Wann ist ein Screening gegen Krebs angezeigt?

2 February 2022
News release
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Ein neuer Leitfaden von WHO/Europa, der am 2. Februar im Vorfeld des Weltkrebstages 2022 veröffentlicht wird, soll Politikern dabei behilflich sein, den Nutzen der in ihrem Land vorhandenen Krebs-Screening-Programme zu erhöhen und zu entscheiden, ob neue Programme eingeführt werden sollen. 

In diesem Leitfaden werden einige weit verbreitete falsche Vorstellungen ausgeräumt, etwa dass Technologien zur Früherkennung von Krebs, sofern vorhanden, auch genutzt werden sollten. Darüber hinaus ist der Leitfaden eine leicht zu lesende Zusammenfassung der wichtigsten Konzepte, Sachfragen und ethischen Aspekte in Verbindung mit Krebsfrüherkennungsuntersuchungen.

Eine zentrale Botschaft lautet, dass es ebenso wichtig ist zu wissen, wann solche Früherkennungsuntersuchungen unterbleiben sollten, wie zu wissen, wann sie sinnvoll sind. „Screenings sind aufwändig und komplex und können leicht mehr Schaden als Nutzen bringen, wie Experten der WHO bei der Evaluation von Programmen in den Ländern nur zu oft feststellen“, sagt Marilys Corbex, Leitende Fachreferentin bei WHO/Europa. „Es kommt darauf an, dass politische Entscheidungsträger das Für und Wider von Screenings bei verschiedenen Krebsarten verstehen und sich auch über die Risiken und Kompromisse bei größeren Investitionen in Screeningprogramme im Klaren sind. Politik, Gesundheitsfachwelt und Öffentlichkeit scheinen sich oft nicht der möglichen Schadwirkung von Screenings, seiner Kosten, der Belastung für das Gesundheitswesen und der Notwendigkeit leistungsfähiger Systeme bewusst zu sein.“

Ethische Aspekte von Screenings


Die Entscheidung, ob Screenings für eine bestimmte Art von Krebs zu empfehlen sind, kann anhand bewährter Grundsätze getroffen werden. Diese zielen darauf ab, die Patienten vor Schaden und Ausbeutung zu bewahren und einen ineffizienten Umgang mit Ressourcen zu vermeiden.

„In diesem Leitfaden wird unterstrichen, dass Krebsfrüherkennungsuntersuchungen nicht nur aus einem Test bestehen, sondern auch Teil eines Screening-Pfades sind, und vor Einführung eines neuen Screening-Programms muss die Politik sich vergewissern, dass alle Schritte auf diesem Pfad schnell und kostenlos durchgeführt werden können“, erklärt Marilys Corbex. „Wenn nicht alle Schritte möglich sind, etwa in Ländern, in denen Krebserkrankungen häufig erst spät diagnostiziert werden, dann ist es besser, die Ressourcen statt eines Screening-Programms lieber auf die Schaffung eines soliden Frühdiagnoseprogramms zu verwenden.“

Ein weiterer zentraler Grundsatz, der in dem Leitfaden hervorgehoben wird, besteht darin, dass es ausreichende Einrichtungen für die Diagnose und Behandlung von durch Früherkennung ermittelten Krebsfällen geben sollte. Dies mag offensichtlich erscheinen, doch wo Früherkennung außerhalb eines geregelten Programms erfolgt – etwa durch kommerzielle Anbieter –, besteht eine echte Gefahr, dass Menschen ein positives Untersuchungsergebnis erhalten, ohne über Zugang zu angemessenen Diagnose- und Behandlungsangeboten zu verfügen, oder dass sie die Diagnose und Behandlung teilweise aus eigener Tasche bezahlen müssen. In dem Leitfaden kommt klar zum Ausdruck, dass es unethisch ist, für Früherkennungsuntersuchungen zu werben, wenn die Leistungsempfänger keinen Zugang zu einer wirksamen Behandlung haben.

Prüfung der Erkenntnisse für verschiedene Arten von Krebs-Screenings


Neben den Grundsätzen von Krebs-Screenings müssen die zuständigen Entscheidungsträger auch über den Erkenntnisstand zu Screenings für verschiedene Krebsarten Bescheid wissen. Auch wenn es widersinnig erscheinen mag, so sind Früherkennungsuntersuchungen doch nicht immer eine geeignete Strategie zur Bekämpfung bestimmter Krebsarten. In dem neuen Leitfaden werden die verschiedenen Krebsarten in drei Kategorien unterteilt:

