In einem gerade veröffentlichten neuen Leitfaden erklärt die WHO, wie Aufnahmeländer ihre Gesundheitsfinanzierung an die Bedürfnisse von Kriegsflüchtlingen anpassen können.
Seit Beginn der russischen Militäroffensive in der Ukraine am 24. Februar 2022 sind über 4,5 Mio. Menschen aus dem Land geflohen, um in sicheren Nachbarländern Zuflucht zu suchen. Obwohl diese Länder schnell reagiert haben, gerieten ihre Gesundheitssysteme, die bereits zuvor aufgrund der anhaltenden COVID-19-Pandemie an ihre Belastungsgrenze gelangt waren, infolge der großen Zahl der Neuankömmlinge unter enormen Druck.
Nun werden in einem neuen, vom WHO-Büro Barcelona zur Finanzierung der Gesundheitssysteme erstellten Leitfaden Maßnahmen zur Gesundheitsfinanzierung für die Länder skizziert, die dafür sorgen sollen, dass ankommende Flüchtlinge das gesamte Spektrum der Gesundheitsleistungen schnell und ohne finanzielle oder administrative Hürden in Anspruch nehmen können.
Beseitigung von Kommunikationsbarrieren
Wenn Menschen vor Konflikten oder anderen humanitären Katastrophen fliehen, benötigen sie Zugang zu einem breiten Spektrum von Gesundheitsleistungen und Arzneimitteln. Aufnahmeländer können auf unterschiedliche Weise dafür sorgen, dass diese Angebote für alle zur Verfügung stehen.
In dem neuen Leitfaden der WHO werden die Länder ermutigt, alle administrativen und kommunikationsmäßigen Barrieren für die ankommenden Flüchtlinge zu beseitigen.
Aufnahmezentren, die obligatorische oder freiwillige ärztliche Untersuchungen anbieten, sind oftmals die erste Stelle, an der Neuankömmlinge Informationen über das örtliche Gesundheitssystem erhalten und sich Zugang zu dessen Leistungen verschaffen können. Zahlreiche Länder in der Europäischen Region der WHO führen in Aufnahmezentren solche Untersuchungen durch, u. a. Finnland, Estland, Italien, Litauen, Norwegen, Österreich, die Republik Moldau, Rumänien, Tschechien und Ungarn.
Doch viele der vor dem Krieg in der Ukraine Geflüchteten sind in privaten Unterkünften oder Privatwohnungen untergebracht. WHO/Europa ermutigt die Länder, zur Unterstützung der Menschen in verschiedenen Umgebungen Notrufzentralen einzurichten, bei denen sie sich Gesundheitsinformationen verschaffen und Rat einholen können.
Ausdehnung der Gesundheitsversorgung
Finanzielle und administrative Barrieren sind für ankommende Flüchtlinge oft nur schwer zu überwinden. WHO/Europa ermutigt die Länder, administrative Regeln zu beseitigen oder zu vereinfachen, damit sich Flüchtlinge schnell Zugang zu allen Bereichen der Gesundheitsversorgung, einschließlich Arzneimitteln, verschaffen können. Dies schließt auch die notwendigen Maßnahmen zur Unterbindung informeller Zahlungen ein.
Mehrere Länder in der Europäischen Region gewähren Flüchtlingen und Asylbewerbern nur begrenzt Ansprüche auf staatlich finanzierte Gesundheitsleistungen. Die Länder sollten eine Ausweitung der Leistungsansprüche für in Erwägung ziehen und dafür sorgen, dass Versicherungsschutz reibungslos bereitgestellt und aufrechterhalten wird.
Einkommenshilfen können auch für Flüchtlinge erwogen werden, um sicherzustellen, dass sie ihre grundlegenden Bedürfnisse erfüllen und die indirekten Kosten der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, etwa Fahrtkosten, decken können.
In manchen Ländern umfasst der Leistungsumfang in der Gesundheitsversorgung nicht alle Leistungen, die Menschen auf der Flucht vor Konflikten benötigen, etwa einen erhöhten Bedarf an speziellen psychosozialen Angeboten oder Unterstützung in Bezug auf Sprache und Verständigung.
In diesen Fällen sollten zügig Anpassungsmaßnahmen eingeführt werden, etwa durch Ergänzung von Leistungen wie kostenlosen Impfungen gegen COVID-19, der Versorgung von Krebspatienten, Beratungsangeboten, psychologischer Unterstützung, Verdolmetschung und einer zahnärztlichen Grundversorgung.
Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel
WHO/Europa ist sich darüber im Klaren, dass die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheitsetats der Aufnahmeländer haben wird.
Die Zuteilung zusätzlicher öffentlicher Mittel für die Bewältigung eines erhöhten gesundheitlichen Bedarfs kann hier für Entlastung sorgen. Höhere externe Mittel, insbesondere für Länder mit mittlerem Volkseinkommen und solche, die eine größere Zahl von Flüchtlingen aufnehmen, würden eine wirksamere Unterstützung ermöglichen. Eine schnelle Einrichtung von Möglichkeiten zur Kontrolle und Meldung von Gesundheitsausgaben für Menschen auf der Flucht vor Konflikten kann dazu beitragen, die Auswirkungen auf Gesundheitsetats zu messen.
Auch wenn der neue Leitfaden der WHO angesichts der aktuellen Krise in der Ukraine in aller Eile erstellt wurde, lassen sich seine Grundsatzinstrumente auf alle Länder in Europa und Zentralasien übertragen, die Kriegsflüchtlinge aufnehmen – unabhängig von deren Herkunftsland.
Wenn Menschen auf der Flucht vor Gewalt ihre Heimat verlassen müssen, nehmen sie ihre gesundheitlichen Bedürfnisse mit. WHO/Europa ermutigt alle Länder, allen Menschen, die in ihr Land kommen – unabhängig davon, ob sie nur vorübergehend Schutz suchen, Asyl beantragen oder als Flüchtlinge registriert werden –, weiterhin die gesamte Bandbreite an Gesundheitsleistungen anzubieten.
WHO/Europa wird den Ländern auch künftig die fachliche Unterstützung zur Verfügung stellen, damit sie auf gesundheitliche Notlagen reagieren und die Beeinträchtigung von unentbehrlichen Gesundheitsleistungen auf ein Mindestmaß reduzieren können.
Weitere Informationen über die humanitäre Notlage in der Ukraine finden Sie auf der Website von WHO/Europa, auf der Themenseite zur Notlage in der Ukraine.