Die neue Normalität ist zweigleisig: Ansprache und Bericht des WHO-Regionaldirektors für Europa auf der 72. Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa

13 September 2022
Statement
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Sehr geehrter Herr Präsident, lieber großer Bruder Dr. Tedros, sehr geehrte Frau Exekutivpräsidentin, sehr geehrter Herr Stellvertretender Exekutivpräsident, sehr geehrter Herr Berichterstatter, sehr geehrte Ministerinnen und Minister, meine Damen und Herren! 

Wie ich heute Morgen schon sagte, ist dies ein ganz besonderes Regionalkomitee für mich. Zunächst einmal, weil ich immer noch nicht glauben kann, dass wir uns heute zum ersten Mal seit meinem Amtsantritt als Regionaldirektor hier unter demselben Dach versammeln. Zweitens, weil unser Gastgeber dieses wunderschöne Land, Israel, ist, dessen innovative Leistungen in den Bereichen Wissenschaft und Gesundheit auf der weltweiten Bühne zunehmend Anerkennung finden. Und drittens, weil diese Tagung genau zur Halbzeit des Mandats stattfindet, mit dem Sie mich 2019 betraut haben. 

Mein einziger Wunsch für dieses Regionalkomitee ist es, dass es eine wahrhaft gesamteuropäische Veranstaltung wird, also für alle 53 Mitgliedstaaten und insbesondere für all die Angehörigen der Gesundheitsberufe in den 53 Mitgliedstaaten, die während dieser extrem angespannten Zeiten immer wieder das Beste von sich gegeben haben.

Diese gesamteuropäische Einheit werden wir dringend brauchen, um das zu bewältigen, was ich als neue Normalität bezeichnen möchte. Diese neue Normalität ist das übergeordnete Thema meiner Ansprache. Es heißt, ein guter Vortrag ist der, bei dem die Zuhörer eine zentrale Botschaft mitnehmen. Meine zentrale Botschaft lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Zweigleisigkeit. Die neue Normalität heißt Zweigleisigkeit.

Dies bedeutet, dass alle Länder in der Lage sein müssen, in ständiger Alarmbereitschaft zu sein, ohne dabei jedoch ihre Routineaufgaben in der Krankheitsprävention und -bekämpfung zu vernachlässigen. Ich werde mich bemühen, in meinem Vortrag diese Zweigleisigkeit, die auf den von allen 53 Mitgliedstaaten geschilderten Lehren beruht, in drei Teilen zu veranschaulichen. Im ersten Teil werde ich auf die gegenwärtigen Notlagen eingehen. Im zweiten Teil werde ich auf die Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden zu sprechen kommen – unsere Flugbahn zur Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG). Und im dritten Teil werde ich einen Ausblick auf die Zukunft geben. 

Beginnen wir mit den gegenwärtigen Notlagen. Als ich vor zweieinhalb Jahren mein Amt als Regionaldirektor antrat, war diese Region fast frei von Krisen. Heute dagegen sind wir mit vier Ereignissen konfrontiert, die weltweite Auswirkungen haben. Erstens ein verheerender Krieg, bei dem es leider keinerlei Anzeichen für eine Deeskalation gibt. Zweitens eine COVID-19-Pandemie, die immer wieder von Neuem aufflammt. Drittens ein besorgniserregender Ausbruch der Affenpocken. Und viertens eine wachsende Zahl von Ausbrüchen vakzine-abgeleiteter Polioviren. 

Beginnen wir mit dem Krieg in der Ukraine. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen benötigen 18 Millionen Menschen in der Ukraine – mehr als ein Drittel der Bevölkerung – dringend humanitäre Hilfe. Nach aktuellem Stand wurden vom Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte 13 917 zivile Opfer registriert. Darunter wurden 5817 Todesopfer gemeldet. Davon waren 372 Kinder. 

7 Millionen Menschen aus der Ukraine sind allein in Europa als Flüchtlinge registriert, weitere 7 Millionen sind Binnenvertriebene im eigenen Land. Dr. Tedros hat bereits die Zahl der registrierten Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen erwähnt. Die Bemühungen zur Bekämpfung und Bewältigung der globalen Klimakrise wurden durch die Rückkehr zur verstärkten Verbrennung von Kohle aufgrund von Engpässen in der Gasversorgung, die Verwüstung natürlicher Ressourcen und in jüngster Zeit Bedrohungen durch nukleare Gefahren zurückgeworfen.

Der Krieg in der Ukraine hat die weltweite Ernährungsunsicherheit verschärft. Nach Schätzungen des Welternährungsprogramms wurden allein in diesem Jahr weitere 9 Millionen Menschen am Horn von Afrika in die Ernährungsunsicherheit getrieben, wodurch sich dort die Zahl der Menschen, die täglich nach Lebensmitteln für das nackte Überleben suchen müssen, auf 22 Millionen erhöht hat. Ich appelliere an Sie alle, unseren Brüdern und Schwestern am Horn von Afrika mit starker Solidarität zur Seite zu stehen. 

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine habe ich für die WHO auf weltweiter Ebene persönlich die Führung bei unseren Hilfsmaßnahmen übernommen. Dreimal bin ich auf Reisen in die Ukraine mit dem Gesundheitsminister, Dr. Viktor Liashko, zusammengetroffen, dessen unermüdliche Führungsrolle höchstes Lob verdient. Ich plane jetzt eine weitere, vierte Reise in der Woche vom 10. Oktober, u. a. nach Odessa und Dnipro.

Wir wissen, dass es hier ein außerordentliches Maß an Solidarität gibt. Ich habe auch die Nachbarländer der Ukraine besucht und möchte mich bei den Regierungen dieser Länder bedanken. Ich habe erlebt, wie die Menschen den aus der Ukraine Geflüchteten buchstäblich ihr Herz und ihre Wohnungen öffneten. Insbesondere möchte ich Ihnen, Dr. Adam Niedzielski, Gesundheitsminister von Polen, dafür danken, dass Sie sich schon früh an die Grenze zwischen Polen und der Ukraine begeben haben.

Ich selbst habe am Bahnhof in Rzeszów gesehen, wie Medizinstudenten den Neuankömmlingen Impfungen verabreichten. Ferner bin ich mit der Gesundheitsministerin der Republik Moldau, meiner guten alten Freundin Dr. Ala Nemerenco, in die Siedlungen gefahren und konnte am Dialysezentrum beobachten, wie Menschen aus der Ukraine wie Brüder und Schwestern mit den Menschen aus Moldau verbunden waren.

