Der Hausarzt ist die erste Person, die die leisen Signale einer Krankheit wahrnimmt und zum Wegweiser auf dem Weg zur Genesung wird. Er oder sie ist für die Behandlung zuständig, unterstützt, tröstet und hilft aber auch, Antworten auf die wichtigsten Gesundheitsfragen zu finden. Es ist mehr als nur ein Fachgebiet – es ist die Fähigkeit, zur richtigen Zeit da zu sein.
Für Oksana Bruiaka, eine Hausärztin aus Bucha (Ukraine), ist Medizin nicht nur ein Beruf, sondern eine Lebenseinstellung. „Ich wollte schon immer mit Menschen arbeiten, ihnen helfen, gesünder zu leben. An der Universität wurde mir klar, dass die Familienmedizin die Zukunft ist. Sie ist der erste Berührungspunkt eines Patienten mit dem medizinischen System, bietet dem Patienten aber auch ständige Unterstützung bis zur Genesung.“
Sie weist darauf hin, dass dies eine große Verantwortung ist. „Man lässt die Patienten nicht allein, man begleitet sie, hilft ihnen, liefert Erläuterungen und betreut sie. Das ist gerade jetzt wichtig, wo sich viele Patienten im Gesundheitssystem nicht mehr zurechtfinden.“
Oksana sagt, dass dies vor allem in der sekundären Versorgung der Fall sein kann. „Sie kommen zu uns zurück, weil es ihnen an Informationen fehlt. Deshalb versuchen die Pflegekräfte und ich immer, einen klaren Weg für weitere Untersuchungen und nächste Schritte aufzuzeigen. Auch nachdem die Diagnose gestellt wurde, verschwinden wir nicht einfach – wir rufen die Patienten immer nach etwa einer Woche zurück, erkundigen uns nach ihrem Befinden und erinnern sie an die Untersuchung oder Konsultation. Das gibt den Menschen das Gefühl, dass man sich um sie kümmert.“
Vorbeugende Untersuchungen
Laut Oksana spielen medizinische Untersuchungen eine wichtige Rolle bei der Prävention und Früherkennung von Krankheiten, obwohl die Patienten ihnen oft skeptisch gegenüberstehen.
„In der primären Gesundheitsversorgung tätige Ärzte konzentrieren sich mehr auf die Prävention, und unsere tägliche Aufgabe besteht darin, die Menschen darüber zu informieren, dass durch die Krankheitsprävention fortgeschrittene Fälle verhindert werden können. Am wichtigsten ist jedoch vielleicht, einen Weg zu finden, um auf Patienten zuzugehen und ihr Vertrauen zurückzugewinnen.“
Sie fügt hinzu: „Die Leute denken oft, dass Vorsorgeuntersuchungen nur eine Laune von uns sind, die keinen Nutzen bringt. Die Patienten fragen: ,Was bewirken diese präventiven Untersuchungen? Wer braucht die schon?’ Aber im Rahmen solcher Untersuchungen können wir schwere Krankheiten entdecken, von denen der Patient nicht einmal eine Ahnung hatte. So messen wir beispielsweise den Blutdruck und den Blutzucker, führen grundlegende Untersuchungen durch und stellen Probleme fest, die sich noch nicht in Form von Symptomen manifestiert haben. Dann kommen die Leute und danken uns, weil sie erkennen, dass Früherkennung eine Chance auf Heilung ist.“
Oksana weist auf die entscheidende Rolle des Vertrauens in diesem Prozess hin – das Vertrauen der Patienten darauf, dass die Gesundheitssysteme ihnen helfen werden, wann immer und wo immer sie entsprechende Hilfe brauchen. „Wenn Patienten sich unterstützt fühlen, können sie weder sich selbst noch den Arzt betrügen. Es entsteht eine gegenseitige Verantwortung und das gemeinsame Ziel, die Krankheit zu heilen.“
Reformierung der Gesundheitsversorgung
In den letzten Jahren hat die Reformierung der Gesundheitsversorgung sowohl für Ärzte als auch für Patienten neue Möglichkeiten eröffnet. „Patienten haben Zugang zum Programm für bezahlbare Arzneimittel“, erklärt Oksana. „Dadurch können sie Medikamente zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes sowie neuerdings auch von neurologischen oder psychischen Störungen erhalten. Viele Medikamente werden vollständig vom Staat bezahlt, und das ist für die Menschen eine große Hilfe.“
