Die WHO stärkt die Handlungsfähigkeit der Ukraine gegen sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, indem sie Gesundheitspersonal und Gesundheitseinrichtungen in die Lage versetzt, eine bedarfsgerechte Versorgung bereitzustellen.
Mit Mitteln der kanadischen Regierung sowie der Unterstützung durch das ukrainische Gesundheitsministerium und zivilgesellschaftliche Organisationen hat die WHO mehr als 60 Ärzte, Pflegekräfte und Klinikleiter in den Regionen Odessa, Dnipropetrovsk und Kiew für die Versorgung von Überlebenden geschlechtsspezifischer Gewalt geschult.
Auf der Grundlage der Leitlinien der WHO und der nationalen Gesetze über sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt vermittelte die zweitägige Schulung den Teilnehmern die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erkennung der Anzeichen von Gewalt, zur angemessenen gesundheitlichen Versorgung und psychosozialen Betreuung der Betroffenen und zur Überweisung an die jeweils zuständigen sozialen und juristischen Stellen.
„Das Gesundheitswesen spielt eine Schlüsselrolle bei der Reaktion auf geschlechtsspezifische Gewalt, also körperliche, sexuelle und emotionale Gewalt, die stets schwerwiegende Auswirkungen auf die körperliche, psychische und reproduktive Gesundheit der Betroffenen haben kann“, erklärte Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine.
„Seit der Invasion der Ukraine durch die Russische Föderation im Februar sind Frauen und andere Bevölkerungsgruppen verstärkt sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, sodass Präventions- und Hilfsmaßnahmen wichtiger denn je sind. Die WHO ist entschlossen, die Ukraine bei der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt als einem dringlichen Problem für die Gesundheitspolitik zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass Gewaltopfer eine hochwertige und bedarfsgerechte Versorgung erhalten.“
Für manche ist der Arzt die einzige Unterstützung
Geschlechtsspezifische Gewalt ist eine weit verbreitete Menschenrechtsverletzung, die Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit hat. Nach gegenwärtigen Schätzungen waren zwei Drittel aller ukrainischen Frauen im Laufe ihres Lebens psychologischer, körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt, und 18% der Frauen und Mädchen in der Altersgruppe von 15 bis 49 Jahren haben Gewalt durch Intimpartner erlebt. Die russische Invasion der Ukraine hat zu einer Zunahme der sexuellen und geschlechtsspezifischen Gewalt sowie zu durch den Konflikt bedingter sexueller Gewalt geführt. Doch die meisten Fälle werden nie angezeigt.
„Gegenwärtig gehen über 90% der Frauen, die Gewalt erlebt haben, nicht zur Polizei“, sagte Yefimenko Olena Volodymyrivna, Leiterin der Abteilung Gesundheit in der Bezirksverwaltung Kiew. „Doch wenn wegen der Gewalt medizinische Probleme auftreten, gehen sie zum Arzt. Deshalb müssen Ärzte dafür geschult werden, Anzeichen von Gewalt zu erkennen und dann möglichst effizient Hilfe zu leisten. Schulungen wie diese werden gebraucht, um in allen Gesundheitseinrichtungen ein umfassendes System der Hilfe für die Überlebenden aufzubauen.“
Die Ukraine hat die auch als Istanbuler Konvention bekannte Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt im Juni 2022 ratifiziert, in der Mindestanforderungen an die Vorbeugung gegen, den Schutz vor sowie die Verfolgung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt festgelegt werden. Die Regierung der Ukraine ist entschlossen, mit Unterstützung durch die WHO die Maßnahmen und Mechanismen des nationalen Gesundheitswesens zur Unterstützung der Überlebenden von Gewalt zu verstärken.
„Als Hausärzte müssen wir verstehen, dass die Versorgung von Überlebenden geschlechtsspezifischer Gewalt unsere Pflicht und fester Bestandteil unserer täglichen Arbeit ist“, sagte Svitlana Vedmid, Hausärztin und medizinische Direktorin in der Region Dnipro und Teilnehmerin der Schulung. „Hausärzte sind oft die Hauptverbindung zu anderen Angeboten, etwa im Bereich der psychischen Gesundheitsversorgung, und oft auch die erste Anlaufstelle für Gewaltopfer. Für manche ist der Arzt die einzige Unterstützung, wenn etwas passiert.“
„Meine Motivation zur Unterstützung von Überlebenden geschlechtsspezifischer Gewalt ist Empathie“, fügte Tetyana Volkovich, eine Hausärztin aus Pavlograd in der Region Dnipropetrovsk, hinzu. „Als Ärztin muss ich Mitmenschen helfen. Diese Schulung hat uns bessere Kenntnisse und Instrumente dafür an die Hand gegeben. Bisher haben wir immer unsere Vorgesetzten über Fälle von Gewalt informiert, aber jetzt haben wir einen Plan eingeführt, der uns in solchen Fällen ein unabhängiges Handeln ermöglicht, und wir haben die Nummern von mobilen Teams und Notunterkünften in unserer Stadt erfahren.“
Die WHO bemüht sich gemäß den Empfehlungen der Resolution 67.15 der Weltgesundheitsversammlung und der Strategie zur Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens von Frauen in der Europäischen Region auch weiterhin, die Bekämpfung sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt durch das ukrainische Gesundheitswesen zu unterstützen, um die lebensrettende Versorgung von Frauen, Mädchen und anderen Risikogruppen wie Menschen mit Behinderungen, der LGBTQI+-Community und Vertriebenen sicherzustellen. Zusammen mit dem Gesundheitsministerium und Partnerorganisationen aus der Zivilgesellschaft will die WHO im Rahmen ihrer humanitären Hilfe die Schulungen für das Gesundheitspersonal auf insgesamt acht Regionen ausweiten.