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Eric Bossward
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„Für mich war Long COVID lebenszerstörend – der britische Pfarrer Eric spricht darüber, wie er durch Rehabilitationsmaßnahmen wieder Hoffnung schöpfte

17 November 2023
Im Dezember 2021 fühlte Eric Bossward, ein Pfarrer aus Oxford, sich furchtbar schlecht. Er hatte sich einige Wochen zuvor mit COVID-19 angesteckt, und obwohl er zunächst nur leichte Symptome hatte, fühlte er sich jetzt körperlich und psychisch viel schlechter, hatte aber keine Ahnung, warum.

„Die Erschöpfung war einfach unvorstellbar. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich litt unter einer entsetzlichen Atemnot und unter Schwindelanfällen. Außerdem hatte ich furchtbare Angstzustände und wachte jeden Morgen mit einem überwältigenden Gefühl des Grauens auf. Ich hatte schon früher Angstzustände und Depressionen gehabt – und Medikamente dagegen bekommen –, aber das hier übertraf alles, was ich je zuvor erlebt hatte, bei Weitem.“

Es gibt nie einen guten Zeitpunkt, um krank zu werden, aber für Bossward hätte der Zeitpunkt nicht ungünstiger sein können.

„Die Vorweihnachtszeit ist natürlich eine der arbeitsreichsten Zeiten des Jahres für mich, da ich Gottesdienste vorbereiten und halten muss. Das Schwierige an meiner Arbeit ist, dass ich quasi über meinem Laden wohne; das Pfarrhaus liegt direkt neben der Kirche, sodass es sehr schwer ist, sich freizunehmen, und die Leute verlassen sich so sehr auf dich.“

Also schleppte Eric sich weiter, obwohl die Symptome nicht nachließen, sondern sich sogar noch zu verschlimmern schienen.

„Die Leute müssen mit mir über Dinge wie Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen sprechen, und so war es für mich fast unmöglich, eine Auszeit zu nehmen. Das liegt zum Teil auch an meiner Persönlichkeit – ich wollte die anderen einfach nicht hängen lassen.“ 

Diagnose Long COVID

Da sich keine Besserung einstellte, suchte Eric im folgenden Monat, dem Januar 2022, seinen Arzt auf, da er vermutete, dass er am Post-COVID-19-Syndrom, auch bekannt als Long COVID, leiden könnte, nachdem er im Internet darüber gelesen hatte. Obwohl keine andere Ursache für seine Symptome festgestellt wurde, konnte der Arzt gemäß den britischen Richtlinien erst nach zwölf Wochen, nachdem Bossward Entwarnung in Bezug auf seine ursprüngliche Infektion erhalten hatte, offiziell eine Diagnose für Long COVID stellen, sodass es noch einen Monat dauerte, bevor er an einen Facharzt überwiesen werden konnte.

„Meine Familie und die Gemeinde waren sehr besorgt um mich. Ich war einfach nicht mehr ich selbst – ich war fast ein anderer Mensch geworden. Früher war ich sehr fit, bin jeden Tag gelaufen und habe an Halbmarathons teilgenommen, aber das alles ging nicht mehr. Der Gehirnnebel war so schlimm, dass ich dachte, ich könnte Demenz haben. Auch meine psychische Gesundheit war schwer angegriffen.“

Die nötige Unterstützung

Im Februar 2022 konnte Erics Arzt ihn schließlich an die Oxford Post COVID Assessment Clinic überweisen, die seit einem Jahr geöffnet war und einen multidisziplinären Ansatz zur Untersuchung und Behandlung lang anhaltender COVID-Symptome verfolgt.

„Es war kaum zu glauben. Ich fühlte mich in meinem Zustand so isoliert und hatte das Gefühl, dass niemand verstand, was mit mir los war. Aber dort verstanden sie es. Sie wussten, dass ich es mir nicht ausgedacht oder eingebildet hatte; sie verstanden, dass das, was ich hatte, real war.“

Bossward schildert, wie die Informationen, die er in der Klinik erhielt, von unschätzbarem Wert waren, da sie es ihm nicht nur ermöglichten, seine Krankheit in den Griff zu bekommen, sondern ihm auch Strategien für den Umgang mit verschiedenen Aspekten seiner Erkrankung vermittelten.

