„Zurück bleibt ein Gefühl der Hilflosigkeit“ – Am Internationalen Tag der Pflege erinnert sich eine junge Krankenschwester an ihre Zeit auf einer COVID-19-Station zu Beginn der Pandemie

12 May 2022
News release
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Im März 2020 hatte die 24-jährige Miranda Edge gerade seit sechs Monaten einen Abschluss als Krankenschwester, als sie erfuhr, dass die postoperative Station, auf der sie in der englischen Region West Midlands arbeitete, zu einer COVID-19-Station umfunktioniert werden sollte. 

Während die Welt sich allmählich ein Bild von der Ausbreitung und Schwere von COVID-19 machte, wurde Miranda mit der harten Realität der Notlage konfrontiert, während ihre Station angepasst wurde, um die Auswirkungen dieser neuen Krankheit zu bewältigen.  

„Volle Montur: Masken, Visiere, Schutzkittel und Handschuhe. Die Vorschriften waren extrem streng“, erzählt Miranda. „Wenn ich etwas außerhalb der Station vergessen hatte, musste ich eben ohne auskommen. Denn wenn man erst mal die persönliche Schutzausrüstung trägt, kann man nicht einfach mal schnell rausgehen. Ich habe überall geschwitzt und hatte echt ein Gefühl von Platzangst. Und ich fühlte mich nicht mehr wie ein richtiger Mensch. Ich kam zu den Patienten fast wie eine Außerirdische. Ein Wesen ohne Persönlichkeit.“  

Auf ihrer Station wurden ältere Patienten in extrem schlechtem Zustand eingeliefert, von den es vielen schon vor ihrer Infektion mit COVID-19 nicht gut ging. Aufgrund ihrer Gebrechlichkeit konnten sie nicht auf der Intensivstation behandelt werden. Damals konnte das Pflegepersonal ihnen in Ermangelung einer bekannten Therapie nur Sauerstoff geben.  

„Viele von ihnen hatten große Angst. Und natürlich konnten wir keine Besucher hereinlassen. Wenn es den Leuten richtig schlecht ging, durften wir ein Familienmitglied hereinlassen. Es ist schrecklich, wenn man sagen muss: Sie dürfen nicht hereinkommen, um ihren sterbenden Angehörigen noch einmal zu sehen.“ 

Miranda hat immer noch mit der Erinnerung an die zehn Wochen zu kämpfen, die sie auf der COVID-19-Station tätig war, als es zum „Normalzustand“ wurde, dass mehrere Patienten am Tag starben, während gleichzeitig mehr kranke Menschen eingeliefert wurden. 

„Das Schlimmste an der Arbeit mit Patienten mit einem schweren Verlauf von COVID-19 war, dass sie nicht wussten, was mit ihnen geschah. Manche Patienten sagten zu mir: Lassen Sie mich nicht sterben. Ich habe Angst. So etwas verlässt einen nicht. Damals sagte ich mir: Du musst da einfach durch. Aber dann denke ich manchmal: Habe ich das Richtige getan?“   

Erst später, als die Station wieder zu ihrer normalen Tätigkeit zurückkehrte, konnte Mirandas Team allmählich die Tragweite ihrer Erfahrungen ermessen. Die Mitglieder des Teams nahmen an Therapiesitzungen teil, in denen sie weinen und ihren Emotionen Ausdruck geben konnten, die sie während der gesamten Krise hatten unterdrücken müssen. 

„Zurück bleibt ein Gefühl der Hilflosigkeit. Meine Aufgabe als Krankenschwester ist es, Menschen zu helfen, und nur dafür wurde ich ausgebildet. Das Beste, was wir damals für unsere Patienten tun konnten, war, ihnen Flüssigkeit zuzuführen. So sind viele gestorben.“ 

Angesichts der für sie überwältigenden Eindrücke rät Miranda allen dringend, sich unverzüglich impfen zu lassen.  

„Niemand ist unbesiegbar. Ich kann unsere drastischen Erfahrungen kaum in Worte fassen. Das war keine normale Krankheit. Wir wussten nie, was als Nächstes kommt. Auch jetzt müssen viele Menschen noch mit den lebensverändernden Folgen von COVID-19 klarkommen. Es ist ganz bestimmt keine milde Erkrankung.“  

Inzwischen arbeitet Miranda auf einer vielbeschäftigten Krankenhausstation. Zurückblickend ist der eine positive Aspekt aus ihrer unglaublich schwierigen Zeit auf der COVID-19-Station die Erkenntnis der Bedeutung von Teamarbeit. 

„Ohne gegenseitige Hilfe hätten wir das nicht geschafft. Wir haben einander immer wieder aufgefangen, und jetzt sind wir aufgrund unserer gemeinsamen Erfahrungen sehr stark miteinander verbunden. Was ich erlebt habe, hat mein Leben verändert, und auch wenn es nicht das ist, was ich mir gewünscht hätte, so hat es mich doch so stolz auf unseren Beruf gemacht.“ 

Am diesjährigen Internationalen Tag der Pflege erkennt die WHO die Einsatzbereitschaft und Professionalität von Pflegekräften in aller Welt an, die während der Pandemie wie nie zuvor auf die Probe gestellt wurden. 

Pflegekräfte und Hebammen machen etwa die Hälfte des Gesundheitspersonals weltweit aus und stehen mit den Menschen von der Geburt bis zum Tod in einer Vielzahl von Umfeldern in Kontakt. Etwa 90% aller Kontakte zwischen Patienten und Gesundheitspersonal entfallen auf diese beiden Gruppen.  

Die Befähigung und Unterstützung von Pflegekräften und Hebammen, damit sie ihr Potenzial voll ausschöpfen können, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung und einer allgemeinen Gesundheitsversorgung und für die Erfüllung der gesundheitlichen Bedürfnisse der heutigen und künftigen Bevölkerung. Dies war das Schwerpunktthema der Weltgesundheitsversammlung im vergangenen Jahr, die mit der Resolution WHA74.15 die Globalen Strategischen Leitlinien der WHO für das Pflege- und Hebammenwesen (2021–2025) annahm. 

Die Maßnahmen zu ihrer Umsetzung in der Europäischen Region der WHO werden in dem Dokument mit dem Titel „Gemeinsam Besseres schaffen: Fahrplan für die Umsetzung der Globalen strategischen Leitlinien für das Pflege- und Hebammenwesen in der Europäischen Region der WHO“ skizziert, das abgekürzt auch als „Fahrplan von WHO/Europa für das Pflege- und Hebammenwesen“ bezeichnet wird.