In Krankenhäusern und kommunalen Zentren für psychische Gesundheit in ganz Frankreich vollzieht sich ein Wandel. Fachkräfte für Peer Support (gegenseitige Unterstützung durch Gleichgesinnte) – Menschen, die ihre gelebten Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen nutzen, um Versorgungsempfängern bei ihrer Genesung zu helfen – werden zu einem festen Bestandteil multidisziplinärer Teams. Mit Unterstützung eines nationalen Programms und einer vom WHO-Kooperationszentrum für Forschung und Schulung im Bereich der psychischen Gesundheit in Lille entwickelten Schulung versuchen sie sicherzustellen, dass sich die psychische Gesundheitsversorgung weiterhin auf das Wichtigste konzentriert, nämlich dass die sich in Behandlung befindliche Person zu ihren eigenen Bedingungen wieder gesund wird.
Kein typischer Arbeitstag
Freya, die als Fachkraft für Peer Support in einer psychiatrischen Rehabilitationseinrichtung tätig ist, sagt, dass ihr Arbeitsalltag nie völlig gleich abläuft. An einem Tag leitet sie vielleicht gemeinsam mit Kollegen einen Genesungsworkshop, während sie am nächsten Tag ein Einzelgespräch führt, um für jemanden die nächsten Schritte der Genesung nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zu planen. „Ich habe eigentlich keinen typischen Tag“, sagt sie. „Manchmal geht es darum, jemanden zu treffen, der von jemand anderem, der selbst in einer ähnlichen Situation war, hören muss, dass es möglich ist, aus der Rehabilitationseinrichtung entlassen zu werden und zu genesen.“
In den Workshops, die sie anbietet, geht es um das Verständnis psychischer Krankheiten wie Depression oder Schizophrenie oder darum, was Genesung ist und wie man darauf hinarbeiten kann.
„Normalerweise sehe ich jemanden erst, wenn es ihm etwas besser geht“, sagt Freya. „Aber manchmal kamen Leute zu mir, denen es angeblich besser ging, die aber in Wirklichkeit in einer Krise steckten, so dass ich einen Kollegen – eine Pflegekraft – zur Hilfe holen musste, weil ich nicht dafür ausgebildet bin, mit jemandem, der in einer Krise steckt, umzugehen.“
„Es kann für Fachkräfte für Peer Support äußerst schwierig sein, mit jemandem zu arbeiten, der in einer Krise steckt. In dem Moment ist es in Ordnung, aber danach fühle ich mich emotional komplett erschöpft. Es erinnert mich an das, was ich selbst durchgemacht habe“, fährt sie fort.
Teamwork – ein empfindliches Gleichgewicht
Fachkräfte für Peer Support wie Freya sind weder medizinisches Personal noch Versorgungsempfänger – sie stehen irgendwo dazwischen. Außerdem sind sie oft die einzigen Fachkräfte für Peer Support in ihrem Team.
„Ich wurde sehr nett aufgenommen, als ich zu meinem Team dazustoß. Sie waren sogar offen für eine Position für Peer Support gewesen, bevor ich dazukam, was hilfreich ist, um ihnen den Vorteil meiner Position zu verdeutlichen“, sagt Freya.
Sie erkennt an, dass ein Teil ihrer Rolle darin besteht, zu wissen, wann und wie sie ihre Erfahrungen weitergeben kann. „Ich habe meine Diagnose anfangs absichtlich nicht erwähnt“, erklärt sie. „Ich wollte nicht in eine Schublade gesteckt werden. Später erfuhren die Menschen durch Schulungen und Workshops davon, aber es ist immer eine Frage des Zeitpunkts, was man wann mitteilt.“
Eine zu große Offenheit kann nach hinten losgehen. „Man muss vorsichtig sein, vor allem im ersten Jahr“, sagt Berenice Staedel, die das Programm des WHO-Kooperationszentrums zur Peer-Arbeit leitet. „In klinischen Besprechungen, wenn es darum geht, wie mit einem Patienten weiter zu verfahren ist, müssen Fachkräfte für Peer Support sehr vorsichtig vorgehen. Man erzählt möglicherweise etwas über seine Erfahrungen, das nicht das ganze Team wissen soll.“
Es gilt, ein empfindliches Gleichgewicht zu wahren. Freya erinnert sich: „Es gibt ein Sprichwort, das wir in der Ausbildung gelernt haben: ni paillasson, ni hérisson – weder ein Fußabtreter noch ein Igel. Man sollte nicht so leise sein, dass man verschwindet, aber auch nicht so konfrontativ, dass sich einem niemand nähern kann. Das blieb bei mir hängen.“
Erfahrungen in Fachkenntnisse umwandeln
Um ihre Rolle zu unterstützen, durchlaufen Fachkräfte für Peer Support in Frankreich eine einjährige Ausbildung im Rahmen eines Bachelor-Studiengangs, der vom WHO-Kooperationszentrum in Lille und zwei französischen Universitäten entwickelt wurde. Der Lehrplan basiert auf einem bestehenden Lehrplan für Sozialwissenschaften, der Kurse zu Psychologie, Migration und Gesundheit, Recht und Anthropologie umfasst, aber auch Kurse zu Systemen für psychische Gesundheit und Psychiatrie sowie praktische Fähigkeiten wie Gruppenmoderation beinhaltet. Ein weiterer Schwerpunkt ist der professionelle und ethische Umgang mit den eigenen Erfahrungen.