Wie im Gespräch mit der Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, erwähnt, ist es sehr wichtig, dass die Länder den Etat für die Unterstützung der Republik Moldau aufstocken, auch um das Gesundheitssystem vor allem für die örtliche Bevölkerung zu stärken. Meine Damen und Herren! Es ist wahrhaft bewundernswert, dass die ukrainische Regierung trotz des nach wie vor tobenden Krieges schon jetzt den nationalen Aktionsplan für einen Wiederaufbau zum Besseren ausgearbeitet hat.

Und Dr. Liashko hat sehr schnell den die Gesundheitspolitik betreffenden Teil skizziert, der ja auf der nationalen Gesundheitsstrategie für das Gesundheitswesen bis 2030 aufbaut. Erinnern wir uns daran, dass diese auf Reformen im Gesundheitswesen setzt, die bereits 2016 begannen und bei denen mit energischer Unterstützung durch die WHO maßgebliche Entwicklungspartner einbezogen wurden. 

Ich bin dem Präsidenten Polens, Herrn Andrzej Duda, sehr dankbar dafür, dass er mich eingeladen hat, zusammen mit Dr. Niedzielski eine Publikation der WHO zu präsentieren, die wir in großer Eile erstellt hatten. Darin wurden Grundsätze für Investitionen in das Gesundheitssystem im Hinblick auf den Wiederaufbau in der Ukraine erläutert. Diese Publikation präsentierten wir dann auf einer großen Konferenz zum Thema Wiederaufbau, die in Lugano stattfand. Hier möchte ich mich bei Botschafterin Nora Kronig Romero, die uns hierbei geholfen hat, sowie bei den Präsidenten der Schweiz und der Ukraine bedanken. Das WHO-Regionalbüro für Europa war die einzige Organisation auf dieser Konferenz, die auf die Bedeutung von Gesundheit und Gesundheitssystemen für den Wiederaufbauprozess einging.

Zusammen mit meinem Sonderbeauftragten, Prof. Mario Monti, werden wir auch weiterhin für Gesundheitsfinanzierung und nachhaltige Entwicklung eintreten, um die Gesundheitssysteme in den Mittelpunkt des Wiederaufbaus zu stellen. Denn wenn die Menschen sehen, dass das Gesundheitssystem funktioniert, werden sie verstärkt Vertrauen fassen: zu den örtlichen Gemeinschaften und in eine demokratische Regierung, die die Erwartungen der Bürger erfüllen kann. Die Reformierung des Gesundheitswesens war auch ein anschauliches Beispiel für eine Maßnahme zur Korruptionsbekämpfung: durch digitale Beschaffung und elektronische Arzneimittelrezepte.

Ich möchte auch den Mitgliedern des Ständigen Ausschusses des Regionalkomitees (SCRC) danken. Sie, liebe Nora, haben zusammen mit der Weltgesundheitsversammlung mich und meine Mitarbeiter mit großer Tatkraft bei unserem Handeln zugunsten der Menschen in der Ukraine und anderen vom Krieg betroffenen Ländern unterstützt. 

Zum ersten Mal seit 70 Jahren hat das Regionalbüro eine außerordentliche Tagung des Regionalkomitees organisiert, und das in weniger als zwei Wochen. Ich möchte meinen Mitarbeitern danken, denn es war ein wahrer Gewaltritt mit einer Resolution. Aus meiner Sicht hat die außerordentliche Tagung verdeutlicht, welchen Wert diese Region Solidarität, Frieden und Gesundheit für alle beimisst. Auf der für alle 53 Mitgliedstaaten offenen Tagung des SCRC im Juni habe ich ausführlich über die Umsetzung der Resolution Bericht erstattet, und wir werden am Mittwochnachmittag in einer Sondersitzung den Kurs für eine Konsultation mit allen 53 Mitgliedstaaten festlegen.

Was ich sagen möchte, ist, dass wir zur Umsetzung der Resolution das Verständnis und die Unterstützung der Mitgliedstaaten benötigen. Gleichzeitig stelle ich fest, dass der SCRC und seine Vorsitzende sich wie ich wünschen, dass die fachliche Zusammenarbeit und der Dialog mit jedem einzelnen der 53 Mitgliedstaaten aufrechterhalten werden können. 

Nun möchte ich mich den gesundheitlichen Notlagen von internationaler Tragweite zuwenden. COVID-19 ist immer noch unter uns. Das Virus verändert sich ständig und fordert weiter unnötigerweise Menschenleben. Allein vergangene Woche wurden in unserer Region 3422 Todesfälle registriert. Ich selbst wurde Anfang des Sommers drei Tage lang von COVID-19 außer Gefecht gesetzt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so krank war. Ich habe den ganzen Sommer gebraucht, um beim Laufen wieder meine alte Form zu finden. Ich stelle fest, dass die Menschen wieder Stabilität in ihr Leben bringen, ohne aber die Pandemie zu stabilisieren.

Deshalb hat das Regionalbüro schon Mitte Juli eine COVID-19-Strategie für den Herbst und Winter veröffentlicht – nicht um zu bestimmen, was im Herbst geschehen soll, sondern um zu bestimmen, was schon im Sommer geschehen muss, um eine allzu hohe Zahl von Opfern im Winter zu vermeiden. In diesem Dokument werden zum ersten Mal in einem Handlungsrahmen neue Instrumente, wie neue Impfstoffe, und neue Taktiken, wie eine gleichzeitige Surveillance mehrerer Atemwegserkrankungen, sowie die Behebung von anhaltenden Problemen wie Burnout beim Gesundheitspersonal zusammengeführt.

Nach dem Sommer ist es unbedingt notwendig, die Wachsamkeit wieder zu erhöhen. Auch wenn ich voll und ganz zu schätzen weiß, wie schwierig es ist, bei einer erschöpften Bevölkerung für gesundheitliche Maßnahmen zu werben, so möchte ich doch sagen, welches die wichtigsten Einzelmaßnahmen sind: die Stärkung der Surveillance, um jegliche neue Varianten zu entdecken (was wir nicht hoffen, aber wir müssen dafür gerüstet sein), und eine nachdrückliche Empfehlung, eine zweite Auffrischungsimpfung für unsere Hochrisikogruppen anzubieten, aber auch eine gezielte Anwendung von Antiviralia, damit die Patienten nicht ans Beatmungsgerät müssen. An die Adresse der besonders gefährdeten Personen sage ich: Tragen Sie Masken, wo es notwendig ist, und halten Sie an überfüllten und nicht ausreichend belüfteten Orten den nötigen Abstand. 

