Nach mehr als drei Jahren Krieg in der Ukraine zeigen sich die tiefgreifenden Auswirkungen auf das Gesundheitssystem. In Gebieten nahe der Frontlinie waren die Schäden an kritischen Infrastrukturen und die Unterbrechung der Verfügbarkeit von Leistungen besonders groß.
Ein neuer Bericht der WHO mit dem Titel „Bewertung der Sofortmaßnahmen und Wiederaufbaubemühungen des Gesundheitssystems durch die Bevölkerung in den vom Krieg betroffenen Gebieten der Ukraine: Stimmen von der Frontlinie“ gibt Aufschluss über die Wahrnehmung der örtlichen Bevölkerung hinsichtlich der Auswirkungen des Krieges auf die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Gesundheitsleistungen sowie über ihre Erfahrungen und Hoffnungen in Bezug auf einen Wiederaufbau.
Die Bemühungen um den Wiederaufbau des Landes sind bereits im Gange. Die WHO in der Ukraine trägt hierzu wesentlich bei, indem sie 29 modulare Kliniken für die primäre Gesundheitsversorgung eingerichtet hat, medizinische Notfallteams unterstützt und der ukrainischen Regierung bei der Ausarbeitung längerfristiger Wiederaufbaupläne behilflich ist.
„Die Einbeziehung der Ansichten der Bevölkerung in den Wiederaufbau trägt dazu bei, die Relevanz, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit aller Wiederaufbaumaßnahmen zu gewährleisten“, sagte Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine. „Diese Erkenntnisse werden die weitere Unterstützung der WHO beim Aufbau von Gesundheitssystemen prägen, die Vertrauen schaffen und den Erwartungen der Bevölkerung an ihre Zukunft gerecht werden können.“
Auswirkungen des Krieges auf Ausstattung und Zugänglichkeit des Gesundheitssystems
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass zahlreiche Gesundheitseinrichtungen durch russische Militäraktionen beschädigt oder zerstört wurden. In den Gebieten, die 2022 besetzt wurden, stellt die Plünderung medizinischer Ausrüstung eine zusätzliche Herausforderung dar. Die Folgen der Besatzung haben dazu beigetragen, dass das Gesundheitspersonal abwandert und die Funktionsfähigkeit der örtlichen Gesundheitseinrichtungen beeinträchtigt wird.
„Allen Krankenhäusern fehlt es an Ausrüstung. Während der Besatzung wurde alles gestohlen, alles – sogar die alten Krankenwagen. Sie haben sie mitgenommen“, sagte ein Teilnehmer aus dem Oblast Mykolaiw.
Der Personalmangel hat sich als Hauptgrund für die geringere Verfügbarkeit von Leistungen in der primären Gesundheitsversorgung und der fachärztlichen Versorgung erwiesen, wobei Sicherheitsbedrohungen, Traumata und Umzugsentscheidungen zu Personalabgängen beigetragen haben. Dies hat in vielen Bereichen zu einer erhöhten Arbeitsbelastung der Mitarbeiter und oft sogar zum Burnout geführt. Sicherheitsbedrohungen stellen nach wie vor ein großes Hindernis für den Zugang dar, und der Weg zu Gesundheitseinrichtungen ist oft gefährlich.
Die Bevölkerung vieler Gebiete in Nähe der Frontlinie besteht heute hauptsächlich aus älteren und gefährdeten Menschen mit komplexen gesundheitlichen Bedürfnissen.
„Es ist schwierig, eine medizinische Einrichtung zu erreichen, wenn das gesamte Versorgungsgebiet unter ständigem Beschuss steht“, sagte ein Teilnehmer aus dem Oblast Cherson.
