SIP/Julien Warnand
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Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, auf der Neunten Hochrangigen Tagung der Initiative kleiner Länder

11 May 2023
Statement
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Exzellenzen, sehr geehrter Herr Premierminister Bettel, sehr geehrte Frau Ministerin Lenert, 

merci fir den häerzlechen Empfang an Ärem schéine Land. Vielen Dank für die herzliche Begrüßung in ihrem schönen Land.

Sehr geehrte Damen und Herren Minister, Exzellenzen, liebe Gäste, liebe Freunde! 

Als stolzer Fürsprecher für die kleinen Länder freue ich mich, heute zu Ihnen über die wesentliche Rolle Ihrer Länder bei der Bewältigung der geopolitischen und gesundheitspolitischen Probleme unserer Zeit sprechen zu können. 

Für uns beim WHO-Regionalbüro für Europa ist es ein Privileg, mit Ihnen allen in diesem Forum zusammentreffen zu können, um gemeinsame Lösungen für gemeinsame Herausforderungen zu finden. Ihre einzigartige Sichtweise und Ihre innovativen Lösungsansätze sind stets eine Quelle der Inspiration. 

Im vergangenen Jahr haben wir beispielsweise in Budva in Montenegro auf der Grundlage unserer Erfahrungen während der Pandemie darüber diskutiert, wie Gesundheit zu einer treibenden Kraft bei der Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus werden kann. 

Es ist mir eine große Ehre, heute hier mit Ihnen das zehnjährige Bestehen dieses einzigartigen Netzwerks feiern zu können. Zehn Jahre gemeinsamer Fortschritte für die Gesundheit der Menschen. Unser gemeinsames Ziel lautet, sicherzustellen, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass ihren Regierungen ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden am Herzen liegen, und dafür zu sorgen, dass kein Land, ungeachtet seiner Größe, zurückgelassen wird.

Erst letzte Woche habe ich mich auf einem informellen Treffen der Gesundheitsminister der Europäischen Union – dem unter dem Kürzel EPSCO bekannten Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz, der von der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft in Stockholm einberufen wurde – mit Nachdruck für ein Thema eingesetzt, das für Sie alle von entscheidender Bedeutung ist: dass kleine Länder beim Zugang zu Arzneimitteln nicht übersehen werden dürfen. 

Auf der Tagung haben uns Maya Victorova, Präsidentin der Bulgarischen Diabetesvereinigung, deren Tochter an Typ-1-Diabetes erkrankt ist, und William Casler, ein 60-jähriger Radsportler, bei dem ein außer Kontrolle geratenes Myelom diagnostiziert wurde, das eine dringende Knochenmarktransplantation erforderte, auf ergreifende Weise vor Augen geführt, wie wichtig der Zugang zu bekannten und neuartigen Medikamenten und Behandlungen ist. 

Ich danke Estland, Island, Lettland, Luxemburg, Malta, Slowenien und Zypern für ihre aktive Rolle während dieser Gespräche. Die Verbesserung des Zugangs der Menschen zu bezahlbaren Arzneimitteln ist so wichtig, um unsere Gesundheitssysteme zu stärken und uns wieder auf den Weg zur Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung zu bringen.

Bei unserem Rückblick auf ein Jahrzehnt der Zusammenarbeit können wir auf vieles stolz sein. Die erfolgreichen Beispiele und Modelle, die Sie alle vorgestellt haben, dienten als Inspiration für andere Regierungen und für große und kleine Länder, sowohl in unserer Region als auch weltweit. Die Anwesenheit von nicht nur 13 Ländern der Europäischen Region, sondern auch Vertretern aus drei anderen WHO-Regionen – Afrika, Gesamtamerika und Südostasien – sowie von weiteren Partnern ist ein Beweis dafür. 

Wir erkennen den Wert einer weiteren Stärkung unserer regionsübergreifenden Kooperation zwischen kleinen Ländern. Wir werden im Laufe des Vormittags von Chris Fearne, dem Gesundheitsminister und Stellvertretenden Premierminister Maltas, mehr darüber hören, wie dies in die Praxis umgesetzt werden kann, insbesondere bei den Themen Gesundheitspersonal, Arzneimittel und digitale Gesundheit. 

Die diesjährige Tagung findet zu einem kritischen Zeitpunkt statt. Vor einer Woche erklärte die WHO, dass die COVID-19-Pandemie keine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite mehr darstellt. Dies bedeutet zwar nicht das Ende der Pandemie an sich, aber es bedeutet, dass wir uns nicht mehr in der Notfallphase dieser lang anhaltenden Entwicklung befinden. 