Mit Blick auf die Affenpocken sind wir offenbar auf dem richtigen Weg, doch wir müssen uns genau an diesen Weg halten. Als Spezialist für Infektionskrankheiten war ich mir von Anfang an der Tatsache bewusst, dass wir nie die Wucht einer neu auftretenden Infektionskrankheit unterschätzen dürfen, bei der es so viele unbeantwortete Fragen gibt.

Deshalb habe ich Mitte Juni ein Schreiben an Sie alle geschickt, als ob die Affenpocken eine Notlage für die Europäische Region wären. Angesichts der Lehren aus der frühen Phase der Übertragung von HIV/Aids suchten wir sofort das Gespräch mit der LGBTQI+-Community. Wir luden den Veranstalter von EuroPride zu einer Pressekonferenz ein, an der neben mir auch das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten teilnahm.

Wir brauchen eine sehr enge Zusammenarbeit, denn die größte Bedrohung für die Eliminierung der Affenpocken sind Stigmatisierung und Diskriminierung. Als ich mit meiner Schwester, Dr. Matshidiso Moeti, der großartigen WHO-Regionaldirektorin für Afrika, sprach, fragte ich sie: Liebe Schwester, welche Botschaft soll ich an die Mitgliedstaaten beim Regionalkomitee überbringen? Sie sagte: Hans, es ist wirklich schwer, an Diagnostika und Impfstoffe zu kommen. Aber am wichtigsten sind der Kapazitätsaufbau im Impfwesen und die Ausbildung in den verschiedenen Bereichen der Pandemievorsorge und -bewältigung, damit wir ein robustes System bekommen, das dann die Impfungen durchführt. 

Am Freitag werde ich von Tel Aviv direkt nach Reykjavik fliegen und der freundlichen Einladung folgen, die ich von Islands Präsidenten Guðni Jóhannesson und Jennifer Jones, der ersten Präsidentin von Rotary International, erhalten habe, um die 20 Jahre Poliofreiheit in unserer Region zu feiern. 

Doch Selbstzufriedenheit wäre hier fehl am Platz. Denn wir haben eine wachsende Zahl von Ausbrüchen vakzine-abgeleiteter Polioviren erlebt. In der ersten Augustwoche war ich wieder auf einem Amtsbesuch in Washington, wo mir Dr. Anthony Fauci erklärte, dass die Fälle in New York genetisch mit Fällen in der Europäischen Region verknüpft seien; diese wiederum seien mit Fällen in Afghanistan und Pakistan verknüpft, wo Polio noch endemisch ist. Dies erinnert uns daran, dass eine Krise an einem Ort schnell zu einer weltweiten Krise werden kann.

Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, um eine hohe Durchimpfung und eine aktive Surveillance aufrechtzuerhalten, mit der wir Polioausbrüche umgehend erkennen und auf sie reagieren können. Hier plädiere ich für eine Umweltüberwachung durch Abwasseruntersuchungen, durch die sich Viren bzw. neue Varianten, auch bei COVID-19 und Affenpocken, schnell erkennen lassen, insbesondere wenn es keine flächendeckenden Tests mehr gibt.

Hier bin ich optimistisch. Ich bin von Natur aus Optimist. Aber ich bin auch optimistisch, wenn ich die Krisenreaktion in unserem globalen Gesundheitssystem betrachte. Erstens haben wir auf der Weltgesundheitsversammlung eine historische Resolution angenommen, in der wir die ordentlichen Beiträge der Mitgliedstaaten erhöht haben. Hier gilt mein besonderer Dank Dr. Karl Lauterbach und Björn Kümmel für die beeindruckende Führungsrolle Deutschlands, die dies erst möglich gemacht hat.

Zweitens, wie von meinem großen Bruder, Dr. Tedros, erwähnt, hat auf Einladung der Weltbank und unter der fachlichen Führung der WHO gerade die erste Sitzung des Vorstands des Finanziellen intermediären Fonds für Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion stattgefunden. 

Drittens sind Sie dabei, die Internationalen Gesundheitsvorschriften zu überarbeiten und der WHO ein Mandat für schnellere Meldungen und vor allem eine stärkere Rolle für ihre Regionalbüros zu übertragen. 

Viertens entstehen weltweit Hubs für mRNA-Impfstoffe, an denen weit mehr an Wissen und Lizenztechnologien ausgetauscht wird, um den Zugang zu Diagnostika, Therapeutika und Impfstoffen zu verbessern.

Und fünftens laufen inzwischen, wie Sie wissen, zwischenstaatliche Verhandlungen über einen neuen rechtsverbindlichen Handlungsrahmen für die Bewältigung von Pandemien. Bitte sorgen Sie dafür, dass die Delegierten morgen an der Sitzung teilnehmen – es ist mir eine wirklich große Ehre, die beiden Vorsitzenden des Zwischenstaatlichen Verhandlungsgremiums, Roland Driece aus den Niederlanden und Precious Matsoso aus Südafrika, bei uns begrüßen zu dürfen. 

Gleichzeitig sollten wir aber ehrlich sein: Wenn wir in demselben Tempo weitermachen, werden wir wohl noch eine ganze Reihe Pandemien zu bekämpfen haben, bevor dieses internationale System zur Erkennung und Bewältigung von Pandemiegefahren betriebsbereit ist.

Wir müssen also die Initiative beschleunigen. Und hier erkennen wir zusammen mit den anderen Regionaldirektoren und Dr. Tedros eine gewichtige Rolle für die Regionalbüros, denn wir sind direkt am Puls der Länder und kennen das System. Also bitte ich Sie um konkrete Vorschläge, wie das WHO-Regionalbüro für Europa Ihnen dabei behilflich sein kann, schneller zu zusammenhängenden Reformen zu gelangen, in denen Führungsfragen und Rechenschaftslegung, Finanzierung, Chancengleichheit, gemeinsame globale Güter und nicht zuletzt die Unabhängigkeit und Autorität der WHO thematisiert werden.

Vergessen wir nicht, dass dies allesamt Empfehlungen waren, die zum ersten Mal schon im März 2021 in dem Handlungsappell der Paneuropäischen Kommission für Gesundheit und nachhaltige Entwicklung unter dem Vorsitz von Prof. Mario Monti veröffentlicht wurden. Ich möchte nochmals Prof. Monti dafür danken, dass er seine Zusammenarbeit mit uns fortsetzen möchte. Grazie mille, lieber Mario. In diesen Kriegs- und Krisenzeiten spüren wir die Notwendigkeit, den Werten der Europäischen Region – Chancengleichheit, Solidarität und Universalismus – treu zu bleiben.

