Wenn der litauische Schauspieler Arūnas Sakalauskas auf seine Kindheit zurückblickt, war Alkohol immer präsent, aber nie im positiven Sinne. Sein Vater trank viel, und als Junge lernte er, Alkohol mit Schreien, Scham und Verlust zu verbinden. „Ich habe mir geschworen, nie so zu werden wie mein Vater“, erinnert er sich. Jahrelang hielt er dieses Versprechen.
Aber in Litauen, wie in weiten Teilen Europas, war Alkohol allgegenwärtig. In Kleinstädten fiel man auf, wenn man keinen Alkohol trank. „Wenn du nicht getrunken hast, warst du der Sonderling“, erinnert er sich. Wie viele junge Menschen, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem Alkohol zum gesellschaftlichen Leben gehört, lernte Arūnas schon früh, dass die Ablehnung eines alkoholischen Getränks einen zum Außenseiter machen kann.
Mit Anfang dreißig ging seine Ehe in die Brüche, und die Welt, die er sich aufgebaut hatte, brach zusammen. „Meine Freunde sagten mir, ich solle etwas trinken, das würde gegen den Schmerz helfen“, erzählt er. „Und das dachte ich auch eine Zeit lang.“ Doch was wie ein einfacher Bewältigungsmechanismus aussah, entpuppte sich bald als ein Muster. „Wenn ich anfing zu trinken, konnte ich nicht mehr aufhören. Ich verstand nicht, was da mit mir geschah.“
Umgebungen, die schädlichen Alkoholkonsum begünstigen
Eine Umgebung, die den Alkoholkonsum normalisiert, kann den Eindruck erwecken, dass Alkohol die einfachste Lösung für Trauer, Einsamkeit oder Stress ist. In der gesamten Europäischen Region der WHO ist Alkohol die am weitesten verbreitete und gesellschaftlich akzeptierte psychoaktive Substanz, gleichzeitig aber auch der führende Risikofaktor für Krankheit und vorzeitigen Tod in der Altersgruppe von 15 bis 49 Jahre. Fast 15 Mio. Menschen leben mit einer Alkoholkonsumstörung (AKS), und nur ein kleiner Teil von ihnen wird jemals behandelt.
Wie viele Menschen, die mit AKS zu kämpfen haben, gestand auch Arūnas sich sein Problem jahrelang nicht ein. „Ich dachte, alle anderen wären schuld, nicht ich“, gibt er zu. Er verlor Aufträge, Freunde und sein Selbstwertgefühl. Viele Menschen schweigen aufgrund von Stigmatisierung und gesellschaftlichen Einstellungen. „Die Leute wandten sich von mir ab“, sagt Arūnas. „Ich war wütend, defensiv und habe mich die ganze Zeit selbst belogen. Du glaubst, du hast die Kontrolle, aber das stimmt nicht.“
Es folgten Jahre voller Rückfälle und Krankenhausaufenthalte. 2007 beschloss Arūnas, öffentlich über seine Sucht zu sprechen. „Es gab nichts mehr zu verbergen. Alle wussten es schon, warum also weiter lügen? Ich hatte mehr als zehn Krankenhausaufenthalte hinter mir; es war Zeit zuzugeben, dass ich ein Alkoholproblem hatte.“
Der schwierige Weg zur Genesung
Aber die Überwindung der Abhängigkeit war kein geradliniger Weg. Zwei Jahre später wurde er rückfällig und verursachte einen Autounfall. Zwar wurde niemand verletzt, aber es war doch ein Wendepunkt. „Das war mein Weckruf. Mir wurde klar, dass ich früher sterben würde, als ich sollte, oder jemand anderen mit ins Grab nehmen würde.“
13 nüchterne Jahre später fühlt sich Arūnas geerdet. „Jetzt sehe und höre ich alles deutlich. Ich spreche nur, wenn es nötig ist. Ich bin verantwortungsbewusst geworden.“ Er nimmt immer noch an Sitzungen teil und ist Mentor für andere Entzugswillige. Er erhält Briefe aus Litauen und dem Ausland von Menschen, die ihn um Hilfe bitten. „Es gibt eine Menge Hilfsangebote“, sagt er. „Aber den ersten Schritt musst du selbst machen.“
Er meidet alle Getränke, die ihn an Alkohol erinnern, sogar alkoholfreie Varianten. „Für mich gibt es keinen moderaten Alkoholkonsum, und alkoholfreie Getränke sind nur der erste Schritt zurück auf denselben Weg.“
Veränderungen, die einen Unterschied machen
Arūnas hat einen klaren Rat für all diejenigen, die gerade erst anfangen: „Alkohol steht einer echten Beziehung im Weg. Wenn du betrunken bist, kannst du eine andere Person nicht wirklich kennenlernen, und sie dich auch nicht.“
In ganz Europa scheint Alkohol oft ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens zu sein, von Familienfeiern bis hin zu Veranstaltungen am Arbeitsplatz. Diese Umgebungen können eine Genesung erschweren, vor allem wenn der Verzicht auf Alkohol als Verstoß gegen eine gesellschaftliche Regel empfunden wird. Aber diese Kultur ändert sich langsam. „Zumindest sieht man keinen Alkohol mehr bei der Arbeit“, stellt Arūnas fest. „Die Leute beginnen zu verstehen, wie unangemessen das ist.“
Für Millionen von Menschen in der Europäischen Region sind Alkoholkonsumstörungen nach wie vor eine behandelbare, aber vernachlässigte Erkrankung. Für die Genesung ist nicht nur persönlicher Mut erforderlich, sondern auch ein unterstützendes Umfeld, in dem Menschen urteilsfrei Hilfe suchen können und in dem Nüchternheit nicht in Frage gestellt wird, sondern die Norm ist. Neben den Gesundheitsberufen spielen auch Familie und Freunde eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, jemanden zu ermutigen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber auch während des Rehabilitationsprozesses.
Arūnas bedauert, zu spät erkannt zu haben, was ihm der Alkohol genommen hat: „Jedes Mal, wenn du trinkst, bringst du dich, deine Familie, deine Arbeit, dein Leben in Gefahr. Man kann ohne Alkohol leben, und das Leben ist viel besser so“, sagt er abschließend.
Unterstützung und weitere Informationen finden
Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen, unter den Folgen von Alkoholkonsum leiden, ist es wichtig, sich Hilfe zu suchen. Unterstützung und Beratung finden Sie bei Ihrem Arzt.
Arūnas hat uns seine Geschichte für die Kampagne „Redefine alcohol“ [Neudefinition von Alkohol] erzählt. Diese Kampagne ist Teil des von der WHO und der Europäischen Union gemeinsam durchgeführten Projekts „Evidence into Action Alcohol Project“ [Von Erkenntnissen zu Taten beim Alkoholkonsum] (EVID-ACTION), das von 2022 bis 2026 läuft und darauf abzielt, in 30 Ländern (den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Island, Norwegen und der Ukraine) das Bewusstsein für die durch Alkoholkonsum verursachten Schäden zu schärfen.