In Zukunft müssen wir SARS-CoV-2 neben einer Reihe anderer Krankheitserreger langfristig in den Griff bekommen, indem wir die schmerzhaften Lehren der letzten gut drei Jahre beherzigen und umsetzen.

Wir müssen unser Gesundheitspersonal – all jene, die inmitten der Pandemie so viel ertragen und so viel gegeben haben – unterstützen und in es investieren. In der Erklärung von Bukarest, die im März dieses Jahres von 50 Mitgliedstaaten angenommen wurde, wird erläutert, was getan werden muss: Investitionen, Ausbildung, Bewältigung der Abwanderung von Gesundheitspersonal und Umgestaltung der Gesundheitsversorgung, um den sich verändernden Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden. Ein Handlungsrahmen, in dem die dafür erforderlichen Schritte skizziert werden, wird den Ländern auf der 73. Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa im Oktober in Astana vorgelegt. 

Eine andere wesentliche Lehre, die auch in dem Abschlussbericht der Paneuropäischen Kommission für Gesundheit und nachhaltige Entwicklung mit dem Titel „Aus der Pandemie Hoffnung schöpfen“ hervorgehoben wurde, war: Wir müssen die Gräben in unseren Gesellschaften überwinden und die Ungleichheiten verringern. 

Auf dem Hochrangigen Forum zum Thema Gesundheit in der Ökonomie des Wohlergehens in diesem Frühjahr haben wir konkrete Wege aufgezeigt, wie wir Investitionen freisetzen und gesunde, gerechtere und wohlhabendere Gesellschaften schaffen können. Dabei wird der Aufbau von Vertrauen in die Gesundheitssysteme eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Charta von Tallinn spielen, zu deren 15. Jahrestag wir uns im Dezember in Estland versammeln. 

Wir müssen uns besser auf künftige gesundheitliche Notlagen vorbereiten, von denen wir wissen, dass sie häufiger eintreten werden, und die Auswirkungen der Klimakrise auf die Gesundheit abmildern. In der Europäischen Region der WHO sterben jährlich mehr als 1,4 Mio. Menschen infolge umweltbedingter Gesundheitsrisiken. Die Siebte Ministerkonferenz Umwelt und Gesundheit, die vom 5. bis 7. Juli in Budapest stattfindet,  bietet eine Gelegenheit zum Austausch praktischer Lösungsansätze und soll es der Gesundheits- und Umweltpolitik ermöglichen, Verpflichtungen einzugehen und neue Partnerschaften zu schmieden. 

Und wir müssen unsere Anstrengungen bei der Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten verstärken, die über den gesamten Lebenszyklus hinweg einen hohen Tribut fordern, der den der Pandemie noch bei weitem übertrifft. Wir wissen heute, dass jeder sechste Mann und jede zwölfte Frau in kleinen Ländern an einer der vier häufigsten nichtübertragbaren Krankheiten sterben, bevor sie 70 Jahre alt werden. Jeder dieser vorzeitigen Todesfälle ist eine unnötige Tragödie, und wir müssen verstärkt daran arbeiten, diese Zahlen zu senken.  

Heute werden wir uns auch damit befassen, wie kleine Länder mit der psychischen Gesundheit, insbesondere unserer jungen Menschen, umgehen, und darüber sprechen, wie die notwendige Unterstützung zur Förderung von Maßnahmen im Bereich der psychischen Gesundheit in der Bevölkerung geleistet werden kann. 

Die Notwendigkeit, kontinuierlich Gesundheitsleistungen bereitzustellen und gleichzeitig gesundheitliche Notlagen zu verhindern bzw. die mit unerbittlicher Regelmäßigkeit eintretenden Krisen zu bewältigen, macht einen zweigleisigen Ansatz für die Gesundheitssysteme erforderlich.

Die Erklärung, die wir hier in Luxemburg abgeben werden, wird viele dieser Prioritäten, Erfahrungen und Lehren durch wesentliche Verpflichtungen bei wichtigen Fragen der öffentlichen Gesundheit widerspiegeln. 

Exzellenzen, Ihre Länder mögen klein sein, aber dank Ihrer einzigartigen Qualitäten – Ihrer Bürgernähe und Ihrer agilen Institutionen, die ein Schmelztiegel für Innovationen sind – können Sie Veränderungen schnell umsetzen. Ihre Ambitionen und Errungenschaften sind groß, ein leuchtendes Licht, für alle sichtbar. 