Niemanden zurücklassen ist nicht mehr nur eine Maxime, sondern die Realität, in der wir leben, und zwar jeden einzelnen Tag.  Damit komme ich nun zum zweiten Teil. Denken Sie an das Schlüsselwort: Zweigleisigkeit. Eine ständige Alarmbereitschaft, ohne dabei die Routineaufgaben in der Krankheitsprävention und -bekämpfung zu vernachlässigen. 

Wo befinden wir uns also gerade auf unserer Laufbahn zur Verwirklichung der SDG? Die Antwort wird im Europäischen Gesundheitsbericht sehr schön veranschaulicht, und wir möchten Sie einladen, einen Blick darauf zu werfen. Er liegt in virtueller Form und als Papierkopie vor. Er ist ein äußerst effektives Werkzeug für Entscheidungsträger. Denn er enthält erstmals Prognosen, die zusammen mit dem Institute for Health Metrics and Evaluation erstellt wurden. Für diesen Vortrag wollte ich zwei repräsentative Bereiche herausgreifen: Der erste sind die nichtübertragbaren Krankheiten.

COVID-19 ist ohne jeden Zweifel die sichtbarste Pandemie in unserer Lebenszeit, aber nicht die tödlichste. Und auch nicht die am leichtesten verhinderbare. Diese Auszeichnung geht an die Pandemie der Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nach unseren Schätzungen sind während der COVID-19-Pandemie fünfmal so viele Menschen in einem niedrigeren Durchschnittsalter an Herz-Kreislauf-Erkrankungen gestorben wie an COVID-19 während der schlimmsten Phase der Pandemie.

Die gute Nachricht, sehr geehrte Ministerinnen und Minister, lautet, dass wir keine spektakulären medizinischen Innovationen brauchen, um hier das Blatt zu wenden. Wir haben bereits die nötigen Werkzeuge des Gesundheitsschutzes. Die Frage lautet also: Können wir gemeinsam den erforderlichen politischen und gesellschaftlichen Willen aufbringen, um diese Werkzeuge sinnvoll zu nutzen? 

Die drei – vermeidbaren – Haupttriebkräfte von Schlaganfällen und Herzinfarkten sind Tabakkonsum, Bluthochdruck und Luftverschmutzung. Die erste Priorität besteht darin, die Tabakepidemie zu beenden. Die einzige Ursache, die für mehr Todesfälle in der Europäischen Region verantwortlich ist, ist der Bluthochdruck: 2,4 Millionen Menschen im Jahr; das ist ein Viertel aller Todesfälle in unserer Region. Bei der Prävention und der Bewältigung von Bluthochdruck tun wir uns furchtbar schwer. Die wichtigste Einzelmaßnahme ist die Verringerung des Salzkonsums in verarbeiteten und verpackten Lebensmitteln, denn das Salz, das wir am Tisch zugeben, macht nur etwa 10% unserer gesamten Salzzufuhr aus.

Doch selbst wenn wir bei der Vorbeugung besser abschneiden, sollten die Länder die wirksame Behandlung ausweiten, denn es gibt in unserer Region Hunderttausende von Menschen, bei denen der Bluthochdruck weiter unbehandelt bleibt. Auch hier wissen wir dank der Lehren aus COVID-19 wieder, was wir tun müssen: Ausweitung der teamgestützten Versorgung von ambulanten Patienten, Einsatz multidisziplinärer Teams und Ansetzen an den sozialen Determinanten von Gesundheit mit Unterstützung durch die Patienten.

Natürlich wissen wir, dass Bluthochdruck auch mit Adipositas verknüpft ist. In unserer Region leidet ein Viertel der Kinder im Grundschulalter an Übergewicht oder Adipositas. Ich bin meiner Kollegin Prof. Sanja Musić Milanović, der Ehefrau des kroatischen Staatspräsidenten, äußerst dankbar dafür, dass sie im kommenden Jahr in ihrem schönen Land für die WHO den ersten gesamteuropäischen Gipfel der Ehepartner von Staatsoberhäuptern über die Bekämpfung von Adipositas im Kindesalter organisieren wird.

Natürlich hat Bluthochdruck auch mit Alkoholkonsum zu tun. Es gibt keinen Zweifel: Wir sind die schlimmsten Trinker auf der ganzen Welt. Ein Drittel aller Todesfälle unter jungen Menschen ist alkoholbedingt. Die Frauen in unserer Region sind sich nicht ausreichend im Klaren darüber, dass Trinken schon ab dem ersten Tropfen das Brustkrebsrisiko erhöht. Und wie viel häusliche Gewalt hat mit Alkohol zu tun?

Ich möchte meinem guten Freund, dem litauischen Gesundheitsminister Arūnas Dulkys, dafür danken, dass er in diesem Jahr seinen baltischen Amtskollegen den Baltischen Grundsatzdialog organisiert hat, um die Debatte über Alkoholsteuern in eine Debatte über Gesundheitssteuern zu verwandeln. Alkoholbesteuerung ist das am stärksten vernachlässigte Instrument zur Reduzierung des Alkoholkonsums in der Europäischen Region. Deshalb appelliere ich an alle Mitgliedstaaten, den Handlungsrahmen der Europäischen Region zur Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs zu unterstützen.

Uns liegen sehr gute Daten vom Internationalen Krebsforschungszentrum (IARC) in Lyon vor – dessen Leiterin, Dr. Elisabete Weiderpass, heute bei uns ist –, wonach es im Grunde genommen keinen unbedenklichen Alkoholkonsum gibt. 

Die dritte große Triebkraft von Schlaganfällen und Herzinfarkten ist die Luftverschmutzung. Sie ist allein in unserer Region für jährlich 550 000 Todesfälle verantwortlich, die Hälfte davon durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Deshalb bin ich stolz, vermelden zu können, dass unser Europäisches Zentrum für Umwelt und Gesundheit in Bonn neue Luftgüteleitlinien der WHO erstellt hat.

Genau so verstehe ich unsere Vision, der Welt die beste verfügbare Evidenz zu liefern. Kommen wir nun zum Kapitel HIV: dem Indikator 3.3.1 der SDG. Europa und Afrika sind die einzigen Regionen der WHO, in denen die Zahl der HIV-Neuinfektionen noch steigt. 

