Neuer Bericht der WHO verdeutlicht Ausmaß der Ungleichheiten bei Krebs im Kindesalter in der Europäischen Region

15 February 2022
News release
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Video: Aron Anderson - Childhood cancer survivor

 

Anlässlich des Internationalen Kinderkrebstages am 15. Februar 2022 hat WHO/Europa den „Bericht über Ungleichheiten in Bezug auf Krebs im Kindesalter in der Europäischen Region der WHO “ präsentiert. In dem Bericht wird zum ersten Mal die Evidenz zu Ungleichheiten in Bezug auf Krebs im Kindesalter in der Europäischen Region präsentiert, und es werden die auf der nationalen und regionsweiten Ebene bestehenden Muster der Inzidenz von Krebserkrankungen im Kindesalter sowie die Erfahrungen von Patienten und Betreuern und die kurz- und langfristigen Resultate für die Patienten untersucht. 

„In den vergangenen Jahrzehnten hat es enorme Fortschritte hinsichtlich der Überlebensrate bei Krebserkrankungen im Kindesalter gegeben, und heute können wir dank innovativer Technologien und verbesserter Diagnose- und Behandlungsmethoden bis zu 80% der Krebserkrankungen bei Kindern heilen“, erklärte Dr. Nino Berdzuli, Leiterin der Abteilung Gesundheitsprogramme der Länder bei WHO/Europa, während der Präsentation des Berichts. „In Ländern mit hohem Volkseinkommen ist Krebs kein Todesurteil für Kinder und Jugendliche mehr. Leider gilt das nicht für die gesamte Europäische Region der WHO.“ In einem dringenden Appell an die Politik fügte sie hinzu: „Es ist extrem wichtig, dass wir in der gesamten Europäischen Region entschlossen darauf hinarbeiten, die Defizite zu beseitigen, die immer noch bei der Versorgung und Behandlung von Krebserkrankungen im Kindesalter bestehen, damit jedes Kind mit Krebs eine optimale Lebenschance erhält.“ 

Ungleicher Anstieg der Überlebensrate bei Krebs im Kindesalter


Aus dem Bericht geht hervor, dass sich insgesamt die Fünfjahresüberlebensrate für Krebserkrankungen bei Kindern von 30% in den 1960er Jahren auf heute über 80% erhöht hat. Dieser Erfolg ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, u. a. bessere Medikamente und Diagnostika und einen besseren Zugang zur Versorgung. Doch die zentrale Botschaft des Berichts lautet, dass diese Fortschritte innerhalb der Europäischen Region nicht gleich verteilt sind und dass ein beträchtlicher Anteil der jährlich Tausenden mit Krebs diagnostizierten Kinder immer noch an der Krankheit stirbt. „Die Mortalitätsrate liegt je nach Land zwischen 9% und 57%. Diese gewaltige Diskrepanz ist durch eine Vielzahl von Ungleichheiten in der jüngsten vulnerablen Bevölkerungsgruppe in unserer Region bedingt und muss dringend bekämpft werden“, sagte Marilys Corbex, Leitende Fachreferentin bei WHO/Europa. 

Sie fügte hinzu: „Hier ist der Hinweis wichtig, dass es trotz der beträchtlichen Unterschiede bei den Überlebensraten zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Ländern oft auch erhebliche Unterschiede innerhalb einzelner Länder gibt, etwa zwischen sozioökonomischen Gruppen oder sogar zwischen den Geschlechtern.“

Der Bericht wurde zusammen mit einer Vielzahl von Interessengruppen inner- und außerhalb der Europäischen Region erstellt und befasst sich mit der Frage, wie Kinder und Familien, die Krebs im Kindesalter erleben, auf unterschiedliche Weise von Ungleichheiten betroffen sind:

  • Ungleichheiten zwischen Ländern, z. B. zwischen Ländern in Ost- und Westeuropa, sowie entlang des Kontinuums der Krebsversorgung – von der Früherkennung über die Behandlung bis hin zur Palliativversorgung;
  • Ungleichheiten innerhalb von Ländern, die auf sozioökonomische Herkunft, Geschlecht, Alter, Wohnort (ländlich/städtisch) und andere Einflussfaktoren zurückzuführen sind; 
  • Krebserkrankungen im Kindesalter als eine Ursache von Ungleichheiten, z. B. die Frage, wie eine Krebsdiagnose im Kindesalter Ungleichheiten schaffen oder verschärfen kann und wie die Schwierigkeiten für die Überlebenden sich auch im Erwachsenenleben fortsetzen und langfristig ihre körperliche und psychische Gesundheit, ihr Wohlbefinden und auch ihre Beschäftigungschancen beeinträchtigen können.