Es ist mir eine Ehre, heute hier in Luxemburg zu sein, auf Einladung einer Regierung, die so viel 
zur Lösung globaler Fragen beigetragen hat. Luxemburg – kaum 80 Kilometer lang und 60 Kilometer breit – beherbergt auch viele Institutionen von Weltrang, die über einen großen Erfahrungsschatz bei der Förderung gemeinsamer Entwicklungsprioritäten verfügen. 

Ich hoffe aufrichtig, dass diese Tagung eine neue Ära der Zusammenarbeit mit WHO/Europa einläutet, in der das diplomatische Geschick und die multilaterale Kompetenz Ihres Landes zum Nutzen der öffentlichen Gesundheit in den kleinen Ländern und in der Europäischen Region insgesamt zum Einsatz kommen.

Als Gründungsmitglied der Europäischen Union und Sitz vieler ihrer Institutionen ist das Großherzogtum seit langem ein Geber humanitärer Hilfe und leistet finanzielle Unterstützung für Länder, die von Naturkatastrophen, Konflikten und Gesundheitskrisen betroffen sind. 

Erlauben Sie mir, nochmals meine tiefe Dankbarkeit für die Führungsrolle und das Engagement der kleinen Länder bei der Umgestaltung der globalen Gesundheitslandschaft zum Ausdruck zu bringen. Ich bin zuversichtlich, dass wir bei der Bewältigung der zahlreichen Herausforderungen, die vor uns liegen, auf Ihren Erfolgen aufbauen und noch größere Fortschritte für die Gesundheit und das Wohlbefinden aller Menschen überall erzielen können. 

Dazu gehört auch die Kunst der Diplomatie, deren Bedeutung wir nicht hoch genug einschätzen können, insbesondere in Krisenzeiten. Der anhaltende brutale Krieg in der Ukraine erinnert uns eindringlich an die Notwendigkeit von Diplomatie und friedlicher Konfliktlösung. Kleine Länder haben in der Vergangenheit eine wichtige Rolle bei der Förderung von Dialog und der Herbeiführung von Lösungen gespielt. Ich fordere Sie alle hier auf, sich weiterhin beharrlich für den Frieden in unserer Region einzusetzen, denn er ist eine Grundvoraussetzung für Gesundheit. 

Sie haben sich auf der Weltbühne nachdrücklich für die Ukraine eingesetzt und sich gegen Gewalt und Aggression ausgesprochen. Durch Ihre Führungsstärke und Ihr Engagement haben Sie gezeigt, dass Sie eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Frieden und Stabilität spielen und dabei die Bedeutung von Gesundheit hervorheben können. Gestatten Sie mir, Ihnen die tiefe Dankbarkeit von Herrn Minister Liashko für diese umfassende Unterstützung zu übermitteln, die er während seines Besuchs bei WHO/Europa vergangene Woche zum Ausdruck gebracht hat. 

Wir verpflichten uns, das ukrainische Gesundheitssystem heute und auf lange Sicht zu unterstützen. Ein kleines Beispiel: Diese Woche haben wir in der Nähe der Frontstadt Bachmut lebenswichtige Hilfsgüter und Medikamente geliefert, die den Gesundheitsbedarf von 1000 Menschen für drei Monate decken. 

Exzellenzen, ich möchte uns alle ermutigen, auf dem bisher Erreichten aufzubauen.

Herr Premierminister Bettel hat uns gerade daran erinnert, warum wir heute hier sind. Und erst vor zwei Monaten waren wir in Kopenhagen auf dem Hochrangigen Forum zum Thema Gesundheit in der Ökonomie des Wohlergehens versammelt, wo die isländische Ministerpräsidentin Jakobsdóttir in einer eindringlichen Eröffnungsrede auf die Bedeutung politischer Führungsstärke im Gesundheitsbereich hinwies, insbesondere im Hinblick auf eine positive Unterstützung unserer jungen Menschen, von denen zu viele mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. 

Es ist diese Art von Führung, die uns voranbringen wird. 

Abschließend möchte ich dem Premierminister und der Gesundheitsministerin Luxemburgs nochmals für ihre Gastfreundschaft in diesen zwei Tagen danken. Die zehnjährige Geschichte dieser Initiative ist ein Beweis dafür, dass jedes der hier versammelten Länder durch sein Handeln Führungsstärke zeigt. Wie ein luxemburgisches Sprichwort besagt: „Worte sind nur Zwerge, Beispiele sind Riesen.“

Ich danke Ihnen.