Sie erklärt: „Auf der Ebene der primären Versorgung führen wir mehr Untersuchungen durch. Dank tragbarer Ultraschallsensoren, Dermatoskope oder Otoskope können wir zum Beispiel den Zustand eines Patienten direkt bei der Untersuchung diagnostizieren. Das spart Zeit.“
Nach Ansicht von Oksana ist das elektronische Gesundheitssystem ein echter Durchbruch. „Die Daten der Patienten werden jetzt auf einer elektronischen Karte gespeichert. Damit entfällt die Suche nach Krankenakten in Papierform, die Patienten oft zu Hause vergessen. Alle Ergebnisse von Untersuchungen, Tests und Konsultationen sind auf dem Computer verfügbar, und ich kann sie jederzeit einsehen. Das ist sehr praktisch, wenn Sie eine schnelle Entscheidung treffen oder eine Behandlung ändern müssen. Auch Rezepte sind inzwischen elektronisch: Innerhalb von nur einer Minute kann man einem Patienten ein Medikament verschreiben, das er dann telefonisch erhält.“
Fortschritt trotz Krieg
Leider hat der Krieg sowohl für Ärzte als auch für Patienten eine große Herausforderung mit sich gebracht. „Der Krieg hat unsere Arbeit eine Zeit lang unterbrochen. Viele Patienten gingen weg, Ambulanzen wurden zerstört und die Kommunikation mit den Menschen wurde eingestellt. In den ersten Monaten des Krieges konnten wir Gesundheitsfachkräfte uns nur schwer von dem erholen, was wir erlebt hatten. Es war schwierig zu arbeiten, aber wir haben weiterhin unser Bestes für die Patienten getan.“
Oksana fährt fort: „Nach der De-Okkupation von Bucha war die Situation noch komplizierter: Krankheiten waren aufgrund der fehlenden zeitnahen Versorgung fortgeschritten, Patienten benötigten zusätzliche Behandlungen, und wir mussten das System wiederaufbauen.“
Sie glaubt, dass die ukrainische Medizin trotz aller Herausforderungen nicht stillsteht. „In den letzten 5 Jahren hat die Medizin einen großen Schritt nach vorn gemacht. Heute können die Patienten die meisten notwendigen Leistungen auf der Ebene der primären Gesundheitsversorgung erhalten, und ihr Hausarzt ist zu einem echten Freund und Berater geworden. Ich bin zuversichtlich, dass sich unsere Medizin jedes Jahr weiterentwickeln wird und wir als Ärzte neue Fähigkeiten und Technologien beherrschen werden, um den Menschen noch mehr zu helfen.“
Vertrauen aufbauen
Oksana betont den umfassenden Charakter der Familienmedizin. „Wir betrachten alle Körpersysteme, vom Herzen bis zum Magen, von der Haut bis zum Nervensystem. Es ist sehr interessant und äußerst nützlich für die Patienten. Aber das erfordert neue Kenntnisse, und ich versuche immer, meine Fähigkeiten auszubauen: Ich besuche Kurse, lerne neue Techniken und erlerne den Umgang mit der Ausrüstung. Das macht mich zu einer besseren Ärztin, und es bedeutet, dass ich meinen Patienten besser helfen kann.“
Für Oksana besteht die größte Befriedigung in ihrer Arbeit darin, das Vertrauen der Patienten zu gewinnen. „Es gibt Menschen, die zu mir kommen, nachdem sie einen anderen Arzt konsultiert haben, weil sie meine Meinung hören wollen. Das zeigt, wie wichtig es ist, vertrauensvolle Beziehungen zu den Patienten aufzubauen. Mit der Zeit sehen sie uns nicht nur als Ärzte, sondern als Menschen, zu denen sie mit jedem Problem kommen können.“
Diese Geschichte wurde vom WHO-Länderbüro in der Ukraine in Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Gesundheitsministerium und mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union im Rahmen der Partnerschaft für eine allgemeine Gesundheitsversorgung ausgearbeitet.