„Die Ausbildung soll den Auszubildenden Werkzeuge an die Hand geben, um kritisch zu reflektieren, nicht nur innerhalb des Systems, sondern auch von außen, als Menschen, die es selbst erlebt haben.“
Freya nahm ihre Arbeit auf, bevor sie die Ausbildung beginnen konnte, da es zu administrativen Verzögerungen kam. „Es war ein bisschen wie eine Feuertaufe“, sagt sie. „Aber es machte den Kurs einfacher, weil ich die Herausforderungen bereits erlebt hatte. Die Ausbildung hat mir geholfen, das große Ganze zu sehen.“
Die Zulassung zum Programm ist bewusst flexibel gestaltet. „Wir verlangen keine medizinischen Unterlagen oder einen Nachweis der Diagnose“, sagt Berenice. „Es ist ein Gespräch. Wir versuchen zu beurteilen, wie sie mit ihrer psychischen Gesundheit generell umgehen. Wir suchen nach etwas, das wir la posture [Haltung] nennen – wie jemand seinen Erfahrungen Geltung verschafft.“
Diese Offenheit bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. „Einige Kandidaten sind recht jung, Anfang 20, und haben sich selbst diagnostiziert. Aber sind sie bereit, andere in Krankenhäusern zu unterstützen, bringen sie die nötige Legitimation mit, um für andere Versorgungsempfänger da zu sein? Manchmal ja, manchmal nein. Das hängt davon ab, wie sie ihre Erfahrungen verarbeitet haben.“
Die Umgestaltung des Systems
Die Beiträge der Fachkräfte für Peer Support können subtil sein, aber sie können einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, ob eine Person ihren Weg zur Genesung fortsetzt. Als Fachkraft für Peer Support kann Freya vielleicht erklären, warum ein Versorgungsempfänger seine Medikamente nicht mehr oder nur noch unregelmäßig einnimmt, was die Reaktion von Ärzten und Pflegepersonal beeinflussen kann.
„Das sind die Momente, die das Denken des Teams verändern“, sagt Berenice. „Nicht durch Konfrontation, sondern durch das Anbieten einer anderen Perspektive auf die Situation des Versorgungsempfängers.“
Indem sie kommunizieren, was die Versorgungsempfänger brauchen, aber nicht sagen, sorgen die Fachkräfte für Peer Support für eine langfristige therapeutische Beziehung und eine bessere Therapietreue.
Dennoch gibt es nach wie vor Widerstand. „Einige ältere Mitarbeiter fühlen sich unwohl“, sagt Berenice. „Sie sehen, dass Fachkräfte für Peer Support auf die Genesung ausgerichtete Werkzeuge nutzen, die sie während ihrer eigenen Ausbildung nie kennen gelernt haben, und das kann für sie wie eine Bedrohung wirken.“
Dennoch hat das Programm für Freya und viele ihrer Fachkollegen einen Wandel bewirkt. „Es hat mir geholfen, mich unterstützt und als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen. Ich war in der Lage, Freunde zu finden.“
Darin liegt die Stärke der Peer-Arbeit: Es geht nicht nur darum, anderen bei ihrer Genesung zu helfen, sondern auch darum, aufzuzeigen, wie Genesung und Zusammenarbeit innerhalb der Systeme für die psychische Gesundheitsversorgung aussehen können, indem man Orientierungshilfe, Klarheit und vor allem Hoffnung bietet.
Unterstützung durch die WHO
Das WHO-Regionalbüro für Europa unterstützt aktiv die Peer-Support-Arbeit und andere Formen von Fachkenntnissen aufgrund gelebter Erfahrungen. Im Rahmen seiner Kooperationsvereinbarung mit der Europäischen Kommission mit dem Titel „Bewältigung der Herausforderungen im Bereich der psychischen Gesundheit in den EU-Ländern, Island und Norwegen“ wurde ein neuartiger Fahrplan veröffentlicht, der Regierungen und politischen Entscheidungsträgern praktische Maßnahmen an die Hand gibt, um Fachkenntnisse aufgrund gelebter Erfahrungen in Handlungskonzepte, Leistungsangebote und Gemeinschaften im Bereich der psychischen Gesundheit zu integrieren. Der Fahrplan wurde in Zusammenarbeit mit Menschen mit gelebten Erfahrungen, Mental Health Europe sowie dem irischen Gesundheitsministerium und der irischen Gesundheitsbehörde ausgearbeitet.
Durch das vom WHO-Kooperationszentrum in Lille seit 2012 gestartete nationale Programm wurden bislang über 200 Stellen für Fachkräfte für Peer Support geschaffen.
Fragen zum Prozess der Programmentwicklung können per E-Mail (msp@ghtpsy-npdc.fr) an das WHO-Kooperationszentrum in Lille gerichtet werden.