Die Evidenz


In diesem bahnbrechenden Bericht werden die vorliegenden Erkenntnisse und Informationen aus einem breiten Spektrum veröffentlichter Quellen zusammengetragen, u. a. von Studien aus den 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region der WHO, von Island im Westen bis nach Kirgisistan im Osten. 

Von diesen Ländern gelten 34 als einkommensstarke Länder, 14 als Länder mit gehobenem mittlerem Volkseinkommen und 5 als Länder mit niedrigerem mittlerem Volkseinkommen. Um die erheblichen Auswirkungen von Ungleichheiten in der Krebsversorgung zu veranschaulichen, beinhaltet der Bericht „Portraits“ der gelebten Erfahrungen von Kindern mit Krebs und ihren Familien. 

Beispiele aus diesen Geschichten: unzureichende Arzneimittelvorräte in Kliniken führen dazu, dass Eltern sich Arzneimittel selbst beschaffen müssen; ein mangelndes Bewusstsein für Krebs im Kindesalter und fehlendes Wissen über standardisierte Behandlungsprotokolle bei Krebs führen zu einer verpassten, verzögerten oder ungenauen Diagnose; wegen eines Mangels an pädiatrischen Einrichtungen müssen Kinder mit Krebs in Einrichtungen für Erwachsene behandelt werden; und Spenden an Organisationen, die Arzneimittel beschaffen, werden aufgrund von COVID-19 gekürzt, und Familien haben nicht das Geld, um die Arzneimittel selbst zu kaufen. 

Ein Aufruf zum Handeln


Der Bericht enthält eine Reihe von Anregungen und Empfehlungen, die die Politik in die Lage versetzen sollen, in bestimmten Bereichen mit nachweislichem Handlungsbedarf aktiv zu werden. Die Empfehlungen basieren auf der Erkenntnis, dass die Länder von unterschiedlichen Ausgangslagen ausgehen und unterschiedliche Rahmenbedingungen aufweisen, zielen aber auch auf eine maximale Wirkung beim Abbau von Ungleichheiten hinsichtlich Krebs im Kindesalter ab. 

Zu den zentralen Empfehlungen gehören: 

  • Investitionen in die Datenerhebung und -analyse, da ohne Daten keine Entscheidungen getroffen werden können;
  • Sicherstellung einer kostenlosen Diagnose und Behandlung, um ruinöse Ausgaben für Familien zu vermeiden;
  • Finanzierung der beruflichen Ausbildung von Ärzten und Pflegekräften, um das Wissen über standardisierte Behandlungsprotokolle für Kinder mit Krebs sowie deren Anwendung zu fördern;
  • Unterstützung von Überlebenden durch Pläne für die Nachsorge, um langfristige Folgen zu bekämpfen; 
  • Bereitstellung finanzieller und sozialer Unterstützungsangebote für betroffene Familien.





An der Veranstaltung nahmen hochrangige politische Entscheidungsträger sowie Fürsprecher und Experten teil, um für eine verstärkte Schwerpunktlegung auf die Bekämpfung von Ungleichheiten in Bezug auf Krebs im Kindesalter innerhalb der Europäischen Region zu werben. Der Botschafter von WHO/Europa für die Krebsbekämpfung, Aron Anderson, schloss sich dem Appell an Politiker in den Ländern an, die Ungleichheiten zu erkennen, denen Kinder mit Krebs und ihre Familien ausgesetzt sind, und Mittel zum Abbau solcher Ungleichheiten zu mobilisieren.

Der Bericht folgt auf eine Ankündigung der WHO aus dem Dezember 2021, dass sie zusammen mit dem St. Jude Children’s Research Hospital eine Plattform schaffen will, die weltweit den Zugang zu Medikamenten gegen Krebs im Kindesalter dramatisch verbessern wird. Die grenzüberschreitende, ressort- und fachübergreifende Globale Initiative zur Bekämpfung von Krebs im Kindesalter hat sich eine Verbesserung der Resultate für an Krebs erkrankte Kinder in aller Welt zum Ziel gesetzt. 

Diese Veranstaltung findet auch im Rahmen der von WHO/Europa 2021 ins Leben gerufenen Initiative „Gemeinsam gegen Krebs“ statt, die einen erheblichen Schwerpunkt auf Krebs im Kindesalter legt und letztendlich darauf abzielt, Krebs als lebensbedrohliche Krankheit zu eliminieren. 

Auch wenn der Bericht viel Erfreuliches in Bezug auf unser Verständnis hinsichtlich der Bekämpfung von Krebs im Kindesalter enthält, so besteht die Herausforderung doch jetzt darin, durch ein erneuertes Augenmerk auf Ungleichheiten dafür zu sorgen, dass Kinder in allen Teilen der Europäischen Region in gleichem Maße von diesen Fortschritten profitieren.