Auf dem diesjährigen European Health Forum Gastein (EHFG), das vom 30. September bis 2.Oktober stattfand, sprachen Vertreter des WHO-Regionalbüros für Europa über die Bedeutung der gezielten Nutzung neuer Partnerschaften zur Verbesserung der Gesundheitssituation in der gesamten Europäischen Region. Dabei wurde u. a. die Oslo-Initiative für Arzneimittel angekündigt, die darauf abzielt, einen leichteren Zugang zu bezahlbaren Arzneimitteln sicherzustellen und gleichzeitig die kommerzielle Rentabilität für die Hersteller zu erhalten.
Das Motto des diesjährigen EHFG lautete „Tanzen mit Elefanten – Neue Partnerschaften für Gesundheit, Demokratie, Wirtschaft“. Dabei trugen das WHO-Regionalbüro für Europa und das Europäische Observatorium für Gesundheitssysteme und Gesundheitspolitik zu verschiedenen Sitzungen bei, die sich mit der Verbesserung des Zugangs zu Arzneimitteln, der Stärkung der Stimme der Menschen in gesundheitspolitischen Entscheidungsprozessen und der Erholung nach der COVID-19-Pandemie befassten.
Verbesserung des Zugangs zu Arzneimitteln
Während der Sitzung mit dem Titel „Den gemeinsamen Rhythmus finden – Auf dem Weg zu einer neuen Vision für die Zusammenarbeit zur Verbesserung des Zugangs zu Arzneimitteln“ stellte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, die Oslo-Initiative für Arzneimittel vor. Er sprach von der Bedeutung einer Ausweitung des nachhaltigen Zugangs zu neuartigen Arzneimitteln, Therapien und Diagnostika. Dazu sei es wichtig, Möglichkeiten für einen Dialog mit privatwirtschaftlichen Herstellern von Arzneimitteln auszuloten, um sicherzustellen, dass diese leicht erhältlich und bezahlbar seien, wobei gleichzeitig aber auch die Rentabilität für die Hersteller erhalten bleiben müsse.
Konkret sagte Dr. Kluge über die neue Initiative: „Der Zugang zu bezahlbaren hochwertigen Medikamenten steht im Mittelpunkt einer allgemeinen Gesundheitsversorgung. Wir brauchen die pharmazeutische Industrie für Innovationen, aber geistige Eigentumsrechte dürfen nie verhindern, dass Patienten, insbesondere einkommensschwache, lebensrettende Arzneimittel erhalten.“
Die Initiative soll sowohl Präsenztagungen als auch virtuelle Veranstaltungen beinhalten, u. a.:
- eine Serie von Webinaren im Frühjahr 2021 mit Grundsatzrednern und Podiumsteilnehmern, die verschiedene beteiligte Akteure vertreten;
- eine für Frühjahr 2022 geplante Präsenztagung, auf der eine neue Vision für die Zusammenarbeit zur Verbesserung des Zugangs zu neuartigen Arzneimitteln in der Europäischen Region entworfen werden soll.
Während der Podiumsdiskussion sagte Dr. Natasha Azzopardi-Muscat, Leiterin der Abteilung Gesundheitspolitik und Gesundheitssysteme der Länder beim WHO-Regionalbüro für Europa, über die Oslo-Initiative für Arzneimittel: „Patienten, Gesundheitssysteme und Regierungen erwarten angemessen bepreiste Arzneimittel, die ihren Bedürfnissen entsprechen, während Investoren und die pharmazeutische Industrie ausreichende Gewinne erwarten, die sie für das Risiko entschädigen, das die Entwicklung und Herstellung dieser Arzneimittel mit sich bringt.
In den kommenden Monaten wird die Oslo-Initiative für Arzneimittel den Mitgliedstaaten und nichtstaatlichen Akteuren ein Forum bieten, auf dem sie gemeinsam eine neue Zukunftsvision und einen Rahmen für einen besseren Zugang entwerfen können.“
Während der Sitzung, die von Dimitra Panteli vom Observatorium und Dr. Azzopardi-Muscat moderiert wurde, unterstrichen die Podiumsteilnehmer die Notwendigkeit von mehr Transparenz in Bezug auf Entwicklungskosten und die Chance auf Ausübung von Marktmacht durch gemeinsames Vorgehen.
