Die sich rapide entwickelnden Online-Technologien, die den Nutzern ein noch tieferes Eintauchen in eine virtuelle Realität ermöglichen, müssen nicht unbedingt zu Bewegungsmangel und ungesunden Lebensgewohnheiten beitragen.
Deshalb sucht WHO/Europa mit Unterstützung durch die Mitgliedstaaten innerhalb der neuen digitalen Medien und Unterhaltungsformate nach Möglichkeiten zur Förderung gesünderer Lebensgewohnheiten.
Tiefer ins Web eintauchen: wo liegen die Risiken?
Das Internet, wie wir es kennen, mit Browsern und Plattformen der sozialen Medien wandelt sich zu einem neuen digitalen Ökosystem, das bei Technik-Begeisterten unter der Bezeichnung „Web 3.0“ geführt wird. Die digitalen Konzerne investieren bereits in neue Technologien, die den Menschen die Möglichkeit geben, in das sog. „Metaversum“ einzutauchen – eine tiefe virtuell erweiterte Realität, eine Mischung aus sozialen Medien und einem gigantischen Online-Videospiel.
„Aus gesundheitlicher Sicht wird das als Herausforderung gesehen. Wenn man mehr Zeit online verbringt und mit dem Metaversum verbunden ist, kann sich das negativ auf das Bewegungsverhalten auswirken und der Wirtschaft viele neue Chancen eröffnen, für schädliche Produkte wie Fast Food, Tabak und Alkohol zu werben“, erklärt Dr. Kremlin Wickramasinghe, kommissarischer Leiter des Europäischen Büros der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (Fachzentrum für nichtübertragbare Krankheiten).
In diesem frühen Stadium, in dem die verschiedenen Akteure noch an der Entwicklung dieses Raums arbeiten, sollten Politiker und Gesundheitsexperten Gesundheitsförderungsstrategien klar festlegen und in die digitalen Ökosysteme integrieren.
In jüngster Zeit hat die WHO eine Reihe von Veranstaltungen organisiert und ein Faktenblatt mit dem Titel „Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten mit Hilfe digitaler Lösungen“ veröffentlicht, in dem einige Beispiele für vom Fachzentrum für nichtübertragbare Krankheiten verwendete Lösungsansätze im Bereich der digitalen Gesundheit erläutert werden.
„Wir brauchen ein besonderes Augenmerk auf gesunde Ernährung“
Eine Bewegung für die Schaffung eines gesünderen digitalen Ökosystems macht sich schon im Netz bemerkbar. Jacob, ein begeisterter Gamer aus dem Vereinigten Königreich, erklärt der WHO seine Vorstellungen über Werbung für gesündere Ernährung bei den Herstellern von Online-Spielen: „Ich bin mit Videospielen aufgewachsen. Ich spiele sie, solange ich mich erinnern kann. Und seit ich mich dafür interessiere, werde ich mit Werbung für Fast Food bombardiert“, erzählt Jacob.
Ähnlich wie die sozialen Medien ermöglichen beliebte Online-Spiele die Vermarktung ungesunder Produkte an Kinder und Jugendliche, indem Werbung direkt in die Spiele eingebettet wird.
Die Bekämpfung solcher Praktiken ist nach wie vor schwierig. Deshalb gehört Jacob zu den führenden Köpfen in der gemeinnützigen Organisation Bite Back 2030, die für die dringende Thematik einer gesünderen Ernährung und einer leichteren Verfügbarkeit gesunder Ernährungsoptionen für Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter sensibilisieren will.
„Videospiele tragen sehr dazu bei, Menschen zusammenzubringen. Ich habe durch diese Spiele viele Freunde gewonnen. Ich glaube wirklich, dass Videospiele etwas Gutes bewirken können, deshalb brauchen sie so etwas. Sie brauchen ein besonderes Augenmerk auf gesunde Ernährung.“
Schaffung eines gesünderen Metaversums
Digitale Werbung ist ein Milliarden-Dollar-Geschäft. Die sozialen Medien bieten eine großartige Gelegenheit zur Online-Werbung für ungesunde Produkte, da diese in vielen Ländern der Europäischen Region eine rechtliche Grauzone ohne feste Regeln darstellt.
Darüber hinaus können digitale Formate Werbung für Tabakprodukte, ungesunde Lebensmittel und alkoholische Getränke effektiv als vom Nutzer generierte Posts, Memes, Artikel oder Unterhaltungsformate tarnen.
„Um mehr Durchschlagskraft zu entwickeln, müssen Regierungen und Politiker ihre Forderungen an die wichtigsten Online-Plattformen bündeln, die eine massive Wirkung auf das Online-Verhalten der Menschen haben. Diese Plattformen können ihr Verhalten in Bezug auf alle möglichen Gesundheitsthemen ändern und so ein gesünderes Ökosystem in der Europäischen Region und weit darüber hinaus schaffen“, sagte Tobin Ireland, Berater beim Europäischen Büro der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten, während der Konferenz Digital4NCD im Dezember in Moskau.
Chancen für neue Konzepte
Ungesunde Gewohnheiten, ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel sind ernste Risikofaktoren für nichtübertragbare Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs.
Nichtübertragbare Krankheiten sind für über 80% aller vorzeitigen Todesfälle verantwortlich und damit die führenden Todesursachen. Menschen, die mit nichtübertragbaren Krankheiten leben, tragen bei einer Infektion mit COVID-19 auch ein weit höheres Risiko in Bezug auf schwere Krankheitsverläufe.
Fortschritte in den Bereichen Big Data und Künstliche Intelligenz eröffnen neue Möglichkeiten für die Überwachung der Gesundheit und die Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten. Regierungen und politische Entscheidungsträger in der gesamten Europäischen Region der WHO können diese Daten dazu nutzen, die digitale Welt zu kontrollieren.
Die WHO strebt ein verstärktes Handeln gemäß dem Europäischen Arbeitsprogramm 2020–2025 (EPW) und dessen Motto „Gemeinsam für mehr Gesundheit“ an.
„Befähigung zu selbstbestimmtem Handeln mit Hilfe digitaler Gesundheitsangebote“ ist eine der vier Flaggschiff-Initiativen des EPW und dient der Ergänzung von Initiativen verschiedener Länder und Partnerinstitutionen durch Bereitstellung fachlicher und konzeptioneller Empfehlungen und Informationen über die Sicherheit und Wirksamkeit digitaler Gesundheitslösungen bei gleichzeitiger Wahrung der gesundheitlichen Chancengleichheit, der Gleichheit zwischen den Geschlechtern und der Menschenrechte als zentrale Werte.