Seit der Eskalation des Krieges in der Ukraine hat Tschechien über 350 000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Angesichts der großen Zahl von Menschen, die Schutz suchten, stand das Gesundheitssystem des Landes – das bereits durch die COVID-19-Pandemie stark belastet war – vor neuen Herausforderungen, insbesondere bei der Bewältigung von Bedürfnissen mit Bezug zur psychischen Gesundheit. Etwa 45 % der Flüchtlinge litten unter Depressionen, Angstzuständen und Traumata. Die Situation erforderte sofortiges und wirksames Handeln, um sicherzustellen, dass sie die benötigte Unterstützung erhielten – und hier kamen die WHO und nationale Partner ins Spiel.
Brücken für die psychische Gesundheit bauen
Als ein Zustrom von Flüchtlingen die Grenze überquerte, wurde klar, dass das tschechische Gesundheitssystem zusätzliche Kapazitäten benötigte, um sie zu versorgen. Die örtlichen Zentren für psychische Gesundheit (CDZ) taten ihr Bestes, waren aber bald überfordert. WHO/Europa und das WHO-Länderbüro in Tschechien arbeiteten eng mit dem tschechischen Gesundheitsministerium zusammen, um die sich schnell zuspitzende Situation zu entschärfen. Gemeinsam bildeten sie eine Arbeitsgruppe aus 27 Organisationen, darunter CDZ, nichtstaatliche Organisationen, Ministerien und internationale Partner. Was war ihr Ziel? – Herauszufinden, wie man Flüchtlingen so schnell und koordiniert wie möglich leicht zugängliche Angebote der psychischen Gesundheitsversorgung zur Verfügung stellen kann.
Ukrainische Spezialisten schließen sich den Bemühungen an
Der Aufbau von Vertrauen und eine effektive Kommunikation stehen im Mittelpunkt jeder Beziehung zwischen einem Patienten und medizinischem Fachpersonal. Das eine kann jedoch nicht ohne das andere existieren – und dies erwies sich als ein großes Hindernis für die Versorgung.
„Die größte Herausforderung war die Sprachbarriere, daher haben wir die bestehenden Teams um ukrainische Spezialisten erweitert, hauptsächlich Psychologen und Dolmetscher. Das war sehr wichtig, denn ohne sie hätte die Beziehung zwischen Therapeut und Flüchtling überhaupt nicht funktioniert“, sagt Gracián Svačina, Leiter des CDZ-Zentrums in Ostrava.
Dabei ging es nicht nur um die Übersetzung von Wörtern – es ging darum, Unterstützung auf eine Weise anzubieten, die sich sicher und vertraut anfühlte. Im weiteren Verlauf des Programms konnten multidisziplinäre Teams, bestehend u. a. aus Psychiatern, Pflegekräften und Sozialarbeitern, sowohl psychische Betreuung als auch soziale Unterstützung anbieten. Die Arbeit der CDZ ging über die Mauern ihrer Räumlichkeiten hinaus und erstreckte sich auch direkt auf die Gemeinschaften, da die Teams Schulen, Häuser und provisorische Unterkünfte besuchten, in denen Flüchtlinge lebten.
Kontaktaufnahme mit Schulen und Familien
Kinder waren von der Krise besonders betroffen und einer der größten Erfolge des Projekts war die direkte Arbeit in Schulen. Regelmäßige Besuche von Psychologen in Klassenzimmern halfen dabei, Mobbing zu bekämpfen und die Integration ukrainischer Kinder in die Lernumgebung zu erleichtern.
Vor allem Jugendliche hatten aufgrund von Sprachproblemen Schwierigkeiten, sich einzugewöhnen, und einige begannen, die Schule zu schwänzen, um Arbeit zu finden. Die von der WHO unterstützten Teams konzentrierten sich darauf, Jugendliche beschäftigt zu halten, und boten Gruppenaktivitäten wie Kunst und Sport an, bei denen sie mit Gleichaltrigen aus Tschechien interagieren und Freundschaften schließen konnten.