Um das Schlimmste zu vermeiden, sind größere Anstrengungen erforderlich, um die wesentlichen Risikogruppen zu erreichen, nämlich Häftlinge, Migranten, Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten, Transgender und Prostituierte sowie ihre jeweiligen Sexualpartner. Offen gestanden: Wir sind aus irgendeinem Grund die Region der WHO, die sich mit der Einführung der innovativsten Diagnostika und Behandlungsmethoden besonders schwer tut. 

Wir brauchen Ihr politisches Engagement und eine entsprechende Finanzierung für die Versorgung im Bereich HIV, denn das Worst-Case-Scenario schließt noch nicht die Folgen der Pandemie ein. Wir wissen, dass in einer Reihe von Ländern bis zu 50% der HIV-Testeinrichtungen geschlossen sind. Ich möchte Sie bitten, morgen an dem Mittagessen der Minister zur Beendigung von Tuberkulose, HIV und Hepatitis teilzunehmen. 

Wie steht es um die Umsetzung des Europäischen Arbeitsprogramms (EPW)? Es ist noch zu früh, um Ihnen Daten zu liefern. Denn es braucht etwa zwei Jahre, um Daten zu erheben und zu verifizieren. Aber ich möchte Ihnen versichern, dass wir mit unseren verschiedenen Teams intensiv an der Realisierung der Instrumente für Erfolgskontrolle und Messung arbeiten.

Ich würde Ihnen gerne einen kurzen Lagebericht über die Umsetzung der beiden Flaggschiff-Initiativen geben, die Sie im vergangenen Jahr angenommen haben. Die erste ist das Europäische Bündnis für psychische Gesundheit, für das Königin Mathilde von Belgien im letzten Jahr den Startschuss gab. Dafür sind wir ihr sehr dankbar. Das Bündnis unterstreicht immer wieder, dass Stigmatisierung und Diskriminierung in Bezug auf psychische Gesundheitsprobleme den Handlungsanreiz für die Politik verringern und sich auch negativ auf die Bereitstellung von Finanzmitteln auswirken.

Aus dem Atlas für psychische Gesundheit wissen wir, dass nur ein Drittel der Länder der Europäischen Region über eine nationale Strategie für psychische Gesundheit verfügen, die im Einklang mit geltenden Menschenrechtsnormen steht. Doch das Bündnis hat ausgezeichnete Arbeit geleistet. Es hat ein Programm zur Förderung von Führungskompetenz geschaffen, das Führungskräften wie Ihnen dabei behilflich sein soll, die Komplexitäten der Bedürfnisse im Bereich der psychischen Gesundheit zu erfassen.

Auch die Jugendarbeit wurde vorangetrieben. Denn Jugendliche verlieren sich oft im Dickicht der psychischen Gesundheitsversorgung. Wir alle kennen schreckliche Geschichten von langen Wartezeiten für Kinder mit psychischen Problemen – von denen manche durch Suizid sterben, bevor sie Angebote in Anspruch nehmen können. 

Hier möchte ich mich bei Ihnen, Prof. Jerôme Solomon, für die Einladung zur Group Hospitalier Universitaire in Paris bedanken. Dies ist eine Gruppe von Universitätskliniken, die im Bereich Neurowissenschaften und Psychiatrie tätig sind und deren Mitarbeiter uns neue Versorgungspfade für Kinder vorstellten, bei denen durch Überwindung institutioneller Grenzen die Wartezeiten drastisch verkürzt wurden. Merci beaucoup, Jerôme. Sie haben großzügigerweise angeboten, dass jedes Land Vertreter in Ihr Krankenhaus entsenden kann, um sich das anzuschauen, und ich muss sagen, hier herrscht dringender Handlungsbedarf.

Sie haben während der Ansprache des griechischen Ministerpräsidenten sein Bekenntnis zu unserer Arbeit durch das WHO-Büro für Versorgungsqualität in Athen gehört. Jetzt verfügen wir über die personellen und finanziellen Ressourcen, um Ihnen dabei behilflich zu sein, Ihr Potenzial zur Verbesserung der psychischen Gesundheitsversorgung voll auszuschöpfen. 

Gleichzeitig bemüht sich das Bündnis in intensiver Zusammenarbeit mit älteren Menschen um Schaffung von Konzepten für demenzgerechte Umfelder und um Bekämpfung von sozialer Isolation und Einsamkeit. Eines, liebe Freunde, kann ich nicht genug wiederholen: egal, ob bei jungen oder bei älteren Menschen – Einsamkeit ist schon für sich allein tödlich. 

Wir bemühen uns auch, die psychische Gesundheit in der arbeitenden Bevölkerung zu schützen. Dank der großzügigen Unterstützung durch die Europäische Kommission konnte ein Labor für Daten über psychische Gesundheit eingerichtet werden, denn uns fehlen zuverlässige Daten und Indikatoren, auch über die Leistungsfähigkeit der psychischen Gesundheitsversorgung. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an meine gute Freundin Sandra Gallina, Generaldirektorin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, die uns hier unterstützt hat. 

Die zweite Flaggschiff-Initiative, die Sie im letzten Jahr angenommen haben, war die Europäische Impfagenda 2030. Dieser unter der Federführung der Länder stehende Handlungsrahmen dient dem übergeordneten Ziel, Benachteiligungen abzubauen und niemanden zurückzulassen. Natürlich bestand hier unsere Hauptaufgabe darin, Ihnen bei der flächendeckenden Einführung von Impfungen gegen COVID-19 behilflich zu sein. Es ist erstaunlich – Sie haben schon mehr als 1,6 Milliarden Dosen COVID-19-Impfstoff verabreicht. Jedes Mal, wenn ich bei einem Ihrer Länder anklopfte, wurde mir geöffnet, ganz im Geiste internationaler Solidarität. Und dafür möchte ich Ihnen von Herzen danken. 

Inzwischen gewinnen wir auch Erkenntnisse über die Impfung gegen die Affenpocken – und stützen uns dabei auch auf Lehren aus COVID-19. Hier spreche ich dem Generaldirektor der Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) bei der Europäischen Kommission, Pierre Delsaux, meinen herzlichen Dank aus. Vielen Dank für die enge Zusammenarbeit. 

Die Initiativen der Europäischen Union erstreckten sich auch auf den Westbalkan und die Östliche Partnerschaft, denn letztendlich sind wir eine Region. Doch ebenso wichtig wie die Hilfe bei den Impfungen gegen COVID-19 war es, weitere Rückschritte bei Routineimpfungen abzuwenden. In den Jahren 2020 und 2021 versäumten etwa 1,2 Millionen Kinder ihre erste Dosis Masernimpfstoff und sind daher ungeschützt.

