Gerard Funes Martin und Sergio Cuho haben vieles gemeinsam. Beide gehen gerne ins Fitnessstudio und treffen sich mit Freunden. Beide gehören auch der Gruppe der schwulen, bisexuellen und anderen Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten (GBMSM) an und arbeiten ehrenamtlich für STOP (früher „STOP SIDA“) – eine gemeindenahe Organisation in Barcelona, die eng mit den örtlichen Gesundheitsbehörden zusammenarbeitet.
Beide sind sehr offen und setzen sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern, Queers und Intersexuellen (LGBTQI+) und gegen Stigmatisierung ein und geben damit ihre Identität preis. Aus diesem Grund spricht Gerard offen darüber, dass er ein Sexarbeiter ist, und Sergio hat sich bereit erklärt, über sein Leben mit HIV zu sprechen.
Beide sind auch an Mpox (Affenpocken) erkrankt, einer Krankheit, von der bei dem derzeitigen Ausbruch in der Europäischen Region der WHO vor allem Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten betroffen waren und bei der Menschen, die mit HIV leben, im Falle einer Infektion mit dem Mpox-Virus einem höheren Risiko einer schweren Erkrankung ausgesetzt sind.
Als sich Gerard im Juli letzten Jahres unwohl fühlte, ging er ins Krankenhaus. Nachdem er fünf Stunden lang gewartet hatte, sagte die Krankenschwester, die sich um ihn kümmerte: „Zu viel gefeiert, was?“
Gerard hatte eine solche Bemerkung nicht erwartet, und da er sich nicht wohl fühlte, ließ er es auf sich beruhen.
Auch am Tag zuvor, als er sich gegen Mpox impfen ließ, hatte er sich unwohl gefühlt. Als die Menschen Schlange standen und auf die Impfung warteten, waren auch einige Journalisten dabei.
„Sie sagten nichts. Sie baten nicht um Erlaubnis. Sie fingen einfach an, uns zu filmen“, erinnert er sich.
„Mein Ziel ist es, die Wahrnehmungen zu verändern und gegen Stigmatisierung zu kämpfen.“ Damit man nicht über uns spricht, ohne uns in diese Diskussionen einzubeziehen. Deshalb bin ich hier [um mit euch zu sprechen]. Um uns ein menschliches Gesicht zu geben ... Ich glaube, die Menschen verstehen oft nicht, was die Arbeit mit sich bringt und welche Risiken wir eingehen. Außerdem sehen uns viele Leute nicht als Menschen, die ein normales Leben führen. Wir sind mehr als nur der Job, den wir machen. Wir haben ein eigenes Leben, Freunde, Wünsche und Werte.“
„Es ist wichtig, Menschen an seiner Seite zu haben. Menschen, die einen verstehen und unterstützen“, fügt er hinzu.
Deshalb unterstützt er andere, indem er Freiwilligenarbeit für STOP leistet.
„Ich bin ein bisschen süchtig nach der Arbeit für die Organisation“, sagt er mit einem Lächeln. „Das hat in den letzten Jahren viel von meiner Freizeit in Anspruch genommen. Ich habe an verschiedenen Projekten mitgewirkt: ich habe Fotos gemacht und Interviews geführt, die politische Bewegung von Prostituierten in Barcelona dokumentiert und an Selbsthilfegruppen für Prostituierte oder für Menschen, die Chemsex praktizieren oder an den Folgen von Drogenmissbrauch leiden, teilgenommen.“
Die Mpox waren ein harter Schlag für Gerard.
„Mir ging es dreckig. Ich musste ins Krankenhaus. Das hatte Auswirkungen auf mein Leben, und auch auf mein Einkommen. Ich konnte einen Monat lang nicht arbeiten.“
„Es war nicht einfach, sich nach COVID-19 wieder zu isolieren“, erzählt er und fügt hinzu, dass er zu Beginn der Erkrankung an Mpox nicht wusste, wie er die auftretenden Läsionen behandeln sollte. Er stellte fest, dass die Gesundheitsberatung, die er erhielt, sich anfangs darauf konzentrierte, wie er eine Weitergabe der Infektion an andere vermeiden könnte, und keine Informationen darüber enthielt, wie er mit seinen Symptomen umgehen sollte.
„Die verurteilende Einstellung macht Angst.“
Sergios Erfahrungen mit den Mpox waren ganz anders.
„Ich hatte Fieber und fuhr ins Krankenhaus. Ich wurde untersucht, und erst mal konnten sie nichts finden. Dann sagte man mir, dass es COVID-19 sein könnte. Doch es war nicht COVID-19. Eine Woche später wurde ich auf Mpox getestet, und da erfuhr ich es. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon keine Symptome mehr. Ich hatte keine schwere Infektion“, sagt Sergio.
Doch als die Mpox-Diagnose kam, machte sich Sergio Sorgen und suchte seinen HIV-Arzt auf.
„Ich hatte damals keine sexuellen Beziehungen, weil ich wirklich besorgt war“, erzählt er und erklärt, dass er Menschen kannte, die nicht HIV hatten, aber von Mpox schwer getroffen wurden, und dass er auch Menschen mit HIV kannte, die leichtere Mpox-Symptome hatten.
Sergio spricht ganz unbeschwert und lächelt dazwischen oft.
Aber er wird ernst, als er davon spricht, warum er über sein Leben mit HIV sprechen will.