  • jene, bei denen es deutliche Belege für den Wert hochqualitativer, organisierter Screening-Programme gibt;
  • jene, bei denen noch erforscht wird, ob Screening-Programme für bestimmte Krebsarten wirksam sind; und
  • jene, bei denen Screenings nicht in Erwägung gezogen werden, weil nicht davon ausgegangen wird, dass der Nutzen den Schaden übersteigt.
Gegenwärtig empfiehlt die WHO nur bei drei Arten von Krebs Screening-Programme: Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs und Darmkrebs. Mit anderen Worten: Die Wirksamkeit und Kosteneffektivität – etwa bei der Prävention von Todesfällen aufgrund der untersuchten Krebsart – ist bei diesen drei Krebsarten hinreichend erwiesen, um die Einrichtung organisierter Screening-Programme auf Bevölkerungsebene zu rechtfertigen, jedoch nicht bei anderen Krebsarten.

Die Politik muss sich darüber im Klaren sein, dass es auf der Bevölkerungsebene übereinstimmende Belege dafür gibt, dass allgemeine Früherkennungsuntersuchungen bei Erwachsenen außerhalb einer routinemäßigen Fallerkennung im Zuge der primären Gesundheitsversorgung kaum von Nutzen sind und unnötige Tests und Therapien zur Folge haben können. Eine Überdiagnose und Übertherapie kann zu Gesundheitsschäden durch unnötige Operationen und Strahlentherapien mit den damit verbundenen Risiken führen und eine Belastung für Gesundheitsetats darstellen.

Mehr bedeutet nicht unbedingt besser


Screenings auf Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs haben dort, wo sie vollständig und ordnungsgemäß im Rahmen eines Pfades für die Krebsversorgung (einschließlich rechtzeitiger Diagnose und Therapie) durchgeführt werden, den Durchbruch zur Senkung von Morbidität und Mortalität aufgrund dieser Krankheiten gebracht.

Dieser neue Leitfaden soll künftig zur Sicherheit und zum Erfolg von Krebs-Screenings beitragen. „Die Einführung eines Screening-Programms ist eine komplexe und ressourcenintensive Angelegenheit“, erklärt Dr. Nino Berdzuli, Leiterin der Abteilung Gesundheitsprogramme der Länder bei WHO/Europa. „Die Politik muss dafür Sorge tragen, dass die Einführung neuer Screening-Programme evidenzbasiert und nach den Grundsätzen für Krebs-Screenings verläuft und dass die Vorteile jeweils die Nachteile überwiegen. Dieser Leitfaden soll den Entscheidungsprozess deutlich erleichtern und unterstreichen, dass mehr nicht unbedingt besser bedeutet.“

Die wichtigsten Botschaften des Leitfadens lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Ein wirksames Krebs-Screening muss innerhalb eines Behandlungspfades erfolgen. Vor der Einführung oder Ausweitung eines Screening-Pfades muss die Politik dafür sorgen, dass alle Schritte auf diesem Pfad durchgeführt werden können. Dies schließt den Zugang zu einer frühzeitigen Diagnose und qualifizierten Behandlung samt Nachsorge ein.
  • Vor der Einführung eines Krebs-Screening-Programms sollte ein Programm zur Frühdiagnose in Erwägung gezogen werden.
  • Es gibt keine vollkommenen Früherkennungstests: es gibt immer auch falsche Positiv- und Negativbefunde.
  • Zur sinnvollen Einschätzung der tatsächlichen Wirkung eines Screening-Programms kommt es wesentlich darauf an, alle potenziellen Folgen systematisch durchzuspielen.
  • Anhand einer Reihe vereinbarter Kriterien, wie etwa der Grundsätze von Wilson & Jungner, können Politiker entscheiden, ob sie in ihrem Land ein neues Screening-Programm einführen wollen.
  • Die Einführung eines wirksamen Krebs-Screening-Programms ist ein komplexes Unterfangen, das ein hohes Maß an Führungskompetenz und Koordinierung erfordert.
  • Wenn ein Screening-Programm erfolgreich sein soll, muss es hohe Qualitätsanforderungen erfüllen und von der Bevölkerung umfassend in Anspruch genommen werden.
  • Krebs-Screening-Programme müssen straff organisiert sein, wenn sie kosteneffektiv zur Senkung der Krebssterblichkeit beitragen sollen.
Die Länder sollten sich darauf konzentrieren, die vielversprechendsten Optionen der WHO für Screening-Programme umzusetzen und dabei zunächst dem Gebärmutterhalskrebs und dann dem Brust- und Darmkrebs Vorrang einräumen und ferner auf Qualitätssicherung und einen hohen Versorgungsgrad achten, bevor sie die Einführung neuer Screening-Programme für andere Krebsarten in Erwägung ziehen.