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Gewährleistung der politischen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an Entscheidungsprozessen im Gesundheitswesen

Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen (IDPD), der jedes Jahr am 3.12. begangen wird, ist ein Tag der Vereinten Nationen, der Rechte, Gesundheit und Wohlergehen von Menschen mit Behinderungen auf allen Ebenen der Gesellschaft fördern soll.

2 December 2024

In diesem Jahr steht der Tag unter dem Motto „Stärkung der Führungsrolle von Menschen mit Behinderungen für eine integrative und nachhaltige Zukunft“. Dies bietet Gelegenheit, die Arbeit in der gesamten Region hervorzuheben, die darauf abzielt, Menschen mit Behinderungen die Übernahme von Führungspositionen, die politische Teilhabe und die Beteiligung an Entscheidungsprozessen zu erleichtern und sie zu diesen Tätigkeiten zu ermutigen – insbesondere dort, wo dies Auswirkungen auf die Gesundheitssysteme und die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen hat.

WHO/Europa sprach mit drei Frauen – die alle selbst mit Behinderungen leben – darüber, wie ihre Rollen und die Mission der Organisationen, für die sie arbeiten, zur Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in die politische Entscheidungsfindung beitragen.

Vorurteile und Barrieren

Elena Ratoi aus Chisinau (Republik Moldau) begann ihre Karriere im Bereich Gleichstellung der Geschlechter vor zehn Jahren bei UN Women, wo sie an einer Reihe von Projekten zur Förderung der politischen Teilhabe von Frauen beteiligt war. 

„Als Mensch mit einer Behinderung fühle ich mich natürlich verpflichtet, andere Menschen mit Behinderungen zu unterstützen. Deshalb dachte ich, dass eine Initiative, die sich speziell an Frauen mit Behinderungen richtet, notwendig ist“, erklärt Elena. „Und natürlich können wir nicht erwarten, dass die Politik ausreichend inklusiv ist oder die Bedürfnisse der Menschen, die sie betreffen wird, genau widerspiegelt, wenn wir Frauen mit Behinderungen nicht dazu ermutigen, sich am Entscheidungsprozess zu beteiligen.“

2017 und erneut im Jahr 2019 half sie beim Aufbau einer Partnerschaft mit zwei Organisationen, die in der Republik Moldau im Bereich Behinderung tätig sind, und half bei der Entwicklung von Schulungsprogrammen zum Kapazitätsaufbau für Frauen mit Behinderungen, die an politischer und ziviler Beteiligung interessiert oder bereits in diesem Bereich engagiert sind.

„Die Programme deckten alles ab, vom Beitritt zu politischen Parteien über die Durchführung von Wahlkampagnen bis hin zu Verhandlungen mit Politikverantwortlichen“, sagt Elena. „Wir haben auch Sitzungen durchgeführt, um das Selbstvertrauen zu stärken und die Frauen auf ein Amt als gewählte Amtsträgerinnen vorzubereiten.“

„Erfreulicherweise wurden einige der Frauen, die wir bei den Wahlen 2019 unterstützt haben, später Gemeinderätinnen und setzten sich für Veränderungen ein, um die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen zu verbessern“, sagt Elena. „Eines dieser Ratsmitglieder war entschlossen, den Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zu verbessern, nachdem sie selbst mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Es gelang ihr, Finanzmittel für die Umsetzung verschiedener Initiativen zu sichern, darunter die Installation von Rampen für Rollstuhlfahrer.“

Elena ist jedoch besorgt darüber, dass es in vielen Ländern immer noch diskriminierende Konzepte und Praktiken gibt, insbesondere in Bezug auf die Rechte von Frauen mit Behinderungen auf Mutterschaft und Fortpflanzung, die nur durch die politische Teilhabe von Frauen an der Änderung von Handlungskonzepten und Einstellungen wirksam überwunden werden können.

„Es gibt Fälle, in denen Frauen mit Behinderungen zu Abtreibungen gezwungen wurden und in denen sie beim Zugang zu Angeboten der reproduktiven Gesundheit mit Vorurteilen und Hindernissen konfrontiert sind, bis hin zu dem Punkt, dass ihr Recht auf Mutterschaft praktisch ignoriert wird“, sagt sie. „Das muss sich ändern.“

Eine integrative Entscheidungsfindung

Antonella Candiago arbeitet in Brüssel als Referentin beim Europäischen Netzwerk für selbstbestimmtes Leben (ENIL). Sie begann, sich für den Bereich der integrativen politischen Teilhabe zu interessieren, nachdem sie selbst mit Problemen im Hinblick auf die Barrierefreiheit zu kämpfen hatte. Doch erst als sie anfing, mit anderen Menschen mit Behinderungen zu sprechen, wurde ihr das Ausmaß des Problems bewusst.

„Ich hatte Gelegenheit, mit vielen Menschen zu sprechen, insbesondere Frauen mit einer Reihe von Beeinträchtigungen, u. a. geistigen Behinderungen, und habe verstanden, wie viele von ihnen von der politischen Teilhabe ausgeschlossen sind“, sagt sie. „Ich wollte unbedingt herausfinden, wie wir sie einbeziehen können, um ihnen die Möglichkeit zu geben, an Entscheidungen mitzuwirken, die ihre Zukunft beeinflussen.“

Antonella erinnert sich schmerzlich daran, wie sie aufwuchs und nie erlebte, dass Menschen wie sie repräsentiert wurden, was sich negativ auf ihr Selbstbild und ihr eigenes Potenzial auswirkte. Daher sei es ebenso wichtig, Menschen mit Behinderungen in diesen Entscheidungspositionen sichtbar zu machen, wie sie betont:

„Wenn man sich selbst nicht repräsentiert sieht, führt dies zu einem Gefühl der Ausgrenzung und Marginalisierung und lässt einen glauben, dass man nicht wirklich berechtigt ist, sich zu beteiligen oder Entscheidungen zu treffen, selbst wenn es um Dinge wie die eigene Gesundheitsversorgung geht. Für junge Menschen ist es heutzutage wirklich wichtig, verschiedene Arten von Behinderungen repräsentiert zu sehen, um die Vorstellung einer integrativen Entscheidungsfindung zu normalisieren.“

Antonella warnt jedoch davor, dass die politische Teilhabe authentisch sein muss und nicht nur auf der Tatsache beruhen darf, dass jemand eine Behinderung hat.