Hier möchte ich meinem guten Freund, Dr. Abdullozoda Jamoliddin Abdullo, Gesundheitsminister von Tadschikistan, zu dem enormen Erfolg seines Landes bei der Bewältigung des ersten Ausbruchs vakzine-abgeleiteter Polioviren gratulieren. Damals leitete Tadschikistan unverzüglich umfassende Gegenmaßnahmen ein, sodass dieser Ausbruch als weltweit erster offiziell für beendet erklärt wurde. Ich freue mich darauf, Ihrem Präsidenten Emomali Rahmon dafür persönlich eine Auszeichnung zu überreichen.

Welche Lehren haben wir also aus all dem gezogen? Wie schon erwähnt, befinde ich mich in der Mitte meiner Amtszeit, und deshalb haben wir zurückgeblickt, um dann in die Zukunft zu blicken. Wir stellen uns ständig die Frage: arbeiten wir gut genug mit Ihnen zusammen? Denn unser Anspruch besteht darin, unser Handeln auf die speziellen Gegebenheiten in Ihren Ländern zuzuschneiden. Und hier haben wir eine Reihe von Lehren gezogen. 

Die erste Lehre aus meiner Sicht lautet, dass nichts den direkten Kontakt mit den Ländern ersetzen kann, den ich, wie Sie sich erinnern werden, seit meiner Bewerbung um das Amt aufrechterhalten habe. So habe ich auf insgesamt 38 Ländermissionen zur Unterstützung Ihrer Führungsarbeit mittlerweile fast alle 53 Gesundheitsministerinnen und -minister getroffen. Ferner habe ich Gespräche mit insgesamt 28 Staats- und Regierungschefs geführt, um dazu beizutragen, der Gesundheit einen höheren Stellenwert auf der politischen Tagesordnung zu sichern, und diese Entschlossenheit, unser Handeln an den Gegebenheiten in den Ländern auszurichten, bildet das Fundament unserer Strategie für die Zusammenarbeit mit den Ländern – der ersten seit 20 Jahren. Wir müssen sie zusammen mit Ihnen allen entwickeln, und dafür brauche ich am Mittwoch dringend Ihre Unterstützung und Zustimmung.  

Die andere Lehre lautet, dass Partnerschaften immer dann am besten funktionieren, wenn sie sich um konkrete Projekte drehen. Hier spielt die subregionale Dimension eine wichtige Rolle, wie etwa bei dem Fahrplan für Gesundheit und Wohlbefinden in den Ländern des Westbalkans, den wir auf dem Gipfel der Mitteleuropäischen Initiative präsentiert haben. Meinen herzlichen Dank an Herrn Generalsekretär Roberto Antonione. 

Zusammen mit den Ministerpräsidenten und Gesundheitsministern haben wir gestern hier in Tel Aviv einen Fahrplan für die fünf Länder Zentralasiens unterzeichnet. An dieser Stelle bedanke ich mich herzlich beim Präsidenten Turkmenistans, Serdar Berdimuhamedov, der am Tag vor der Weltgesundheitsversammlung ein Treffen einberufen hat. 

Nun möchte ich Ihnen von der achten hochrangigen Tagung der Initiative kleiner Länder berichten. Wie Sie wissen, lege ich viel Wert auf die kleinen Länder. Ich bedanke mich herzlich bei meinem Freund Dr. Dragoslav Šćekić, Gesundheitsminister von Montenegro, der bei der Unterzeichnung der Erklärung von Montenegro in Budva ein perfekter Gastgeber war. 

Seit Beginn meiner Amtszeit gehörte die Partnerschaft mit den Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu meinen Prioritäten; dieser Linie folgt auch die Vereinbarung, die ich im November vergangenen Jahres mit Dr. Dmitry Pinevich in Minsk unterzeichnet habe.

Ich freue mich sehr darauf, Gesundheitsministerin Dr. Azhar Giniyat am Freitag nächster Woche begleiten zu können, wenn sie in Kasachstan den Vorsitz im Rat für gesundheitspolitische Zusammenarbeit der GUS führt. Vielen Dank – рақмет – Frau Ministerin. 

Wir haben auch unsere partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Interparlamentarischen Versammlung der GUS ausgeweitet. So haben wir im November vergangenen Jahres in Sankt Petersburg eine große Konferenz über allgemeine Gesundheitsversorgung und die SDG organisiert und dann in Almaty anlässlich des 30. Jahrestages der Gründung des Rates der Interparlamentarischen Versammlung eine Folgeveranstaltung abgehalten, zu der der Sprecher des Senats von Kasachstan, Herr Maulen Ashimbayev, eingeladen hatte, mit dem wir nächste Woche wieder zusammentreffen werden.

Gestern haben wir zum ersten Mal einen Arbeitsplan mit der Eurasischen Wirtschaftskommission unterzeichnet. Unsere Partnerschaft mit der Europäischen Kommission wurde exponentiell erweitert. Ich möchte mich herzlich bei den EU-Präsidentschaften Sloweniens, Frankreichs und Tschechiens dafür bedanken, dass sie die Prioritäten des EPW mit denen ihrer jeweiligen Präsidentschaften abgestimmt haben. Vergangenes Jahr fand in der schönen Stadt Brno unter dem Vorsitz des tschechischen Gesundheitsministers, Prof. Vlastimil Válek, eine wichtige Konferenz über moderne Krebsbekämpfung durch smarte Innovationen statt.

Ich möchte mich bei der Europäischen Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Stella Kyriakides, für die enge Zusammenarbeit, vor allem im Bereich der psychischen Gesundheit, bedanken, ebenso bei meiner guten Freundin Sandra Gallina für ihre Arbeit an der Oslo-Initiative für Arzneimittel, bei Olivér Várhelyi, dem Europäischen Kommissar für Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, für seine Freundschaft, beim Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Margaritis Schinas, der für die Tagung über die Gesundheit von Migranten nach Istanbul kam, und bei dem Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, für all die regelmäßigen Gespräche und dafür, dass er auf der Ebene der Länder für eine engere Zusammenarbeit zwischen den WHO-Länderbüros und den Delegationen der EU geworben hat.