Viele Mütter, die aus der Ukraine geflohen waren, hatten mit emotionalen Problemen zu kämpfen, waren aber so auf ihre Kinder konzentriert, dass sie für sich selbst keine Hilfe in Anspruch genommen hatten. „Sobald wir mit den Kindern zu arbeiten begannen, haben wir oft erkannt, dass auch ihre Mütter Unterstützung brauchten“, erklärte Hana Bolinová, Projektmanagerin für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützungsprojekte bei der Allianz der CDZ.
Nachhaltige Veränderungen bewirken
Das Projekt hat über 7000 Interventionen für ukrainische Flüchtlinge in 7 Regionen Tschechiens ermöglicht, während mehr als 215 000 Flüchtlinge von umfassenderen, von der WHO und Partnerorganisationen unterstützten Angeboten, einschließlich Informationskampagnen, profitiert haben
Die Ergebnisse waren lebensverändernd. So konnten etwa einige Mütter, die kurz davor standen, das Sorgerecht für ihre Kinder zu verlieren, die psychologische Betreuung erhalten, die sie benötigten, um ihre Situation zu stabilisieren und ihre Familie zusammenzuhalten.
Die Einbeziehung ukrainischer Spezialisten war einer der größten Erfolge des Projekts. Viele dieser Fachkräfte haben sich in das tschechische Gesundheitssystem integriert und sind nun feste Mitarbeiter in den CDZ. „Ohne diese ukrainischen Psychologen hätten wir die Chance verpasst, so vielen Menschen zu helfen. Sie waren wirklich Lebensretter“, bemerkt Hana.
Gemeinsam nach vorn
Auch wenn das Programm sehr erfolgreich war, bestehen nach wie vor Herausforderungen. Das tschechische System für die psychische Gesundheitsversorgung hat noch immer mit Kapazitätsproblemen zu kämpfen, insbesondere bei der psychiatrischen Versorgung, und die Nachfrage nach entsprechenden Leistungen steigt weiter an. Die WHO und ihre Partner konzentrieren sich darauf, gemeindenahe Dienste auszubauen und neue Wege zu finden, um gefährdete Gruppen zu erreichen, so etwa Jugendliche, die besonders gefährdet sind.
Mit Blick auf die Zukunft planen die WHO und lokale Organisationen, auf dem von ihnen geschaffenen Fundament weiter aufzubauen und sicherzustellen, dass Flüchtlinge die Unterstützung erhalten, die sie benötigen – jetzt und in Zukunft.
Wie Gracian sagt: „Wir haben gesehen, wie gut dieses System funktionieren kann, und jetzt geht es darum sicherzustellen, dass wir den Fortschritt aufrechterhalten, um zu gewährleisten, dass jeder, der uns braucht, ermutigt wird, entsprechende Leistungen in Anspruch zu nehmen.“
Hintergrund
Als Reaktion auf die zahlreichen, von Konflikten bis zu Naturkatastrophen reichenden Krisen, die zur Unterbrechung von Gesundheitsleistungen in der gesamten Europäischen Region geführt haben, hat WHO/Europa schnell gehandelt, um psychische und psychosoziale Unterstützung (MHPSS) für Flüchtlinge wie auch die lokalen Gesundheitssysteme zu mobilisieren und zu koordinieren. In der Ukraine hat WHO/Europa eine Schlüsselrolle bei der Koordination von MHPSS-Maßnahmen und der Verbesserung der psychischen Gesundheitsversorgung gespielt. In Armenien, Bulgarien, Israel, Polen, der Republik Moldau, Rumänien, der Slowakei, Tschechien, der Türkei, der Ukraine und Ungarn hat die Organisation 16 MHPSS-Experten bereitgestellt, über 700 humanitäre Helfer unterstützt und mehr als 2500 Gesundheitshelfer im Hinblick auf ihre Fähigkeiten im Bereich MHPSS geschult.