„Es ist wichtig, falsche Repräsentation oder Alibifunktionen zu vermeiden. Ja, wir brauchen Menschen mit Behinderungen als Vorbilder, aber gleichzeitig sollten wir uns vor allem auf ihre Berufe, ihre Interessen, ihre Erfahrungen, ihre Kompetenzen und ihre Fähigkeiten konzentrieren“, sagt Antonella.

Sie und ihre Organisation glauben fest an die Prinzipien der Mitgestaltung und Koproduktion, d. h. an die Zusammenführung von Fachleuten und Bürgern – in diesem Fall Menschen mit Behinderungen –, um gemeinsam die Planung und Umsetzung von Leistungsangeboten zu übernehmen. Sie erklärt weiter:

„Wir schulen Organisationen darin, wie sie Menschen mit Behinderungen in jeder Phase einbeziehen und zur Selbstbestimmung befähigen können. Zum Beispiel haben wir erfolgreich ein Projekt durchgeführt, bei dem es darum ging, die Verkehrssysteme in sieben europäischen Städten barrierefreier zu gestalten. Dies könnte aber genauso gut im Gesundheitswesen oder in jedem anderen Bereich funktionieren, in dem es um die Erbringung von Dienstleistungen geht.“

Ein größerer Sinneswandel

Elena Kochoska aus Skopje (Nordmazedonien) ist Vorstandsmitglied beim ENIL und Vorsitzende des Mazedonischen Zentrums für internationale Zusammenarbeit. Wie die anderen Frauen, die wir interviewt haben, begann sie ihre Karriere frustriert darüber, dass Menschen mit Behinderungen in wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen unsichtbar und unterrepräsentiert zu sein schienen, und war entschlossen, etwas dagegen zu unternehmen.

„Ich begann, mich für die wirksame Verwirklichung der politischen Rechte von Menschen mit Behinderungen und für die vollständige Umsetzung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) einzusetzen“, sagt sie. „Das bedeutete nicht nur, Menschen mit Behinderungen die Teilnahme am politischen Wirkungsbereich zu ermöglichen, sondern ihnen tatsächlich einen Platz am politischen Tisch zu geben, um Entscheidungen zu verschiedenen Themen zu treffen, nicht nur zu Themen, die mit Behinderung zu tun haben.“

Mittlerweile arbeitet sie mit Menschen mit Behinderungen zusammen, die entweder bereits in der Politik aktiv sind oder sich stärker in politische Strukturen einbringen möchten, um ihnen die Fähigkeiten und das Wissen zu vermitteln, die bzw. das sie benötigen, um ihre Aufgaben effektiv zu erfüllen.

„Gleichzeitig arbeite ich mit politischen Parteien zusammen, um sie bei der Entwicklung ihrer Behindertenpolitik und -programme auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention zu unterstützen“, erklärt sie. „Ich stehe mit anderen Behindertenorganisationen in Kontakt, die einen Großteil der grundlegenden Arbeit leisten, um sicherzustellen, dass dieses Thema weiterhin ganz oben auf ihrer Tagesordnung steht.“

Elena ist fest davon überzeugt, dass insbesondere Führung und Management des Gesundheitswesens behinderungsgerecht sein müssen, wie sie deutlich macht:

„Dieses Thema ist nicht verhandelbar. Der Sektor muss offener sein und mehr Menschen mit Behinderungen einbeziehen, uns nicht nur als Nutznießer ansehen. Warum gibt es zum Beispiel nicht mehr Gesundheitspersonal mit Behinderungen? Und überall auf der Welt sehen sich Menschen mit Behinderungen noch immer mit ähnlichen Barrieren konfrontiert, wenn es um den Zugang zur Gesundheitsversorgung oder die Sicherung von Arbeitsplätzen im Gesundheitswesen geht.“

Sie fügt hinzu:
„Das Gesundheitswesen wird im nächsten Jahrhundert vor vielen Herausforderungen stehen, zu denen auch die Inklusion von Behinderten gehören wird. Künftige gesundheitspolitische Handlungskonzepte müssen sich jedoch auf die UN-Behindertenrechtskonvention stützen und den Grundsätzen der integrativen Gleichstellung Rechnung tragen.“

Elena setzt sich mit großer Leidenschaft für die Förderung der Rechte von Menschen mit Behinderungen ein, sieht dies jedoch als Teil eines größeren Sinneswandels in unserer Gesellschaft. Dazu erklärt sie:

„Behinderung muss als ein Teil der menschlichen Vielfalt anerkannt werden. Natürlich bin ich der Meinung, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Rechte wie alle anderen genießen sollten, einschließlich des Rechts auf ein unabhängiges Leben, aber meine Vision ist, dass wir zusammenarbeiten können, um eine Gesellschaft zu schaffen, in der jeder das Leben führen kann, das er sich wünscht; in der sich jeder zu einem selbstbestimmten Leben befähigt fühlt.“