Der Krieg hat nach Schätzungen zu 3,6 Mio. Binnenvertriebenen geführt (Stand: Oktober 2024), von denen 2,2 Mio. humanitäre Hilfe im Gesundheitsbereich benötigen. Die Studie ergab, dass die Gesundheitssysteme im Allgemeinen wirksam auf die Herausforderungen der Vertreibung reagiert haben, auch wenn administrative Hindernisse und begrenzte Kapazitäten für die primäre Gesundheitsversorgung in Gebieten mit hohem Bedarf nach wie vor Hindernisse darstellen.
Positive Wirkung der aktuellen Gesundheitsreform
Trotz dieser Herausforderungen belegt die Studie, dass das Programm für medizinische Garantien und das Programm für bezahlbare Arzneimittel in der Ukraine die finanziellen Hindernisse für den Zugang zur Gesundheitsversorgung verringert haben. Der universelle Charakter des Versicherungsschutzes hat den Zugang insbesondere für Binnenvertriebene erleichtert, da sie in ihren Aufnahmegemeinden einen Anspruch auf Versorgung haben.
„Die Reform hat starke Auswirkungen [auf die Patienten]“, berichtet ein leitender Arzt in einer Klinik für primäre Gesundheitsversorgung im Oblast Saporischschja. „Das einfachste Beispiel, das ich Ihnen nennen kann, ist Asthma. Vor der Reform wurden die Menschen nicht richtig versorgt, weil Kombinationsinhalatoren für sie zu teuer waren. Jetzt, da die Kombinationsinhalatoren in das Programm [für bezahlbare Arzneimittel] aufgenommen wurden, haben viele Patienten endlich die Möglichkeit, ihre Krankheit und ihre Symptome behandeln zu lassen, da sie diese Inhalatoren kostenlos erhalten können.“
Der Bericht enthält die Ergebnisse von Interviews und von Diskussionen mit Themengruppen, die von Juni bis Dezember 2024 mit Kommunalbeamten, Klinikleitern, Gesundheitsfachkräften und Bewohnern von Gebieten im Umkreis von 50 Kilometern um die Frontlinie in den Oblasten Cherson, Mykolajiw und Saporischschja sowie mit Binnenvertriebenen in den Oblasten Dnipro, Poltawa und Mykolajiw geführt wurden, in denen eine große Zahl von Vertriebenen leben.
Bevölkerung hofft auf umfassende Erholung
Die Bevölkerung hat Erwartungen an den Wiederaufbau des Gesundheitssystems geäußert, die über den Wiederaufbau der Infrastruktur hinausgehen. Dabei wurden zwar die Bemühungen für einen raschen Wiederaufbau nach der Vertreibung der Besatzer positiv bewertet, doch bezeichneten die Befragten den Mangel an Arbeitskräften als zentrale Herausforderung für einen sinnvollen Wiederaufbau.
„Die materielle Grundlage verbessert sich schon – es ist klar, dass wir mehr Geräte erhalten werden. Aber bei den Ärzten weiß ich nicht, wie ich sie zurücklocken kann, und darauf kommt es an. [ . . . ] Mit einem Stück Eisen allein kann man doch nichts heilen, oder? Es muss jemanden geben, der weiß, wie man es benutzt“, sagte ein Teilnehmer aus dem Oblast Cherson.
Es wurden finanzielle Anreize und Sachleistungen gefordert, um die Einstellung und Bindung von Personal zu fördern, vor allem im Bereich der primären Gesundheitsversorgung, aber auch ehrgeizige langfristige Wiederaufbaukonzepte, die darauf abzielen, Hoffnung zu wecken, die Rückkehr von Binnenvertriebenen zu fördern und andere zu motivieren, eine Laufbahn in lokalen Gesundheitseinrichtungen einzuschlagen.
Das WHO-Länderbüro in der Ukraine hat diese Untersuchung in Zusammenarbeit mit dem Ukrainischen Institut für Sozialforschung sowie mit finanzieller Unterstützung der kanadischen Regierung und der Partnerschaft der WHO für eine allgemeine Gesundheitsversorgung durchgeführt.