Die andere Lehre, die wir in Bezug auf den Modus operandi gelernt haben, ist die Bedeutung regionsübergreifender Kooperation, natürlich im Einklang mit den vom WHO-Hauptbüro in Genf erarbeiteten globalen Vorgaben. Allein in diesem Jahr haben wir drei regionsübergreifende Initiativen gestartet: 

Die erste war eine Dreier-Initiative zwischen den Regionalbüros für den östlichen Mittelmeerraum, für Afrika und für Europa, die mit einer großartigen Konferenz in Istanbul eingeleitet wurde, zu der mein guter Freund, Gesundheitsminister Dr. Fahrettin Koca – teşekkür ederim – eingeladen hatte, ein vorbildlicher Gastgeber. Mein Dank gilt auch Ihnen, Präsident Recep Tayyip Erdoğan, für die Eröffnung einer Tagung zur Entwicklung einer neuen Rhetorik zwischen den Regionen in Bezug auf die Gesundheit von Migranten.

Die zweite Initiative ist eine transatlantische Partnerschaft zwischen der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation, dem WHO-Regionalbüro für Europa und dem Ministerium für Gesundheit und Soziales der Vereinigten Staaten zum Thema Vorsorge 2.0 – Personal für die Notlagen von morgen, und die neue Kooperation im Arktischen Rat – denn beide Regionen grenzen an die Arktis. Hier möchte ich mich beim Generaldirektor der Dänischen Gesundheitsbehörde, Dr. Søren Brostrøm, meinem guten Freund aus Dänemark, bedanken, der demnächst mit mir nach Grönland reisen wird.

Drittens haben wir eine regionsübergreifende Partnerschaft mit der Region Westlicher Pazifikraum, der Volksrepublik China und Japan im Bereich digitale Gesundheit begonnen. 

Partnerschaften – wir arbeiten in so vielen Partnerschaften, dass wir sie nicht alle erwähnen können. Doch ich möchte Ihnen versichern, dass dies eine Priorität ist – und ein besonderes Anliegen ist mir dabei die Partnerschaft mit der Jugend. Vom 25. bis 27. Oktober werden wir in Tirana den ersten Gipfel für junge Menschen und junge Fachkräfte abhalten. Herzlichen Dank Ihnen, Gesundheitsministerin Ogerta Manastirliu, und Ihren Kolleginnen und Kollegen, und auch an Ihren Ministerpräsidenten Edi Rama, für die Ausrichtung dieser so wichtigen Veranstaltung. 

Eine weitere Partnerschaft ist die Oslo-Initiative für Arzneimittel. Ich möchte Sie bitten, heute an dem Mittagessen der Minister teilzunehmen – sogar unsere internen Rechnungsprüfer haben die Oslo-Initiative für Arzneimittel als eine notwendige, innovative Partnerschaft zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor herausgestellt, die der Sicherung eines nachhaltigen Zugangs zu bezahlbaren innovativen Arzneimitteln dient.

Hier möchte ich mich herzlich bei Ingvild Kjerkol, Ministerin für Gesundheit und Soziales, und bei Bjørn-Inge Larsen und Audun Hågå, unseren norwegischen Freunden, bedanken, ebenso bei Nathalie Moll, Generaldirektorin der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations. 

Die letzte Lehre, die wir gelernt haben, und vielleicht die erste, von der ich heute Morgen gesprochen habe, ist die Bedeutung der leitenden Organe. Von Anfang an habe ich die Mitglieder des SCRC als meine Berater angesehen, als die Entscheidungsträger der ersten Ebene.

Nochmals vielen Dank, liebe Nora und liebe Mitglieder des SCRC, für Ihren gemeinsamen Einsatz zur Verbesserung der Transparenz in der WHO und ihrer Organisationsführung, einschließlich einer Empfehlung an die globale Ebene. Bestes Beispiel hierfür war die herausragende Klausurtagung in Bern, zu der Nora und das Schweizer Bundesamt für Gesundheit eingeladen hatten und auf der wir zum ersten Mal als SCRC zusammenkamen. Damals trafen wir uns zu freundlichen und offenen Beratungen über Möglichkeiten zur Verbesserung von Transparenz und Rechenschaftslegung sowie bei der Weiterverfolgung der Empfehlungen der Paneuropäischen Kommission unter dem Vorsitz von Prof. Monti.

Deine Unterstützung, liebe Nora, war für mich unglaublich wichtig. Ich halte die Mitglieder des SCRC immer über alle politischen und humanitären Missionen in Echtzeit auf dem Laufenden. So bin ich inmitten der Flüchtlingskrise, nach einem Gespräch mit der Führung in Belarus an die Grenze gefahren, zu dem Logistikzentrum in Bruzgi, am Grenzübergang nahe der Stadt Grodno. Noch vor Beendigung meiner Mission mit Dr. Dmitry Pinevich wurden dort Toiletten und Duschgelegenheiten angelegt, und es wurde ein Zentrum für primäre Gesundheitsversorgung eingerichtet. Genau das meinen wir, wenn wir sagen: Gesundheit ist nicht politisch. 

Sehr geehrte Ministerinnen und Minister, gestatten Sie mir, nun zum letzten Kapitel zu kommen, dem Ausblick auf die Zukunft. Welches sind Ihrer Meinung nach die drei Prioritäten in Anlehnung an die von Dr. Tedros genannten Prioritäten für die Zweigleisigkeit – die Fähigkeit, Notlagen zu erkennen und zu bewältigen und gleichzeitig die Routineaufgaben in der Krankheitsprävention und -bekämpfung weiter zu erledigen?

Erste Priorität: Veränderungen in der primären Gesundheitsversorgung. Das war die Botschaft, die ich in Kopenhagen wie in Genf immer wieder zu hören bekam – die Verankerung der primären Gesundheitsversorgung im Mittelpunkt des Gesundheitssystems, gewissermaßen als Kitt zwischen einer verbesserten Bereitschaftsplanung für Notlagen und der Prävention und Bekämpfung übertragbarer und nichtübertragbarer Krankheiten. 

Um dies zu erreichen, müssen drei Trends beschleunigt werden: eine primäre Gesundheitsversorgung durch multidisziplinäre Teams und Netzwerke, anstatt durch isoliert arbeitende Leistungserbringer; Investitionen in die Familienmedizin; und erweiterte Aufgaben für Pflegekräfte und Hebammen. 

Sie wissen, ich bin ein energischer Fürsprecher für Pflegekräfte und Hebammen – die größte Gruppe unter den Gesundheitsberufen in der Europäischen Region, deren Potenzial aber bei Weitem nicht ausgeschöpft wird. Deshalb bin ich Israel dafür dankbar, dass es die am Donnerstag am Sheba Medical Center stattfindende Tagung aller Obersten staatlichen Beauftragten für das Pflegewesen organisiert hat. Es wird eine großartige Veranstaltung. Vielen Dank, toda raba.

Der zweite Trend zur Beschleunigung der primären Gesundheitsversorgung ist das, was ich ein „multimodales Modell“ nennen möchte. Es beinhaltet eine intelligente Verknüpfung von direkten mit digitalen Konsultationen in Verbindung mit mobilen Teams, die zu den Menschen nach Hause kommen. 

Der dritte Trend ist die gezielte Nutzung der digitalen Revolution, um die Bedürfnisse der anfälligsten Menschen zu erkennen und zu erfüllen, getreu dem Gebot, niemanden zurückzulassen – zum Beispiel durch gezielte Maßnahmen im Bereich der psychischen Gesundheit oder durch freundliche Anrufe oder Besuche bei älteren Menschen, die unter Einsamkeit und Isolation leiden. 

Herzlichen Dank, Dr. Azhar Giniyat, für Ihre Zusage, im nächsten Jahr eine Veranstaltung zum 45. Jahrestag der Erklärung von Alma-Ata und zum 5. Jahrestag der Erklärung von Astana zu organisieren. Meine Bitte an alle: Wenn Sie die Einladung von Dr. Giniyat erhalten, bitte kommen Sie! Es wird eine großartige Veranstaltung. 

Zweite Priorität: Ohne Investitionen in das Gesundheitspersonal wird es uns nicht gelingen, diese Veränderungen in der primären Gesundheitsversorgung herbeizuführen. Auch das habe ich damals von fast allen von Ihnen zu hören bekommen. Die COVID-19-Pandemie hat uns sowohl die Anfälligkeit als auch die Stärke unseres Gesundheitspersonals vor Augen geführt. Die Fehlzeiten des Gesundheitspersonals haben seit der COVID-19-Pandemie um zwei Drittel zugenommen. Doch wir sollten auch die Verdienste unserer Gesundheitsfachkräfte anerkennen, etwa die Innovativität, mit der sie beispielsweise digitale Tools angenommen haben. Viele von Ihnen haben auch ihre Gehälter erhöht.

Ich möchte Sie einladen, am Mittwoch um die Mittagszeit dabei zu sein, wenn wir hier in Tel Aviv den ersten gesamteuropäischen Bericht über die Personalsituation im Gesundheitswesen vorstellen, der Daten aus allen 53 Mitgliedstaaten sowie zehn sehr konkrete Maßnahmen enthält – etwa Bedarfsabschätzungen und nationale Strategien für das Gesundheitspersonal – Bereiche, in denen Sie, Dr. Chris Fearne, Stellvertretender Ministerpräsident von Malta, in jüngster Zeit ausgezeichnete Ergebnisse erzielt haben. Wir können eine Menge davon lernen. 

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass 89% der Pflegekräfte, 98% der Hebammen und 49% der Ärzte Frauen sind. Deshalb dient alles, was wir für das Gesundheitspersonal tun, auch der Förderung der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern. Hier sage ich multumesc zu meinem guten Freund, Prof. Alexandru Rafila, der sich bereit erklärt hat, im kommenden Jahr in Rumänien eine hochrangige Tagung der Europäischen Region zum Thema Gesundheitspersonal zu organisieren, die den weiteren Weg weisen soll.

Die dritte Priorität: Ich habe immer wieder zu hören bekommen, dass die WHO sich im Bereich Wissenschaft und Evidenz besser aufstellen muss. Unser gesamtes Handeln bei der WHO muss strengen wissenschaftlichen Anforderungen genügen. Unmittelbar im Anschluss an das Regionalkomitee werde ich mit tatkräftiger Unterstützung durch meinen obersten Berater, Prof. Martin McKee von der London School of Hygiene and Tropical Medicine, einen Bericht zur Bestimmung von Defiziten und mit Empfehlungen für die Verbesserung der wissenschaftlichen Qualität in der strategischen Früherkennung in Auftrag geben. Wo liegen die Defizite in der Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse und bei der schwierigen Thematik der ethischen Zulässigkeit? 

Sehr geehrte Ministerinnen und Minister, auf der Ebene der Länder brauchen wir Ihre Hilfe. Es darf einfach nicht hingenommen werden, dass unsere Wissenschaftler um ihr Leben oder das ihrer Angehörigen fürchten müssen oder dass sie in den sozialen Medien beschimpft werden, weil sie wissenschaftliche Zusammenhänge erklären. Wer die Wissenschaft beiseiteschiebt, begibt sich auf Glatteis, und wir brauchen eine Führungsrolle der Politik, um Schutzmaßnahmen zu schaffen, die unseren Wissenschaftlern den Rücken stärken. 

Sehr geehrte Ministerinnen und Minister, ich komme nun wieder zu meinem Ausgangspunkt zurück: der Halbzeit des Mandats, mit dem Sie mich 2019 betraut haben. Ich hatte nie vor, es ruhig angehen zu lassen. Ich wusste, dass auf mich anspruchsvolle Aufgabe warteten. Jeden Sonntagmorgen, wenn meine Frau noch daheim schläft, schaue ich mir das hier an. Manche von Ihnen erinnern sich vielleicht – mein Wahlkampfbuch. Ich bin stolz, Ihnen vermelden zu können, dass ich beim Abarbeiten meiner Ihnen gegenüber eingegangenen 53 Verpflichtungen aus meinem Wahlkampf vor dem Zeitplan liege. 

Aber ohne die energische Unterstützung von Ihnen – und von meinen Mitarbeitern – hätte ich das nie geschafft. Ich bin ungeheuer stolz auf meine Mitarbeiter und auf alle jene hier und außerhalb dieses Saals, die uns zuarbeiten. Doch ich muss der Offenheit halber noch eines gestehen: In all den Jahren, die ich für Ärzte ohne Grenzen tätig war, war mir stets bewusst, dass alle Krisen vorübergehen. Aber ich hatte unterschätzt, wie schnell auch friedliche Zeiten vorübergehen können. Und deshalb brauchen wir die Zweigleisigkeit. 

Und so möchte ich mit einem Zitat in der schönen hebräischen Sprache schließen; es stammt von dem bekannten israelischen Sänger Arik Einstein, der in der jüdischen und arabischen Bevölkerung gleichermaßen beliebt ist: Ani ve'ata neshaneh et ha'olam. Gemeinsam werden wir, Sie und ich, die Welt verändern. Ich danke Ihnen. Toda raba.

 

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