindet.

Suizid ist nach wie vor eines der drängendsten, zugleich aber vermeidbaren Probleme im Bereich der öffentlichen Gesundheit in Europa. Trotz eines langfristig gesehenen Rückgangs der Raten sind die Fortschritte ungleichmäßig verteilt und es bestehen nach wie vor Lücken. 

Ledia Lazeri, Regionalbeauftragte für psychische Gesundheit bei WHO/Europa, erklärte: „Suizid ist nach wie vor ein ernstes Problem für die öffentliche Gesundheit. Schätzungen aus dem Jahr 2021 zufolge gibt es in der Europäischen Union pro Jahr mehr als 47 000 Suizidtote. Das sind 47 000 Todesfälle zu viel.“ 

Die Redner betonten, dass die Verfügbarkeit von Leistungsangeboten nicht mit Zugänglichkeit gleichzusetzen ist. Nationale Strategien müssten in lokale Maßnahmen umgesetzt werden und den Einzelnen befähigen. Darüber hinaus warnten sie davor, dass neu auftretende Risiken – einschließlich sozialer Medien und schädlicher Inhalte, die durch Künstliche Intelligenz verstärkt werden – innovative Ansätze erfordern.

Erfahrungen der Länder bei der Suizidprävention

Die Teilnehmer hörten konkrete Beispiele aus ganz Europa. Malta beispielsweise ist dabei, einen suizidspezifischen Plan fertigzustellen, der in die nationale Strategie für psychische Gesundheit eingebettet ist, nachdem umfassende ressortübergreifende Konsultationen stattgefunden haben. In der Erkenntnis, dass psychische Gesundheit eine gemeinsame Verantwortung ist und psychologische, physische, soziale und kulturelle Aspekte aufweist, hat das Land mehrere Ministerien, nichtstaatliche Organisationen, die Polizei, das Bildungswesen, die Medien und sogar die Freizeitindustrie in diesen Prozess mit einbezogen.

Slowenien hat die Suizidprävention in sein nationales Programm für psychische Gesundheit integriert, um sowohl die Behandlungslücke als auch Lücken bei der Suche nach Hilfe zu schließen, indem es entsprechende Leistungsangebote mit Medienrichtlinien und Erste-Hilfe-Maßnahmen für psychische Gesundheit verknüpft.

In Dänemark wurde im Rahmen des neuen Plans zur Suizidprävention ein 35-köpfiger Rat eingerichtet, der praktische Engpässe beseitigen soll – beispielsweise durch die Standardisierung der Nachsorge nach Selbstverletzungen und die Koordination mit Nachrichtenredaktionen – und gleichzeitig Daten auf kommunaler Ebene veröffentlicht, um lokale Maßnahmen und Verantwortlichkeiten zu steuern.

Gelebte Erfahrung im Mittelpunkt des Handelns

Im zweiten Teil des Webinars hatten die Teilnehmer Gelegenheit, Erfahrungsberichte von Menschen mit gelebten Erfahrungen zu hören. 

Živilė Valuckienė, eine Kardiologin aus Litauen, erzählte, wie sie nach einem Versuch, sich das Leben zu nehmen, vor neun Jahren gegen ihren Willen ins Krankenhaus eingeliefert und mit Psychopharmaka behandelt wurde. „Die Nebenwirkungen waren unerträglich, und im Krankenhaus fühlte ich mich durch die psychiatrische Behandlung entmenschlicht, am Boden zerstört und hoffnungslos.“ Einige Tage nach ihrer Entlassung versuchte sie erneut, sich das Leben zu nehmen. 

„Ich habe das Gefühl, dass das psychiatrische System mich nicht als ganze Person wahrgenommen hat, sondern nur als Patientin“, erklärte sie. Živilės Genesung begann, als man sie als Person wahrnahm, und nicht nur ihre Diagnose. 

„Was ich während meiner Genesung am meisten brauchte, war Verständnis, Einfühlungsvermögen und einen sicheren Raum, in dem ich meine Gefühle mitteilen konnte, ohne verurteilt zu werden.“ In ihrer kontinuierlichen Arbeit zur Bekämpfung von Stigmatisierung in Litauen schafft Živilė Räume für offene Gespräche und zeigt, wie ein Kulturwandel zur Prävention führt, indem es sicherer wird, zu sagen: „Ich brauche Hilfe“.

Golli Marboe, ein österreichischer Journalist, hat seinen Sohn durch Suizid verloren. Er sprach darüber, inwiefern Postvention Gemeinschaften schützt, und erinnerte die Teilnehmer daran, dass verantwortungsbewusstes Erzählen und der „Papageno-Effekt“ – die Darstellung von Hoffnung, Heilung und Genesung nach Suizidkrisen in den Medien – helfen können, das Risiko zu verringern. 

Darüber hinaus berichtete Golli über das Projekt „Tage der psychischen Gesundheit in Schulen“, mit dem in ganz Österreich rund 150 000 Schüler erreicht wurden. Er betonte, dass der Erfolg darin liege, dass Schüler, Lehrer und Eltern gemeinsam lernen und anonyme Instrumente nutzen, damit auch leise Stimmen gehört werden. In seiner Botschaft kristallisierte sich ein Kernthema für den Tag heraus: „Postvention ist Prävention“. 

