WHO
Durch Beratung im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung lassen sich viele nichtübertragbare Krankheiten in der Bevölkerung verhindern.
© Credits

Wir kennen die effektiven Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit – warum wenden wir sie nicht an?

7 September 2022
News release
Reading time:
Die Länder der Europäischen Region der WHO haben Zugang zu einem breiten Fundus an Wissen über Gesundheit, von Forschungsergebnissen über Datenbanken bis zu mathematischen Schätzungen. Doch manchmal dauert es Jahre, bis evidenzbasierte bewährte Praktiken den Menschen zur Verfügung stehen. Um den Ländern bei der Bestimmung der größten Hürden auf diesem Weg behilflich zu sein, treibt die WHO in der gesamten Europäischen Region die Anwendungsforschung voran. 

Heute sind nichtübertragbare Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und chronische Atemwegserkrankungen für fast 80% aller vorzeitigen Todesfälle weltweit verantwortlich. Aber nicht einmal die Hälfte der Länder weltweit haben die von der WHO empfohlenen Konzepte zur Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten umgesetzt. 

Das bedeutet nicht, dass die Länder sie nicht anwenden wollen. Vielmehr hindern oft örtliche Gegebenheiten und Rahmenbedingungen Regierungen und Gesundheitsbehörden daran, kosteneffektive und evidenzbasierte Praktiken einzuführen. Häufig haben die Länder auch nicht die nötigen Ressourcen, um die Wirksamkeit ihrer Gesundheitspolitik zu analysieren, und benötigen Hilfe bei ihrer Verbesserung angesichts fortbestehender wie auch neuer Herausforderungen.

Anwendungsforschung: wissenschaftliche Erkenntnisse den Menschen näherbringen

„Zum Beispiel kennen Gesundheitsfachkräfte und politische Entscheidungsträger die große Bedeutung von Schulmahlzeiten für die Gesundheit von Kindern“, erklärt Dr. Nilufar Akhmedova, Assistenzprofessorin am Staatlichen Institut für Pädiatrie in Taschkent (Usbekistan). „Und sie wissen, dass das Personal in der primären Gesundheitsversorgung seinen örtlichen Patienten wertvolle Ratschläge zur Vorbeugung gegen nichtübertragbare Krankheiten geben kann. Doch manchmal ist es auch schwer für die Länder, diese positiven Veränderungen umzusetzen. Es gibt viele mögliche Hindernisse – von ökonomischen über gesellschaftliche bis zu verhaltensbedingten Gründen. Deshalb brauchen wir die Anwendungsforschung. Sie kann uns die wichtigsten Herausforderungen aufzeigen, und wie wir sie überwinden und zu besseren Praktiken im Gesundheitsbereich kommen können.“

Dr. Akhmedova gehört zu den Teilnehmern der vom Europäischen Büro der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten (Fachzentrum für nichtübertragbare Krankheiten) veranstalteten Workshops für Anwendungsforschung. Diese wurden für Angehörige der Gesundheitsberufe sowie für Pädagogen, Wissenschaftler und Entscheidungsträger geschaffen, die sich mit der Frage befassen möchten, wie eine hochwertige wissenschaftliche Forschung anhand der Erfahrungen eines Landes mit der Praxis verknüpft werden kann.

„Während des Workshops hatten wir die Gelegenheit, neue Lösungsansätze und von der WHO empfohlene Instrumente auszuprobieren, die die versteckten Hindernisse in unserer Arbeit ans Licht bringen und die Bestimmung neuer potenzieller Akteure für die Zusammenarbeit ermöglichen“, sagt Dr. Lola Isakova, leitende Wissenschaftlerin am Labor für Kinder- und Jugendhygiene beim Forschungsinstitut für Sanitärversorgung, Hygiene und Berufskrankheiten in Usbekistan, die in ihrem Land für die Entwicklung von Projekten für gesunde Ernährung verantwortlich ist.
„Der Workshop hat uns die Gewissheit vermittelt: wenn wir echte Ergebnisse erreichen und in strategisch wichtigen Bereichen der Gesundheitsversorgung Fortschritte erzielen wollen, müssen wir Plattformen für offene Diskussionen schaffen, an denen Experten, Praktiker und andere Interessengruppen teilnehmen, die sich gemeinsam neuen Herausforderungen stellen und für eine hochwertige Ernährung an Schulen sorgen wollen.“

Länder brauchen sachgerechtere Konzepte

Das übergeordnete Ziel der Anwendungsforschung ist die Verbesserung der Gesundheit der Menschen durch sachgerechtere Konzepte, eine verbesserte Leistungserbringung und die Unterstützung der Bevölkerung durch Zusammenarbeit aller maßgeblichen Akteure. Die WHO hat zwei Pilotprojekte im Bereich der Anwendungsforschung in die Wege geleitet: über Ernährungskonzepte für Schulen und über Kurzinterventionen für die Prävention von Risikofaktoren für nichtübertragbare Krankheiten im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung. 

„Diese Projekte in Aserbaidschan, Kirgisistan und Usbekistan haben jeweils ihre Besonderheiten“, erklärt Dr. Kremlin Wickramasinghe, kommissarischer Leiter des Fachzentrums für nichtübertragbare Krankheiten „Genau darum geht es in der Anwendungsforschung: es werden Normen und Protokolle festgelegt, wobei die beteiligten Akteure jedoch die Methoden und die Fragen an den jeweiligen Kontext anpassen und so die besten Praktiken im Gesundheitsbereich gemäß den Zielen für nachhaltige Entwicklung fördern können.“

Um weitere Kapazitäten in der Europäischen Region aufzubauen, organisiert das Fachzentrum Workshops zum Thema Anwendungsforschung im Bereich der Prävention nichtübertragbarer Krankheiten. Die jüngste Runde von Workshops fand im Juni in Bischkek  (Kirgisistan) statt, wo Vertreter aus Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Turkmenistan und Usbekistan gemeinsam über Instrumente der Anwendungsforschung und deren Anpassung an die Bedürfnisse der Länder diskutierten.

Die richtigen Fragen stellen

Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Projekt in der Anwendungsforschung besteht darin, die richtigen Fragen nach seinem Umfang und seiner Tragweite zu stellen.
  • Wie relevant ist das Projekt? Das Projekt muss sich mit einem Problem befassen, das für die in diesem Bereich tätigen Interessengruppen von Bedeutung ist und bei dem positive Veränderungen in Bezug auf Gesundheit durch gezielte Interventionen möglich sind.
  • Ist das Projekt neu oder innovativ? Das Projekt sollte zu neuen Ergebnissen oder der Erweiterung des bisherigen Kenntnisstandes führen und Überschneidungen mit den Ergebnissen früherer Arbeiten vermeiden.
  • Ist bei dem behandelten Thema eine dringende Reaktion erforderlich? Wenn es sich um eine dringliche Thematik handelt, können neue Erkenntnisse erhebliche Veränderungen gegenüber der bisherigen Praxis herbeiführen und das Wohlbefinden auf eine neue Ebene heben.
  • Ist das Projekt ethisch vertretbar? Das Projekt sollte für die Mitglieder der untersuchten Gruppe(n) von Nutzen sein.
„Gemeinsam für mehr Gesundheit“ lautet das Motto des Europäischen Arbeitsprogramms 2020–2025, und Anwendungsforschung wird zu einem wertvollen Aktivposten, der diese Vision ihrer Verwirklichung näherbringt.