Erholung von der COVID-19-Pandemie
Dr. Kluge sprach auch während der eröffnenden Podiumsdiskussion im Plenum über die Erholung von der COVID-19-Pandemie. Auf die Frage nach der Rolle der Paneuropäischen Kommission für Gesundheit und nachhaltige Entwicklung erklärte Dr. Kluge, diese sei geschaffen worden, um Empfehlungen dazu zu erarbeiten, wie Gesellschaften und Gesundheitssysteme nach der Pandemie einen besseren Wiederaufbau erreichen und besser auf künftige gesundheitliche Notlagen vorbereitet werden können.
Darüber hinaus sprach Dr. Kluge auch von der Bedeutung einer zweigleisigen Leistungserbringung innerhalb der primären Gesundheitsversorgung für den Wiederaufbau der Gesundheitssysteme nach der COVID-19-Pandemie. Sie solle dafür sorgen, dass andere Erkrankungen gleichzeitig mit der Behandlung von COVID-19-Fällen versorgt werden. Mit Blick auf das Europäische Arbeitsprogramm wurden auch der Themenbereich der psychischen Gesundheit und die Frage erörtert, in welchem Maße sich die Pandemie auf die psychische Gesundheit von Menschen in aller Welt ausgewirkt hat.
Demokratisierung von Entscheidungsprozessen
Die Sitzung mit dem Titel „Gesundheitsdemokratie in Aktion“ wurde von Dr. Azzopardi-Muscat mit einleitenden Worten eröffnet. Partnerschaften mit der Zivilgesellschaft tragen entscheidend zum Aufbau von Vertrauen in staatliche Institutionen und zur Förderung der Einhaltung von Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bei.
In dieser Sitzung wurde hervorgehoben, wie die Schaffung eines inklusiven und partizipatorischen Ansatzes in der Politiksteuerung die Beteiligung von Experten aus einer Vielzahl von Fachdisziplinen sowie einen Dialog mit Bürgern, Bevölkerungsgruppen und Zivilgesellschaft erfordert, um ein hohes Maß an Transparenz in Bezug auf Entscheidungsprozesse in der Gesundheitspolitik herzustellen.
Das Europäische Observatorium auf dem EHFG
Das Observatorium beteiligte sich während des EHFG an einer Reihe von Sitzungen bzw. moderierte sie. Der Tenor, der sich aus dieser Serie interaktiver Debatten herauskristallisierte, war die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen den Ländern der Europäischen Region mit dem Ziel, die COVID-19-Krise wirksamer zu bewältigen und widerstandsfähigere Gesundheitssysteme aufzubauen, die künftigen Erschütterungen besser standhalten können.
Anna Sagan, die beim Observatorium als Forschungsstipendiatin tätig ist, präsentierte jüngst veröffentlichte Erkenntnisse über die Widerstandsfähigkeit von Gesundheitssystemen und die Bedeutung staatlicher Eingriffe bei der Bewältigung von Krisen und stellte einen konzeptionellen Rahmen vor, der den Gesundheitssystemen bei der Vorbereitung auf unerwartete Ereignisse und deren Bewältigung behilflich sein soll.
Der Titel der Plenarsitzung am Donnerstag, die vom Leiter des Observatoriums, Josep Figueras, moderiert wurde, lautete „Das Dilemma der Berater“ und befasste sich mit der Frage, wie Forschungsergebnisse in Krisenzeiten in die Politik einfließen. Dabei wurde die Problematik erörtert, dass Politiker ohne konkrete Anhaltspunkte, gewissermaßen „im Blindflug“, handeln und Ungewissheit kommunizieren müssen, ohne dabei jedoch das Vertrauen der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen.