Tina Dahl setzt sich immer zu den neuen Patientinnen und beobachtet sie still, während sie auf den Onkologietermin warten. Sie weiß: Was bei diesem ersten Gespräch passiert, hilft ihr zu verstehen, wie sie funktionieren. Was ist ihnen wichtig? Welche Ängste haben sie? Und wie viel wissen sie schon über ihre Behandlung?
Dies ist der ganzheitliche, also auf die ganze Person bezogene Ansatz, den ihre Patientinnen am Rigshospital in Kopenhagen so an ihrer Arbeit zu schätzen gelernt haben. Die meisten Patientinnen treffen ihren Arzt nur am Anfang und Ende ihrer Chemotherapie
sowie einmal in der Mitte der Behandlung. Tina betreut gewöhnlich etwa 90 Patientinnen während der gesamten sechs Monate ihrer Behandlung. Sie fügt hinzu, dass sie manchmal mehr Zeit mit den Patientinnen verbringt als mit ihrer eigenen
Familie.
„Als Pflegekraft habe ich eine Schlüsselrolle auf der Reise der Patientinnen. Es kommt darauf an, sie in der richtigen Umgebung zu treffen, ihre Körpersprache zu beobachten und von Anfang an einen guten Draht zu ihnen zu bekommen“,
erklärt sie.
„Manche Patientinnen haben viel recherchiert und fühlen sich von der Situation überfordert. Andere wissen sehr wenig, stellen keine Fragen und müssen sich den Behandlungsverlauf erklären lassen. Meine Aufgabe besteht darin, für
das Wohlbefinden der Patientinnen zu sorgen und ihnen die Energie zu geben, damit sie das Ganze gut überstehen.“
Tina fügt hinzu: „Wenn uns das gelingt, was glücklicherweise oft der Fall ist, dann haben unsere Arbeit gut gemacht. Natürlich gibt es auch Todesfälle aufgrund von Brustkrebs, und dann wird es sehr schwierig.“
Den Weg weisen
Die Menschen sind verschieden, erklärt Tina, doch sie ist überzeugt, dass wir alle über ein inneres Kräftereservoir verfügen, das wir in schweren Zeiten abrufen können. Nach 20 Jahren in der Versorgung von Krebspatienten
kennt sie sich mit den Feinheiten bei der Hilfe zur Selbsthilfe aus.
„Es ist in Ordnung, wenn man zusammen ein bisschen Spaß hat“, behauptet sie. „Wir nehmen uns dazu Zeit, für ein bisschen Leichtigkeit zu sorgen, und das hilft den Menschen tatsächlich dabei, die Ressourcen zu finden und
zu mobilisieren, die in ihnen stecken. Es ist klar, dass wir es mit etwas sehr Ernstem und Schwerwiegendem zu tun haben, aber wir müssen trotzdem noch leben.“
Heute gehört es zu dem wachsenden Aufgabenfeld von Pflegekräften, die Patienten zu beobachten und zu behandeln, sie an den Onkologen zurückzuverweisen, Fragen zu beantworten und Informationen leicht zugänglich und leicht verständlich
zu machen. Tina lernt die innersten Gedanken und Ängste ihrer Patientinnen kennen, aber auch Einzelheiten über ihre körperlichen Symptome. Sie bemüht sich, ihnen Zuversicht zu geben, damit sie sich etwas entspannen und akzeptieren
können, dass das, was mit ihnen geschieht, alles zu dem Prozess gehört und vorübergehen wird.
„Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, ihnen das glaubhaft zu vermitteln. Dann kann ich sie dazu bringen, sich auf das zu konzentrieren, was sie im Augenblick brauchen.“
Gute und schlechte Tage
„Unsere Patientinnen haben manchmal Probleme mit ihrem Körperbewusstsein, weil sie ihre Haare und ihre Augenwimpern verloren haben und völlig erschöpft sind. Wenn sie also hereinkommen und ich sehe, wie müde und traurig sie sind,
spreche ich sie darauf an. Dann nehme ich mir etwas Zeit, um über das Problem selbst zu reden, bevor wir zu der praktischen Arbeit mit der Chemotherapie kommen.“
Tina fügt hinzu: „Es ist gut, wenn eine Patientin hereinkommt und mir von etwas erzählt, das sie gemacht hat und das ihr Selbstvertrauen fördert. Das kann sein, wenn jemand spazieren gegangen ist, obwohl sie sich völlig erschöpft
fühlte. Wenn mir eine Patientin so etwas erzählt, dann weiß ich, dass sie mir zugehört hat und etwas tut, das sich positiv auf den Behandlungsprozess auswirkt. Dann unterstütze ich sie und sage ihr, dass sie genau das Richtige
getan hat, und wenn sie mir ihre Geschichte erzählt, inspiriert sie das dazu, noch mehr zu tun.“
Zum Schluss sagt sie: „Andere zu motivieren, ist nicht so leicht wie es klingt, aber wenn es mir gelingt, dann ist es eine echt gute Erfahrung. Wir bekommen für unsere Arbeit viel Anerkennung, und ich glaube, das hat damit zu tun, dass wir
uns die Zeit nehmen, uns zu ihnen zu setzen, und zu verstehen versuchen, was für sie wichtig ist und wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Das ist nichts Aufregendes – man muss einfach dasitzen und zuhören und auf dem aufbauen,
was man sieht.“