„Die ersten paar Male, als ich in die Klinik kam, brach ich vor Erleichterung in Tränen aus, weil ich wusste, dass ich nicht verrückt geworden war und dass etwas getan wurde, um mich wieder gesund zu machen. Die Mitarbeiter nahmen sich Zeit, um mir zuzuhören, und waren unglaublich einfühlsam. Sie brachten mir Techniken bei, mit denen ich mein Tempo bestimmen konnte, und machten mir klar, dass ich Energie sparen musste, um nicht in eine lähmende Erschöpfung zu verfallen.“

Eine langsame, aber stetige Genesung

Eineinhalb Jahre nach seiner ersten COVID-19-Infektion geht es Bossward inzwischen viel besser, obwohl er zugibt, dass ihn eine zweite COVID-19-Infektion im Dezember 2022 vorübergehend zurückwarf.

„Ich habe es geschafft, in den letzten zwei Wochen wieder mit dem Laufen anzufangen – nur 1,5 km am Stück, ziemlich schwach im Vergleich zu dem, was ich früher geschafft habe; aber es ist ein Anfang und fühlt sich wie ein Fortschritt an, und das ist motivierend.“

„Außerdem schlafe ich jetzt auch viel besser und wache nicht mehr so unruhig auf. Der Gehirnnebel ist immer noch da, aber lange nicht mehr so schlimm. Ich bin mir immer noch bewusst, dass ich mich im Laufe des Tages einschränken muss, aber aus der Klinik weiß ich, dass das wahrscheinlich nur vorübergehend ist und dass ich mich beim richtigem Verhalten so weit erholen kann, dass ich wieder das Pensum schaffen kann, das ich mir vornehme.“

Bossward hat nur lobende Worte für die Unterstützung durch die Oxford Post COVID Assessment Clinic und für deren ganzheitlichen Ansatz im Umgang mit den körperlichen, psychischen und seelischen Auswirkungen der Krankheit, aber auch für ihre Zusammenarbeit mit anderen einschlägigen Organisationen und Stellen.

„Um mir bei meiner Atemnot zu helfen, schlug die Klinik vor, mich mit der English National Opera in Verbindung zu setzen, die online Gesangs- und Atemübungen speziell für Patienten mit Long COVID anbietet. Das war echt fantastisch. Die Sitzungen haben mir nicht nur beim Atmen geholfen, sondern auch meine Ängste gelindert und mir die Möglichkeit gegeben, andere Menschen in der gleichen Situation kennenzulernen. Ich fühlte mich weniger allein, und es war ein echter Wendepunkt für mich, als ich erkannte: Ja, das ist nur vorübergehend, ich werde wieder gesund.“

Notwendigkeit, sich weiter vor COVID-19 zu schützen

Bossward findet es frustrierend, dass die breite Öffentlichkeit auch nach all dieser Zeit immer noch nicht erkennt, welche Gefahr Long COVID für ihre Gesundheit darstellt.

„Die Menschen müssen erkennen, wie schwerwiegend die Auswirkungen von Long COVID sein können. In den schlimmsten Momenten hatte ich sogar Suizidgedanken. Das will keiner. Wenn Sie irgendetwas tun können, um sich vor COVID-19 zu schützen und so von vornherein das Risiko zu vermeiden, dass es sich zu Long COVID entwickelt, dann kann ich nur sagen: Tun Sie das!“

Die Schattenpandemie

Von denjenigen, die mit SARS-CoV-2, dem Virus, das COVID-19 verursacht, infiziert sind, entwickelt einer von zehn Long COVID; diese Erkrankung ist definiert als das Fortbestehen oder die Entwicklung neuer Symptome drei Monate nach der Erstinfektion, wobei diese Symptome mindestens zwei Monate lang anhalten, ohne dass es eine andere Erklärung für sie gibt.

Long COVID kann sich bei Menschen jeden Alters entwickeln, unabhängig vom Schweregrad der ursprünglichen Symptome. Es ist auch bekannt, dass die Wahrscheinlichkeit, daran zu erkranken, steigt, je öfter eine Person mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert wird.

Laut Schätzungen des Institute for Health Metrics and Evaluation an der Universität Washington in Seattle hatten in den ersten drei Jahren der Pandemie wohl fast 36 Mio. Menschen in der gesamten Europäischen Region der WHO mit Long COVID zu kämpfen. Das bedeutet, dass etwa 1 von 30 Europäern betroffen gewesen sein könnte. 

WHO/Europa arbeitet auch weiter partnerschaftlich mit dem Patientenverband Long-COVID Europe und anderen Organisationen wie Long Covid Kids darauf hin, dass die Stimmen von mit Long COVID lebenden Menschen in Empfehlungen und Informationen gebührend berücksichtigt werden.