WHO / Marta Soszynska
Menschen auf der Flucht vor Konflikten brauchen einen ungehinderten Zugang zu dem gesamten Spektrum der Gesundheitsleistungen.
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WHO appelliert an die Länder, Lücken in der Gesundheitsversorgung für von Konflikten betroffene Menschen und einkommensschwache Haushalte zu schließen

12 December 2022
News release
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Inflation und Krieg bedrohen die finanzielle Sicherheit von Millionen Menschen in der Europäischen Region. Am 12. Dezember, dem Welttag der allgemeinen Gesundheitsversorgung, appelliert WHO/Europa an die Länder, die Lehren aus früheren Erschütterungen zu beherzigen und zu verhindern, dass Zahlungen aus eigener Tasche für Gesundheitsleistungen im kommenden Winter Menschen in die Armut stürzen.

Die Erfahrung zeigt, dass nach der Wirtschaftskrise, die auf die Finanzkrise von 2008 folgte, in vielen Ländern der Europäischen Region Kürzungen oder ein verlangsamtes Wachstum bei den öffentlichen Ausgaben für Gesundheit zu Personalengpässen, längeren Wartezeiten und gekürzten Leistungsansprüchen führten, was eine Verschärfung der Ungleichheiten hinsichtlich eines bezahlbaren Zugangs zur Gesundheitsversorgung zur Folge hatte. So schränkten sechs Länder den Anspruch auf eine staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung ein, wobei meist Menschen in prekären Lebenslagen betroffen waren; 17 Länder reduzierten den Leistungsumfang, und 24 Länder erhöhten die Nutzergebühren (Zuzahlungen).

In den Ländern mit den größten Einschnitten in die Gesundheitsetats verdoppelte sich der Anteil der Personen, die auf Gesundheitsleistungen verzichteten, und auch die finanziellen Härten infolge von Zahlungen aus eigener Tasche nahmen zu, wie aus einer Analyse des WHO-Büros Barcelona zur Finanzierung der Gesundheitssysteme hervorgeht.

Schon vor den aktuellen Erschütterungen glitt in manchen Ländern der Europäischen Region rund ein Zehntel der Haushalte durch Zahlungen aus eigener Tasche für Gesundheitsleistungen in die Armut ab oder wurde noch weiter in die Armut gedrückt. Darüber hinaus hatten je nach Land 1% bis 19% der Haushalte mit ruinösen Gesundheitsausgaben (Zahlungen aus eigener Tasche, die 40% des nach Deckung der Grundbedürfnisse verbleibenden Haushaltseinkommens übersteigen) zu kämpfen, sodass sie nicht mehr andere grundlegende Bedürfnisse wie Nahrungsmittel, Miete und Heizung decken konnten.

Nun, da die Europäische Region vom Krieg, einer Krise der Lebenshaltungskosten und steigenden Energiekosten betroffen ist, appelliert WHO/Europa dringend an die Länder, die Lehren aus der Finanzkrise von 2008 zu beherzigen, die öffentlichen Gesundheitsausgaben zu erhöhen und dem Schutz der bedürftigsten Menschen, der jetzt wichtiger ist als je zuvor, Vorrang einzuräumen.

Schutz von einkommensschwachen Menschen

Es ist erwiesen, dass einkommensschwache Personen am häufigsten von ruinösen Zahlungen aus eigener Tasche bedroht sind, meist aufgrund von Ausgaben für Arzneimittel und medizinische Produkte.

„Finanzielle Härten können Menschen dazu zwingen, zwischen dem Kauf von Lebensmitteln für die Familie, dem Beheizen der Wohnung und dem Kauf der benötigten Arzneimittel zu wählen“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. „Der Aufbau einer gesünderen Gesellschaft setzt voraus, dass Regierungen in die Gesundheitssysteme investieren, vor allem zu Krisenzeiten, um Gesundheit für alle Menschen überall zu verwirklichen.“

Um die Fortschritte hin zu einer allgemeinen Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten, müssen die Länder die Lücken bei der Gesundheitsversorgung schließen, von denen meist einkommensschwache Haushalte betroffen sind. So sollten sie dafür sorgen, dass:

  • die nationalen Krankenversicherungen Menschen in informellen oder unsicheren Arbeitsverhältnissen einschließen;
  • der staatlich finanzierte Leistungsumfang auch ein breites Spektrum ambulant verschriebener Arzneimittel einschließt;
  • einkommensschwache Personen von Nutzergebühren für Gesundheitsleistungen, und insbesondere Zuzahlungen für ambulant verschriebene Arzneimittel, ausgenommen werden;
  • administrative Barrieren nicht den Zugang zu Leistungen verhindern, auf die ein Anspruch besteht.

Schutz der von Konflikten betroffenen Menschen

Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine brauchen Menschen, die auf der Flucht vor Konflikten sind, Zugang zu dem gesamten Spektrum der Gesundheitsleistungen, einschließlich Medikamente, ohne durch administrative, kommunikationsbedingte oder finanzielle Barrieren gehindert zu werden.

Die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen wird wohl erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheitsetats der Aufnahmeländer haben. Die Zuteilung zusätzlicher öffentlicher Mittel für die Bewältigung eines erhöhten gesundheitlichen Bedarfs kann hier für Entlastung sorgen. Höhere externe Mittel, insbesondere für Länder mit mittlerem Volkseinkommen und solche, die eine große Zahl von Flüchtlingen aufnehmen, würden eine wirksamere Unterstützung ermöglichen.

Für die in der Ukraine verbliebenen Menschen ist die Sicherstellung eines bezahlbaren Zugangs zur Gesundheitsversorgung eine Herausforderung. Der Krieg macht durch die verschlechterte wirtschaftliche Lage der meisten Haushalte die Fortschritte der Ukraine hin zu einer allgemeinen Gesundheitsversorgung zunichte.

Doch Veränderungen in der Gesundheitsfinanzierung, und namentlich der Erstattungspraxis, können die Folgen für die Bedürftigen abfedern. Menschen, die durch den Konflikt in die Armut gedrückt wurden, müssen vor finanziellen Barrieren und ruinösen Zahlungen aus eigener Tasche geschützt werden; dies gilt insbesondere für ältere Menschen mit chronischen Erkrankungen.

WHO/Europa unterstützt die Ukraine fachlich auf diesem Gebiet.