Kopenhagen, 6. April 2022
Angesichts alarmierender Berichte über Tausende bedrohte Menschenleben infolge unterbrochener HIV-Behandlungen stellen die WHO und der Aids-Nothilfeplan des Präsidenten der Vereinigten Staaten (PEPFAR) zusammen mit den ukrainischen Behörden sowie mit Partnerorganisationen die Versorgung mit antiretroviralen Medikamenten (ARV) sicher, indem sie einen Großteil des Bedarfs sämtlicher bekanntermaßen mit HIV lebender Personen in der Ukraine für die nächsten zwölf Monate decken.
„Dieser Krieg gefährdet die hart erkämpften Fortschritte der vergangenen Jahre bei einer Reihe von Gesundheitsthemen wie HIV. Wir durften das nicht zulassen, nachdem die Ukraine in Bezug auf HIV in die richtige Richtung abgebogen war und den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten sowie zu Diagnose- und Behandlungsangeboten zügig verbessert hatte“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.
Die WHO hat zusammen mit dem PEPFAR, dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, dem Zentrum für öffentliche Gesundheit beim ukrainischen Gesundheitsministerium (UPHC) und nichtstaatlichen Organisationen wie der Alliance for Public Health und 100% Life 209 000 Packungen des antiretroviralen Medikaments TLD (Tenofovir, Lamivudin und Dolutegravir) beschafft.
Damit ist ein Großteil des Bedarfs sämtlicher bekanntermaßen mit HIV lebender Personen in der Ukraine für die nächsten zwölf Monate gedeckt. Inzwischen ist die erste Lieferung mit ARV über die polnische Grenze in die Ukraine gelangt, wo sie auf verschiedene Einrichtungen zur Versorgung von HIV-Infizierten in dem vom Krieg zerrissenen Land verteilt werden soll.
Drohende Unterbrechung von Behandlungen
In der Ukraine leben nach Schätzungen etwa 260 000 Menschen mit HIV. Vor dem Krieg erhielten mehr als die Hälfte von ihnen, fast 150 000 Menschen, darunter auch über 2700 Kinder, die lebensrettende antiretrovirale Behandlung. Ohne den nun wieder hergestellten Zugang zu den Arzneimitteln wären die Betroffenen einer großen Gefahr ausgesetzt gewesen.
Um opportunistische Infektionen wie die Tuberkulose fernzuhalten, ist ein ununterbrochener Zugang zu ARV unverzichtbar. Dies entspricht der Strategie der WHO zur Bewältigung der manchmal als doppelte Epidemie bezeichneten Tatsache, dass Tuberkulose zu den häufigsten Todesursachen bei Menschen mit HIV gehört.
„Dass dies innerhalb von nur wenigen Wochen möglich war – viel schneller als je zuvor –, hat damit zu tun, dass alle sich darüber im Klaren waren, was auf dem Spiel stand: die drohende Unterbrechung von Behandlungen. Alle Beteiligten taten ihr Äußerstes, um eine Unterbrechung von Behandlungen oder eine erzwungene Umstellung auf ein anderes Medikament zu verhindern, die die Betroffenen das Leben kosten kann“, sagte Dr. Jarno Habicht, Repräsentant der WHO in der Ukraine.
Die Beeinträchtigung, Unterbrechung oder Änderung der HIV-Therapie kann Komplikationen wie Medikamentenresistenz zur Folge haben, die eine schwerwiegende Bedrohung für die Gesundheit des Patienten darstellt und die Behandlung der Krankheit erschwert und verteuert.
Neben dem hochgradig effizienten und kosteneffektiven TLD, das gerade an Gesundheitseinrichtungen in der ganzen Ukraine ausgeliefert wird, ist auch die Beschaffung zusätzlicher ARV im Gange. Demnächst wird eine Spende des HIV-Medikaments Dolutegravir ankommen, das für die Behandlung von Kleinkindern mit HIV eingesetzt wird.
Resiliente HIV-Versorgung
Der Krieg hat verheerende Auswirkungen auf das Gesundheitswesen in der Ukraine. Zwar war die Versorgung von Menschen mit HIV immer noch durch die Folgen von COVID-19 geschwächt, doch hat sie seit Beginn des Krieges Ende Februar ein bemerkenswertes Maß an Widerstandsfähigkeit unter Beweis gestellt.
Am 21. März, fast einen Monat nach Ausbruch des Krieges, hatten nur 36 der landesweit 403 Einrichtungen für antiretrovirale Behandlung geschlossen, während die Mehrzahl noch vollständig oder zumindest teilweise in Betrieb waren. Inmitten der Verwüstung in der Stadt Mariupol ist ein Zentrum zur Behandlung von HIV-Infektionen immer noch geöffnet. Sogar in vom Konflikt heftig betroffenen Regionen wie Chernihiw und Saporischschja läuft der Betrieb weiter.
Eine Reihe von Lehren aus der Pandemie kommt in den letzten Wochen der HIV-Versorgung zugute – mehrmonatige Rezepte, Auslieferung von Medikamenten auf dem Postweg und telefonische Konsultationen sind nur drei Beispiele für solche bewährte Praktiken.
Der größte Bedarf besteht in der Ukraine selbst
Während die Zahl der vor den Kämpfen Geflüchteten in der Ukraine stündlich wächst – auf aktuell über 4 Millionen –, gilt Gleiches auch für die zahlreichen Flüchtlinge, die in ihren Aufnahmeländern einen kontinuierlichen Zugang zu den verschriebenen Medikamenten benötigen.
Den Aufnahmeländern wird empfohlen, die Bereitstellung von ARV zur Fortsetzung begonnener Behandlungen zu unterstützen.
Doch da die Mehrzahl der Menschen, die ARV benötigen, Männer sind und männliche ukrainische Staatsbürger von 18 bis 60 Jahren das Land nicht verlassen dürfen, besteht der größte Bedarf an diesen Medikamenten innerhalb der Landesgrenzen.
Nach aktuellem Stand gibt es in der Ukraine etwa 6,5 Mio. Binnenvertriebene.
„Die Aufrechterhaltung der HIV-Therapien und ausreichender Bestände dort, wo Menschen vorübergehend Zuflucht finden, wird nicht nur mit Blick auf HIV, sondern auch auf andere übertragbare und nichtübertragbare Krankheiten eine ständige Herausforderung für die humanitären Helfer und für das ukrainische Gesundheitssystem sein“, stellte Dr. Habicht fest. „Die WHO und ihre Partnerorganisationen werden auch weiterhin alles in unseren Kräften Stehende tun, um sofortige wie auch längerfristige Maßnahmen zur Bewältigung der gesundheitlichen Notlage in der Ukraine umzusetzen.“