Während der Weltstillwoche hebt WHO/Europa die Erfahrungen Schwedens mit der Erfassung von Daten für ein besseres Verständnis der Gründe für sinkende Stillraten hervor. Zwei im Laufe des Jahres 2020 in der Region Schonen durchgeführte Online-Umfragen ergaben, dass sich die örtliche Bevölkerung des gesundheitlichen Nutzens des Stillens für Kind und Mutter nicht bewusst ist und dass die Leistungsangebote für die Ernährung von Säuglingen besser abgestimmt werden müssen. Dies hat den schwedischen Behörden dabei geholfen, die örtliche Praxis anzupassen und von der WHO empfohlene Instrumente wieder einzuführen.
Die beste Option für die Ernährung von Säuglingen
In Schweden sind sowohl Stillbeginnrate als auch Stilldauer relativ hoch im Vergleich zu anderen Ländern der Europäischen Region: so lag die Stillbeginnrate 2018 bei 94%. Doch in demselben Jahr erreichten nur 11% der Mütter die von der WHO normal empfohlene Dauer von sechs Monaten ausschließlichen Stillens. Insgesamt wird seit den 1990er und frühen Nuller-Jahren ein Rückgang des Stillens verzeichnet.
Als Reaktion darauf beauftragte der Regionalrat der Region Schonen das Kompetenzzentrum für die Gesundheit von Frauen und Kindern mit der Ausarbeitung eines Strategieplans zur Erforschung und Bekämpfung des negativen Trends beim Schutz und bei der Förderung von Stillen.
„Stillen ist die beste Option für die Ernährung von Säuglingen“, sagte Clare Farrand, Fachreferentin für Ernährungsfragen beim Europäischen Büro der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (Fachzentrum für nichtübertragbare Krankheiten). „Es ist in emotionaler, ernährungsmäßiger und gesundheitlicher Hinsicht von Nutzen und schützt Kinder und Mütter vor nichtübertragbaren Krankheiten wie Herz- und Krebserkrankungen. Und es ist auch Teil eines nachhaltigen Ernährungssystems.“
Gründe für den Trend
Um die Situation in Schweden besser zu verstehen, wurden zwei Untersuchungen durchgeführt, von denen eine auf eine Bestandsaufnahme des Stillens in Gesundheitseinrichtungen und die zweite auf die Erforschung von Einstellungen und Wissen der örtlichen Bevölkerung und ein tieferes Verständnis der zugrunde liegenden Einflussfaktoren abzielte, die bestimmen, ob und in welchem Maße Frauen in Schonen stillen.
Die Untersuchungen kamen zu folgenden Ergebnissen:
- Es herrscht immer noch ein hohes Maß an Unsicherheit hinsichtlich des gesundheitlichen Nutzens des Stillens für Kinder und Mütter. 99% der Befragten waren sich darüber einig, dass Stillen ein natürlicher Vorgang ist, aber nur drei von zehn waren sich dessen bewusst, dass es das Brustkrebsrisiko senkt.
- Gegenwärtig gibt es in Schonen keine regionale Behörde, die die Förderung des Stillens koordiniert. Gesundheitsfachkräfte, die an der Untersuchung teilnahmen, bezeichneten die zur Verfügung stehenden schriftlichen Konzepte für das Stillen und die Ernährung von Säuglingen als unzureichend. Außerdem wird die Stillberatung als niedrige Priorität bei der Versorgung von Neugeborenen eingestuft.
- Verstöße gegen den Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten sind in Gesundheitseinrichtungen weit verbreitet. 91% der Pflegekräfte in der Pädiatrie gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten von Vertretern der Säuglingsnahrungsindustrie kontaktiert worden zu sein. 80% von ihnen erhielten kostenlose Proben zur Verteilung an Familien.
- Die Fachkompetenz der Beschäftigten muss bewertet und gestärkt werden. Seit der Erstausbildung hatten nur 32% der Befragten eine Fortbildung in Stillberatung absolviert, und die Mehrheit sah für sich einen Fortbildungsbedarf auf diesem Gebiet.
Instrumente der WHO und vorbildliche Praktiken
Die Präsenz von Säuglingsnahrungsherstellern in schwedischen Gesundheitseinrichtungen hat den Regionalrat dazu veranlasst, vorbildliche Praktiken umzusetzen und ein strenges Kontroll- und Evaluationsverfahren einzuführen. Zum Schutz des Stillens wurde der mit Leistungsanbietern in der Region abgeschlossene Vertrag mit Wirkung vom 1. Januar 2021 geändert und enthält nun eine Verpflichtung für alle Einrichtungen, die eine vor- und nachgeburtliche Versorgung von Kindern anbieten, sich vollständig an die Vorgaben des Internationalen Kodex zu halten.
„Wir spüren die Notwendigkeit einer dringenden Neubelebung der Initiative Babyfreundliches Krankenhaus, die erstmals in den frühen 90er Jahren eingeführt, seitdem aber nicht umfassend evaluiert wurde“, erklärte Anna Kjellbom, Allgemeinärztin am Kompetenzzentrum für die Gesundheit von Frauen beim Regionalrat in Schonen. „Um Stillen zu fördern, muss die Sensibilisierung der Bevölkerung für den gesundheitlichen Nutzen des Stillens zu einer vorrangigen Aufgabe für die Gesundheitspolitik werden. Die Aufklärung von Gesundheitspersonal und Eltern würde eine insgesamt positive Einstellung gegenüber dem Stillen begünstigen und weitreichenden Nutzen für Familien und Gesellschaft mit sich bringen.“
Das Fachzentrum für nichtübertragbare Krankheiten unterstützt alle Länder in der Europäischen Region bei der Ausweitung der Initiative Babyfreundliches Krankenhaus, bei der Stärkung des Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten, bei der Verbesserung der Gesundheitskompetenz und bei der Surveillance von Stillpraktiken.
Das Fachzentrum für nichtübertragbare Krankheiten betreut auch die regelmäßige Webinar-Reihe „Förderung, Schutz und Unterstützung des Stillens in der Europäischen Region der WHO“, deren inhaltliche Schwerpunkte auf aktuellen gesundheitlichen, klinischen und physiologischen Aspekten von Stillen, Muttermilch und Laktation liegen. Die Reihe soll den Mitgliedstaaten Informationen geben, die sie zur Verbesserung ihrer evidenzbasierten Überzeugungsarbeit sowie der Politikgestaltung und Programmumsetzung benötigen.