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Buğra Çankır, der erste Doktorand mit Autismus in der Türkei, spielt ein Stück von J. S. Bach, begleitet vom Orchester der Universität für Musik und Bildende Kunst in Ankara.
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Europäisches Bündnis für psychische Gesundheit ebnet den Weg für eine neue Ausrichtung im Bereich der psychischen Gesundheit und des seelischen Wohlbefindens

5 December 2022
News release
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„Die alte Normalität bestand darin, dass das Thema psychische Gesundheit immer unter den Teppich gekehrt wurde. In der neuen Normalität wird psychosoziales Wohlbefinden zu einem zentralen Prinzip in unseren Gesellschaften“, erklärte Alar Karis, Präsident von Estland, in einer aufgezeichneten Ansprache anlässlich der Eröffnung der zweiten Tagung des Europäischen Bündnisses für psychische Gesundheit. 

Der Anspruch für diese neue Normalität wurde deutlich sichtbar während der zweitägigen Veranstaltung in Ankara am 23. und 24. November 2022, die in Verbindung mit der Jahrestagung des Projektes für soziale Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Türkei stattfand. 

Psychische Gesundheitsversorgung ausgestalten und grundlegend umgestalten

Die unter dem Motto „Lokale Maßnahmen, regionsweite Umgestaltung“ stattfindende zweite Tagung des Bündnisses wurde eröffnet durch eine Klavierdarbietung von Buğra Çankır, dem ersten Doktoranden mit Autismus in der Türkei, der begleitet vom Orchester der Universität für Musik und Bildende Kunst in Ankara J.S. Bach spielte. 

Zu den über 300 persönlich anwesenden Teilnehmern kamen noch fast 200 Online-Teilnehmer hinzu, darunter Menschen mit eigenen Erfahrungen mit psychischen Gesundheitsproblemen sowie Vertreter von Regierungen, Zivilgesellschaft, wissenschaftlichen Institutionen und internationalen Organisationen. 

Sie wurden über lokale Initiativen aus verschiedenen Teilen der Europäischen Region zum Schutz des Rechts auf psychische Gesundheit und seelisches Wohlbefinden unterrichtet, darunter Maßnahmen in Norwegen und Malta zum Schutz der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz und Lehren aus der Erfüllung der psychischen Bedürfnisse der von dem Krieg in der Ukraine betroffenen Menschen.

„Wir können uns nicht auf traditionelle Methoden in der psychischen Gesundheitsversorgung verlassen, bei denen Personen mit psychischen Problemen isoliert werden. Wir dürfen nicht zu rein reaktiven Ad-hoc-Konzepten und -Initiativen zurückkehren, die aufgrund von Stigmatisierung unzureichend ausgestattet und im Umfang begrenzt sind“, sagte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, in einer während seiner Mission in die Ukraine auf Video aufgezeichneten Erklärung.

Inklusion im Mittelpunkt wirksamen Handelns

Als roter Faden durch sämtliche Sitzungen zog sich die bessere Inklusion von Menschen, die am meisten durch Untätigkeit bedroht sind, etwa Personen mit psychischen Gesundheitsproblemen und psychosozialen Behinderungen, aber auch ältere Erwachsene und jüngere Menschen, die traditionell nicht in Entscheidungsprozesse über psychische Gesundheit eingebunden werden.

Junge Menschen wie Dion Ras und Inês Mália Sarmento äußerten sich zu ihren während der Woche für psychische Gesundheit in Athen vorgebrachten Forderungen: „Wir, die jungen Mitglieder des Europäischen Bündnisses für psychische Gesundheit, wollen an der Gestaltung eines Rahmens für die Beteiligung der Jugend mitwirken“, sagte Ras in ihrer gemeinsam vorgetragenen Rede. „Wir wollen über vorbildliche Praktiken informieren. Wir wollen vermitteln, was nach unserer Erfahrung funktioniert und nicht funktioniert – denn wir sind diejenigen, die Ihre Pläne für die Einbeziehung der Jugend umsetzen.“

Die zweite Tagung des Bündnisses fand zeitgleich mit der dritten Jahrestagung des Projektes für soziale Inklusion von Menschen mit Behinderungen statt, einer Initiative der türkischen Regierung, die von der Europäischen Union und der WHO mitfinanziert wird. Das Projekt zielt darauf ab, in der psychischen Gesundheitsversorgung die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und psychosozialen Behinderungen zu verringern und eine Genesung sowie ein Leben im gewohnten Umfeld zu erleichtern.

Die Jahrestagung des Projektes wurde zusammen mit der Tagung des Bündnisses ausgerichtet, da sie ein besonders anschauliches Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Regierungen und internationalen Organisation bildet, die auch im Mittelpunkt der Arbeit des Bündnisses steht. 

„Das Gesundheitsministerium legt Wert darauf, auch weiterhin einen menschenzentrierten Ansatz zu verfolgen, der auf Nachhaltigkeit und Entwicklung basiert und möglichst wirksame Leistungen ermöglicht“, sagte Dr. Tolga Tolunay, Stellvertretender Gesundheitsminister der Türkei. „Wir haben unsere Angebote in die Praxis umgesetzt, wie in den Grundsätzen des Bündnisses vorgesehen.“

Die nächsten Schritte

Insgesamt verdeutlichte die Tagung, dass die Europäische Region der WHO über unzählige Ressourcen und Instrumente für die Förderung der psychischen Gesundheit und des seelischen Wohlbefindens verfügt, dass dazu aber höhere Investitionen und eine bessere Anpassung an konkrete lokale Umfelder erforderlich sind. 

Der Schwerpunkt des Bündnisses im kommenden Jahr wird darin bestehen, diese Ressourcen und Instrumente in den Mittelpunkt zu stellen, auch durch systematische Dokumentierung vorhandener Konzepte und evidenzbasierter Instrumente im Bereich der psychischen Gesundheit in der Europäischen Region.