Kann Kultur Abfall eine neue Bedeutung geben?

1 June 2022
News release
Reading time:
Angesichts einer wachsenden Dringlichkeit bei der Verfolgung globaler Klimaschutzziele werden Lösungsansätze benötigt, die über technische Innovationen hinausgehen und ein breites Spektrum von Einflussfaktoren und dabei auch die kulturellen Rahmenbedingungen verstärkt berücksichtigen. In einem heute von WHO/Europa veröffentlichten Bericht sollen die Rolle verhaltensbezogener und kultureller Rahmenbedingungen beim Umgang mit Abfällen und ihr Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden untersucht werden. 

Der Bericht befasst sich mit den Aufgaben von Kultur bei der Entstehung und Entsorgung von städtischen Festabfällen (im Gegensatz zu Industrieabfällen und Klärschlämmen) sowie mit der Frage, wie dies die Voraussetzungen für Gesundheit und Wohlbefinden beeinflusst. 

Angesichts der Ausbreitung der Konsumkultur steht Abfall symbolisch für Bedeutungslosigkeit. Gestützt auf Erkenntnisse aus den Gesundheits-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, hebt der Bericht die Bedeutung einer Neubesetzung der Abfallentsorgung als sinnvollen Vorgang auf individueller, kommunaler und nationaler Ebene hervor. Anhand von Fallbeispielen über bewährte Praktiken aus den Mitgliedstaaten der WHO wird veranschaulicht, wie Strategien zur Vermeidung, Wiederverwendung und Verwertung von Abfällen oft tief kulturell verwurzelt sind und wie sie durch Bürgerinitiativen mobilisiert werden können, sofern die Regierungen die nötigen Voraussetzungen schaffen. 

Der Bericht basiert auf einer Bestandsaufnahme von 193 Artikeln und wird im Rahmen der Serie der zusammenfassenden Berichte des Health Evidence Network veröffentlicht.

Was ist die kulturelle Perspektive? 


Ein kultureller Ansatz geht von der Prämisse aus, dass verschiedene Gruppen sich auf ein breites Spektrum von Kategorien, Annahmen und moralischen Einstellungen stützen. Kultur ist ein komplexes Terrain, das einander überschneidende politische, wirtschaftliche, ökologische, rechtliche, ethische und moralische Praktiken und Wertvorstellungen umfasst, die Verhalten und Erfahrungen in Bezug auf Abfall und Gesundheit prägen. Kulturelle Einflussfaktoren wirken auch auf verschiedenen Ebenen, von lokalen Gebräuchen bis zu nationalen Normen. 

Eine kulturelle Perspektive hilft politischen Entscheidungsträgern dabei, unterschiedliche Arten von Erkenntnissen, Zuständen und Handlungen zwischen wie auch innerhalb von Regionen und demografischen Gruppen zu verstehen. Sie trägt auch der Vielfalt innerhalb scheinbar gemeinsamer Kulturen Rechnung, was angesichts der ungleichen Verteilung der negativen Auswirkungen der Entstehung, Behandlung und Entsorgung von Abfällen besonders wichtig ist. Eine kulturelle Perspektive kann dazu verwendet werden, die Wahrnehmung und Erfahrung dieser Benachteiligungen zu verstehen und kontextsensible Interventionen zu entwickeln, die größere Erfolgsaussichten bei der Verringerung von Schäden und bei der Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden haben. 

Eine Schlüsselrolle für Gemeinschaften und Bürgerbeteiligung 


Eine Berücksichtigung von Unterschieden zwischen und innerhalb von Kulturen kann vielfältige Ansatzpunkte für sinnvolle Interventionen offenlegen. Bei Vorschriften, Gesetzen und Anreizen gilt es die kulturellen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, die Einfluss auf die vorgelagerte Abfallentstehung (eine weit verbreitete Konsum- und Wegwerfkultur) und die nachgelagerte Abfallentsorgung (Entsorgung, Wiederverwendung, Verwertung usw.) haben. Der Bericht unterstreicht, wie die Einbindung von Menschen und Gemeinschaften in politische Entscheidungsprozesse über Abfall der Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden dient. 

Dies setzt die Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses zwischen verschiedenen Akteuren voraus, die in der Abfallwirtschaft tätig oder von ihr betroffen sind, aber auch die Förderung partizipatorischer Entscheidungsprozesse auf diesem Gebiet, die lokale Akteure einbeziehen, um die Anliegen und Wahrnehmungen der örtlichen Bevölkerung in Bezug auf die entstehenden Schäden besser zu verstehen, Prioritäten zu setzen und sinnvoll in Angriff zu nehmen. Auch Initiativen an der Basis, wie Sanierungsmaßnahmen, Kunstprojekte oder Wissenschaftsinitiativen unter der Regie der Kommunen, können unterstützt und ausgeweitet werden, um Veränderungen anzustoßen und für Nachhaltigkeit zu sorgen.