John F. Meehan, Leiter des Nationalen Büros für Suizidprävention in Irland, berichtete, welche proaktiven Ansätze in Irland ergriffen werden, um dieses Thema zu operationalisieren. Dazu zählen eine landesweite Umfrage unter Menschen, die durch Suizid Angehörige verloren haben (die weitreichende, anhaltende Auswirkungen und unzureichende Unterstützung aufzeigt), ein Netz von Verbindungspersonen für Suizidtrauer, die proaktiv Familien zu Hause aufsuchen, sowie Safe Harbour, eine Bilderbuchreihe, die Kindern und Betreuungspersonen hilft, über Verlust durch Suizid zu sprechen.

Insgesamt waren sich die Redner darin einig, dass eine starke nationale, ressortübergreifende Federführung notwendig ist, um gemeinsam mit Menschen, die gelebte Erfahrungen haben, Maßnahmen zu gestalten und die Postvention als Prävention zu behandeln, um proaktive, aufsuchende Anstrengungen zu gewährleisten, damit niemand allein trauert. 

Onie Sandersan von der WHO stellte fest: „Suizid ist so unglaublich vielschichtig, dass er nicht nur einen bestimmten Bereich betrifft. Das Problem muss von vielen unterschiedlichen Ressorts angegangen werden, da wir nur durch ein strategisches, koordiniertes Vorgehen der verschiedenen maßgeblichen Akteure in der Lage sein werden, die Zahl der Suizide zu verringern.“ 

Der WHO-Leitfaden „LIVE LIFE“ wurde als praktische Ressource für die Länder hervorgehoben. Darüber hinaus wurde auf die Abschlusserklärung der im Juni 2025 in Paris abgehaltenen hochrangigen Konferenz der Europäischen Region zum Thema „Psychische Gesundheit in allen Politikbereichen“ verwiesen, die eine präzise Blaupause gemeinsamer Prioritäten und Maßnahmen für die Europäische Region der WHO zur Bewältigung der Herausforderungen im Bereich der psychischen Gesundheit durch ressortübergreifende Zusammenarbeit darstellt.

Veranstaltungshinweis
WHO/Europa veranstaltet ein Webinar zur Erörterung von Strategien zur Suizidprävention mit einem Schwerpunkt auf der Verbesserung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung durch einen ressortübergreifenden Ansatz. 

Suizid ist nach wie vor eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit in der Europäischen Region der WHO und eine der häufigsten Todesursachen bei jungen Menschen im Alter von 15 bis 29 Jahren. Über 120 000 Menschen sterben jedes Jahr durch Suizid – das sind über 300 Suizide pro Tag.

Als Risikofaktoren gelten nicht nur psychische Störungen, sondern auch sozioökonomische und gesundheitsbezogene Probleme wie Einsamkeit, Arbeitslosigkeit, chronische Schmerzen, Missbrauch, Diskriminierung und Notlagen. Stigmatisierung hindert die Betroffenen oft daran, sich rechtzeitig behandeln zu lassen, und obwohl viele Menschen, die daran denken, sich das Leben zu nehmen, sich in ärztliche Behandlung begeben, wird ihre Suizidneigung aufgrund der Fragmentierung der Systeme oft übersehen.

Das Webinar

In dieser Veranstaltung wird hervorgehoben, wie ein verbesserter Zugang zur Gesundheitsversorgung durch einen ressortübergreifenden Ansatz, der Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen sowie Arbeitswelt und Wohnumfeld miteinander verbindet, die Prävention verbessern kann. Konkret sollen untersucht werden:
  1. Ansätze zur Verbesserung des Zugangs zu einer rechtzeitigen Behandlung für gefährdete Personen (mittels Fallstudien aus der Praxis);
  2. Strategien zur Nachsorge (nach einem versuchten oder vollendeten Suizid) aus Sicht der Überlebenden bzw. Hinterbliebenen; und
  3. begünstigende und hemmende Faktoren für die Anwendung solcher Strategien in verschiedenen Umfeldern in der Europäischen Region.
Zu den Vortragenden gehören Vertreter aus dem Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen, von nichtstaatlichen Organisationen und Wissenschaft sowie Menschen mit gelebten Erfahrungen. 

Wenn Sie an dem Webinar teilnehmen möchten, klicken Sie bitte den nachstehenden Link an.

Über die Serie

Diese Veranstaltung ist Teil der von WHO/Europa gestarteten Webinar-Reihe „Genug gewartet: Umgestaltung der psychischen Gesundheitsversorgung“, die im Rahmen des von der Europäischen Union finanzierten Projekts „Bewältigung der Herausforderungen im Bereich der psychischen Gesundheit in den EU-Ländern, Island und Norwegen“ stattfindet. Das Projekt soll die Länder dabei unterstützen, den Zugang zu einer qualitativ hochwertigen psychosozialen Versorgung und zu Präventionsangeboten zu verbessern, und die ressortübergreifende Zusammenarbeit bei der Thematisierung von Suiziden und anderen psychischen Gesundheitsproblemen in der gesamten Europäischen Region fördern.

Dieser Veranstaltungshinweis wurde am 10. September 2025 aktualisiert. In einer früheren Version wurde die Zahl der Suizide pro Jahr in der Europäischen Region der WHO fälschlicherweise mit 150 000 angegeben. Den jüngsten Schätzungen aus dem Jahr 2021 zufolge liegt die Zahl bei 120 000 pro Jahr.