Nachdem im Jahr 2021 nur geringe Fallzahlen bei den Masern in der Europäischen Region der WHO verzeichnet wurden, ist die Zahl der Masernfälle seit Anfang 2022 wieder gestiegen. Anhaltende Immunitätslücken und verpasste Impfungen während der COVID-19-Pandemie haben viele Menschen, darunter eine größere Zahl von Kindern, für diese potenziell tödliche Krankheit anfällig gemacht.
Um eine Wiederausbreitung der Masern und anderer schwerer impfpräventabler Krankheiten zu verhindern, fordert die WHO eindringlich die Einleitung dringender Maßnahmen in allen Ländern, um jene zu identifizieren – insbesondere Kinder –, die Impfdosen verpasst haben, und um gezielte, für die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten maßgebliche Strategien zu erarbeiten, um Nachimpfungen zu ermöglichen.
Nach großen Masernausbrüchen in den Jahren 2018 und 2019 mit fast 200 000 gemeldeten Fällen fiel die Zahl der gemeldeten Masernfälle in der Region im Jahr 2020 auf knapp über 12 000. Im Jahr 2021 wurde gar nur 159 Fälle in 22 Ländern gemeldet. Diese Zahl stieg jedoch im Jahr 2022 wieder – auf bislang 904 gemeldete Fälle in 27 Ländern.
Sämtliche Länder in der Region stehen vor Herausforderungen hinsichtlich der Erhaltung der Durchimpfungsraten auf dem Niveau von vor der Pandemie durch die Bereitstellung von Routineimpfungen mit dem Masernimpfstoff sowie anderen Impfstoffen im Rahmen der nationalen Impfpläne.
Die Durchimpfungsraten schwanken stark sowohl in als auch zwischen den Ländern. Einige Länder waren in der Lage, Nachimpfungen zwischen den einzelnen Wellen der COVID-19-Pandemie durchzuführen und die gewünschten Durchimpfungsraten zu erhalten. In anderen wurden die Routineimpfungen für eine beträchtliche Zeit in wesentlichen Teilen der Bevölkerung unterbrochen oder zurückgestellt.
Auch zusätzliche Impfaktivitäten, die in einigen Ländern der Region vor der Pandemie geplant worden waren, waren hiervon betroffen. Während die Ukraine bemüht ist, auf die dringendsten gesundheitlichen Bedürfnisse infolge des Krieges einzugehen, und die Türkei auf die aktuellen Erdbeben reagiert, sehen sich diese Länder möglichen Folgen für die Bereitung von Routineimpfungen gegenüber, wodurch die Gefahr von Ausbrüchen von Infektionskrankheiten steigt.
„Jeder verdient es, den unglaublichen Schutz zu erhalten, den Impfstoffe bieten“, erklärt Dr. Nino Berdzuli, Direktorin der Abteilung Gesundheitsprogramme der Länder bei WHO/Europa. „Doch, wie wir während der COVID-19-Pandemie nur allzu deutlich erleben mussten, gibt es für diejenigen, die diesen Schutz am dringendsten brauchen, geringere Garantien, ihn auch zu erhalten. Niemanden zurückzulassen erfordert einen dringenden, zweigleisigen Ansatz: wir müssen unsere Impfsysteme stärken, um die bestehenden Herausforderungen im Hinblick auf Routineimpfungen zu bewältigen, und uns gleichzeitig darum bemühen, die am stärksten gefährdeten Menschen mit COVID-19-Impfungen zu versorgen.“
Maßnahmen erforderlich zur Verhinderung großer Ausbrüche
Eine Aufrechterhaltung einer routinemäßigen Durchimpfungsrate von mindestens 95 % mit 2 Dosen des Masernimpfstoffes würde die Übertragung des Virus unterbrechen und das Wiederauftreten großer Ausbrüche verhindern. Darüber hinaus ist es entscheidend, das Bewusstsein sowohl unter Gesundheitsfachkräften als auch in der Bevölkerung für die Risiken der Krankheit zu erhöhen.
Die WHO fordert die Länder zudem eindringlich dazu auf, sicherzustellen, dass die Masernüberwachung stark genug ist, um Verdachtsfälle umgehend zu identifizieren und zu untersuchen. Um eine weitere Übertragung zu verhindern, müssen die Länder allerdings bereit sein, im Falle eines Masernausbruchs rasch und effektiv zu reagieren.
Der Masernimpfstoff ist seit den 1960er Jahren in Gebrauch. Er ist sicher, wirksam und kostengünstig. Die WHO empfiehlt eine Impfung für alle anfälligen Kinder und Erwachsenen, für die keine Kontraindikation für eine Masernimpfung besteht. Alle Kinder mit zwei Dosen des Masernimpfstoffs zu erreichen, entweder als Einzelimpfung oder in Form einer Kombination aus Masern-Röteln(MR)-, Masern-Mumps-Röteln(MMR)- oder Masern-Mumps-Röteln-Varicella [Windpocken](MMRV)-Impfungen, sollte standardgemäß Teil aller nationalen Impfprogramme sein.
Der globale Kontext
Masern sind eine impfpräventable Krankheit, deren Eliminierung in den meisten Regionen der WHO, einschließlich der Europäischen Region, angestrebt wird. Die Übertragung des hoch ansteckenden die Krankheit auslösenden Atemwegsvirus ist infolge der zur Bekämpfung von COVID-19 ergriffenen Maßnahmen – wie etwa der körperlichen Distanzwahrung, der Nutzung von Gesichtsmasken und den internationalen Reisebeschränkungen – weltweit zurückgegangen.
Die Krankheit ist jedoch nicht verschwunden, und die Gefahr großflächiger Ausbrüche hat sich in der Folge nur erhöht. Im Jahr 2021 verpasste eine Rekordzahl von fast 40 Mio. Kindern eine Dosis des Masernimpfstoffs: 25 Mio. Kinder verpassten ihre erste Dosis und zusätzliche 14,7 Mio. Kinder verpassten ihre zweite Dosis.
Dieser Rückgang stellt einen erheblichen Rückschlag für die weltweiten Fortschritte zur Verwirklichung und Erhaltung der Maserneliminierung dar und macht Millionen von Kindern anfällig für eine Infektion. In vielen Ländern weltweit begannen die Surveillance-Systeme unmittelbar nach der Aufhebung der im Kampf gegen die Pandemie ergriffenen Maßnahmen einen Anstieg der Masernfälle und -ausbrüche zu verzeichnen.