Cecilia Malabusini
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„Wir sind alle überfordert“: Aufruf einer italienischen Pflegekraft zum Schutz derer, die andere pflegen und versorgen

10 October 2025
Angesichts der Veröffentlichung neuer Daten von WHO/Europa aus seiner Untersuchung zur psychischen Gesundheit von Pflegekräften und Ärzten (MeND) – einer der bisher größten Studien über die psychische Gesundheit und das seelische Wohlbefinden von Ärzten und Pflegekräften in ganz Europa – bietet die Geschichte von Cecilia einen Einblick in die tägliche Realität hinter den Zahlen.

Cecilia ist seit 2012 als Pflegekraft in Norditalien tätig. In den mehr als zehn Jahren ihrer Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitswesen hat sie aus erster Hand erfahren, wie sich der Druck auf Pflegekräfte entwickelt und verschärft hat. Ihre Erfahrungen spiegeln viele der Herausforderungen wider, die im MeND-Bericht hervorgehoben werden, von chronischer Unterbesetzung bis hin zu den emotionalen Belastungen durch lange und stressige Schichten.

Fachkräfte steigen aus dem Beruf aus

„Fachkräfte steigen aus dem Beruf aus“, sagt sie. „Und wie ich mit eigenen Augen sehen kann, verlassen sie insbesondere Hochrisiko- oder Notfallbereiche wie die Intensivstation und die Notaufnahme. Das waren noch vor ein paar Jahren die spannendsten Arbeitsbereiche.“

Für Cecilia bedeutet die tägliche Realität von unterbesetzten Stationen und knappen Ressourcen, unter ständigem Druck arbeiten zu müssen. Die Einrichtungen seien oft gezwungen, mit der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestzahl an Fachkräften auszukommen, erklärt sie, obwohl die Zahl der Patienten und deren Bedürfnisse nicht zurückgegangen sind. Die Folge sind eine höhere Arbeitsbelastung, längere Schichten und weniger Zeit für die Versorgung und Pflege, die die Patienten verdienen.

Neben dem Personalmangel weist Cecilia auf ein tieferes Problem hin, nämlich den Mangel an beruflicher Anerkennung und Weiterbildung für Pflegekräfte. „Es besteht eine große Kluft zwischen den tatsächlichen Kompetenzen von Pflegekräften und dem, was wir tun dürfen oder wofür wir bezahlt werden“, sagt sie. „Wir erwerben Fähigkeiten durch Erfahrung oder Weiterbildung, aber unser Gehalt ändert sich nicht.“

Sie ist der Meinung, dass diese Diskrepanz die berufliche Entwicklung von Pflegekräften behindert und bei vielen zu Frustration oder Burnout führt. Sie fügt hinzu: „Ein Symptom dieses Problems ist, dass einige meiner Kollegen, darunter auch ich, ein zweites Studium aufnehmen oder eine zweite Qualifikation erwerben, zum Teil, um unsere Interessen weiterzuentwickeln, und zum Teil als alternative Karriereoption.“

Auswirkungen auf die psychische Gesundheit

Cecilia beschreibt auch, inwiefern undurchsichtige Karrierewege die Situation verschlimmern können. Karrieremöglichkeiten, sagt sie, seien nicht immer transparent. Oft schiene es, als gäbe es keine Belohnung für Weiterbildung und Mühe. Berufliche Laufbahnen verliefen nicht linear ausgehend vom Engagement und den Fähigkeiten, die Pflegekräfte bei ihrer Arbeit zeigten. Dies führe zu Unzufriedenheit mit der Rolle und untergrabe die Glaubwürdigkeit des Systems, erklärt sie. 

Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit seien deutlich spürbar. „Normalerweise komme ich mit einem Gefühl mentaler Erschöpfung nach Hause, was bei Notfällen wohl normal ist“, erläutert sie. „Aber wenn man sich nach fast jeder Schicht so fühlt, weil die Arbeitsbedingungen schlecht sind, kann sich das auch auf den Umgang mit den Kollegen auswirken. Und das ist der Moment, in dem es sich auch auf die Gesundheit auswirkt. Alle sind gestresst, und das kann zu Konflikten führen.“

Die Folgen sind für die gesamte Belegschaft deutlich spürbar. „Im letzten Jahr hat mindestens ein Fünftel meiner Kollegen entweder den Beruf aufgegeben oder ist in ein weniger stressiges Umfeld gewechselt“, sagt sie. „Etwa die Hälfte von ihnen waren jünger als ich.“ Andere, darunter auch sie selbst, ziehen in Erwägung, zu gehen.

Was sich ebenfalls geändert hat, sei der Sinn für Selbstaufopferung, der den Beruf einst auszeichnete, stellt sie fest. „Wir haben immer großen Wert darauf gelegt, die Gesundheitsversorgung der Bürger zu gewährleisten, unabhängig davon, was es uns selbst kostet. Aber immer mehr Kollegen stellen heute ihre eigene Gesundheit – insbesondere die psychische – in den Vordergrund, bevor sie zusätzliche Schichten übernehmen. Die tägliche Belastung ist so hoch, dass wir wissen, dass wir nicht in der Lage wären, uns gut zu erholen, wenn wir immer noch mehr auf uns nehmen.“

Trotz der bestehenden Herausforderungen sieht Cecilia in Teamarbeit und Solidarität nach wie vor eine Quelle der Stärke. „Die Unterstützung, die wir uns gegenseitig geben, indem wir Fälle besprechen und Kollegen in Stresssituationen aushelfen, ist gut, aber nicht ausreichend“, gibt sie zu. „Wenn jede Pflegekraft bereits gestresst oder erschöpft ist, wie kann sie oder er dann anderen wirklich helfen?“

Sie ist der Meinung, dass Veränderungen sowohl vonseiten des Managements als auch der Politik ausgehen müssen. „Vorgesetzte können helfen, indem sie für gute Arbeitsbedingungen sorgen, regelmäßige Besprechungen und Teambildungsmaßnahmen durchführen und die Rolle der Krankenpflege in der Organisation fördern“, sagt sie. „Ich höre aber auch von Oberschwestern, die ihre Stelle aufgeben, um wieder in den regulären Dienst zurückzukehren; das Problem scheint also weit verbreitet zu sein.“

Ein Handlungsappell und Hoffnung auf Veränderung

Was für Cecilia den größten Unterschied ausmachen würde, wäre „eine regelmäßige psychophysische Überwachung und Unterstützung durch die Institutionen“, sagt sie. „Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen, klarere Karrierewege, die wir einschlagen können, und Gehälter, die unserer Verantwortung entsprechen. Pflegekräfte bilden die größte Gruppe innerhalb der Gesundheitsberufe; wir leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit der Bürger. Das ist etwas, auf das ich trotz allem stolz bin und das anerkannt werden muss.“

Während WHO/Europa sich auf die Veröffentlichung der Ergebnisse der MeND-Untersuchung vorbereitet, hofft Cecilia, dass die Ergebnisse endlich die Realität sichtbar machen, die sie und viele andere tagtäglich erleben – und so neue Chancen bieten.

„Ich hoffe, dass die Ergebnisse unsere Gefühle untermauern und bestätigen und die Politiker dazu bringen, echte Maßnahmen zur Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen und unserer psychischen Gesundheit zu ergreifen.“