„Ich habe mich nicht immer offen zu meinem HIV-Status bekannt. Nach der ersten Diagnose hatte ich Angst, darüber zu sprechen. Aber das ist jetzt anders. Ich und viele andere wollen den Menschen, die sich in dieser Lage befinden, ein Gesicht geben.“
„Im vergangenen Sommer hatten die Leute mit Mpox erheblich mit Stigmatisierung zu kämpfen. Es war wie bei der Diagnose mit HIV. Die Leute fragen sich: Soll ich [ins Gesundheitszentrum] hingehen? Werden die [das Gesundheitspersonal] mir zuhören? Also erzählten viele [der an Mpox Erkrankten] nichts und ließen sich nicht testen. Die verurteilende Einstellung macht Angst“, sagt er.
Sein Rat an die Gesundheitsberufe ist eindeutig: „Verurteilt uns nicht. Hört uns zu. Das bringt wesentlich mehr.“
Dennoch hält er es für wichtig, dass die Menschen bei Unwohlsein fachliche Hilfe in Anspruch nehmen.
„Es gibt immer Lösungen“, sagt er abschließend.
Aus diesem Bedürfnis heraus, Teil einer Lösung zu sein, schloss sich Sergio 2020 STOP an und engagiert sich dort immer noch ehrenamtlich, u. a. bei der Unterstützung von Menschen, die mit HIV leben, und setzt sich für ihre Rechte ein.
Jean Sebastian Meyer Guignard, Präsident von STOP, stimmt zu: „Es geht nicht nur darum, Aids zu stoppen. Wir wollen Homophobie, Diskriminierung, Stigmatisierung und andere Umstände beenden, die die Gesundheit von Menschen gefährden.
Meyer plädiert nachdrücklich für die Bekämpfung von Stigmatisierung und Diskriminierung.
Wenn Stigmatisierung und Diskriminierung im Gesundheitssystem oder am Arbeitsplatz fortbestehen, so argumentiert er, ist es für von Mpox Betroffene schwierig, die benötigte Behandlung und Impfung zu erhalten.
Dies gelte besonders für die Menschen, die in der Umgebung von Barcelona leben, fügt er hinzu. Abgesehen von finanziellen Erwägungen könnten sie sich bloßstellen, wenn sie ihren Arbeitgeber darüber informieren müssen, dass sie in die Stadt fahren müssen, um sich gegen Mpox impfen zu lassen, da der Impfstoff außerhalb von Barcelona nicht erhältlich ist.
Appell von WHO/Europa zur Eliminierung der Mpox
Trotz der aktuell niedrigen Zahl der Menschen mit Mpox in der Europäischen Region der WHO – die in den ersten Monaten das Epizentrum des weltweiten Ausbruchs war – ist die Krankheit nicht verschwunden, und einige Länder verzeichnen wieder einen Anstieg der Fallzahlen.
WHO/Europa hat sich durch seine Kampagne „Eliminierung der Mpox: die betroffenen Bevölkerungsgruppen im Mittelpunkt der Gegenmaßnahmen“ (Mai – September 2023), ergänzt durch das Toolkit zur Risikokommunikation und Bürgerbeteiligung sowie zur Bewältigung von Infodemien für die Eliminierung von Mpox (Mai 2023) und sein neuestes Konzept zur Bekämpfung von Mpox (April 2023) für dauerhafte Ressourcen, eine erhöhte Wachsamkeit und niedrigere Hürden für Tests und Impfungen eingesetzt, die eine Bekämpfung der Mpox und schließlich ihre Eliminierung in der Europäischen Region ermöglichen sollen.
Dazu gehört vor allem der Aufruf von WHO/Europa, Tests und Impfungen näher an die betroffenen Gruppen heranzubringen, alle unterversorgten und gefährdeten Gruppen, namentlich Prostituierte und Menschen mit HIV, zu erreichen und Diskriminierung und Stigmatisierung zu bekämpfen.
Um diesen Aufruf zu unterstützen, enthalten die von der WHO angebotenen Hilfsmittel (z. B. das Toolkit) gesundheitliche Ratschläge für Prostituierte sowie Überlegungen für Leistungserbringer, die Prostituierte unterstützen. Sie beinhalten auch praktische Ratschläge, wie die Gesundheitsbehörden unterversorgte Gruppen erreichen und in die Bekämpfung der Mpox einbeziehen können.
WHO/Europa arbeitet eng mit etwa 30 zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, die die betroffenen Gruppen vertreten, hört ihnen zu, lernt von ihnen und lässt die von ihnen erhaltenen Rückmeldungen in das Toolkit für Mpox einfließen.
„Organisationen der Zivilgesellschaft haben entscheidend zur Senkung der Zahl der Mpox-Fälle und dabei auch zur Bekämpfung von Stigmatisierung und Diskriminierung beigetragen. Wir haben seit letztem Sommer viel erreicht. Doch wenn wir eine Chance haben wollen, die Mpox in der Europäischen Region zu eliminieren, dann müssen wir mehr tun, um sämtliche unterversorgten Gruppen – Transgender, Prostituierte, Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten, Obdachlose – zu erreichen, da sie nicht immer Zugang zum offiziellen Gesundheitswesen haben. Entscheidend wichtig ist auch ein leichter Zugang zu Mpox-Tests und zu Impfungen“, erklärt Dr. Richard Pebody, Leiter des Teams für hochgefährliche Erreger bei WHO/Europa. „Dies setzt voraus, dass Stigmatisierung und Diskriminierung ein für alle Mal beseitigt werden.“
* Als „Chemsex“ werden sexuelle Aktivitäten bezeichnet, die unter Drogeneinfluss überwiegend zwischen Männern stattfinden.