Video: Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, 15-02-2022
Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa
Kopenhagen, 15. Februar 2022
In der gesamten Europäischen Region der WHO verzeichnen wir mittlerweile über 165 Mio. COVID-19-Fälle. COVID-19 ist und bleibt nach wie vor eine tödliche Krankheit, in deren Folge 1,8 Mio. Menschen ihr Leben verloren haben, davon allein
25 000 in der vergangenen Woche. Die Gesundheitssysteme stehen zunehmend unter Druck, nicht zuletzt aufgrund rapide steigender Fallzahlen unter Gesundheitsfachkräften – diese stiegen von 30 000 zum Jahresende auf 50 000 nur einen Monat
später. Während die gesundheitlichen Anforderungen wachsen, fällt die Zahl des verfügbaren Versorgungspersonals und steigt das Risiko einer Übertragung in Gesundheitseinrichtungen, was das Problem weiter verschärft.
Am heutigen Tag richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Osten der Europäischen Region der WHO. Im Laufe der letzten zwei Wochen haben sich die COVID-19-Fallzahlen in sechs Ländern in diesem Teil der Region mehr als verdoppelt (in Armenien,
Aserbaidschan, Belarus, Georgien, der Russischen Föderation und der Ukraine). Wie erwartet, bewegt sich die Omikron-Welle gen Osten – 10 östliche Mitgliedstaaten haben mittlerweile Fälle dieser Variante gemeldet.
Impfmaßnahmen bleiben weiterhin die beste Verteidigung gegen einen schweren Krankheitsverlauf und Tod bei allen gegenwärtig zirkulierenden Varianten von COVID 19. Doch bleiben weiterhin zu viele Menschen mit erhöhtem Risiko ungeschützt:
weniger als 40% der über 60-Jährigen in Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Kirgisistan, der Ukraine und Usbekistan sind vollständig gegen COVID-19 geimpft. Auch Bulgarien, Georgien und Nordmazedonien zählen zu jenen Ländern,
in denen bislang weniger als 40% des Gesundheitspersonals mindestens eine Dosis eines COVID-19-Impfstoffs erhalten haben.
Ich fordere daher die Regierungen, Gesundheitsbehörden und maßgeblichen Partnerorganisationen auf, die örtlichen Gegebenheiten und Gründe genau zu untersuchen, die zu einer geringeren Nachfrage und Annahme der Impfstoffe beitragen,
und maßgeschneiderte Interventionen zu erarbeiten, um die Impfraten auf Grundlage der kontext-spezifischen Evidenz dringend zu erhöhen.
Angesichts der von der Omikron-Variante ausgelösten Flutwelle an Fallzahlen und der im Osten der Region noch immer zirkulierenden Delta-Variante ist diese besorgniserregende Situation nicht der richtige Zeitpunkt, um Schutzmaßnahmen zu lockern,
die erwiesenermaßen helfen, die Ausbreitung von COVID-19 einzudämmen. Hierzu zählen das Meiden von geschlossenen, beengten oder überfüllten Räumlichkeiten, das Tragen von Schutzmasken in Gegenwart anderer Menschen in
Innenräumen, nach Möglichkeit eine verbesserte Belüftung, die Verwendung von Schnelltests zur frühzeitigen Ermittlung von Fällen und die Gewährleistung, dass die Gesundheitssysteme gut auf die Bereitstellung evidenzbasierter
Behandlungen eingestellt sind, die erwiesenermaßen zur Verringerung von schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen beitragen können.
Mit Blick auf die nähere Zukunft möchte ich jedoch meine Botschaft der Hoffnung wiederholen. Auch wenn wir nicht wissen können, welche neuen Varianten des Virus in Zukunft noch auftreten werden, laufen einige Dinge derzeit zu unseren Gunsten.
Hierzu zählen das hohe Maß an Immunität, entweder durch Infektion oder vorzugsweise Impfungen, das bevorstehende Ende der Wintersaison, was bedeutet, dass sich weniger Menschen in Innenräumen mit anderen treffen und die milderen
Krankheitsverläufe bei Infektionen mit der Omikron-Variante unter vollständig Geimpften.
Wir müssen diese Atempause nutzen, um die Übertragung von COVID-19 vollständig unter Kontrolle zu bringen und die akute Phase der Pandemie zu beenden, und zwar durch:
- Maximierung der Durchimpfungsraten unter besonderer Berücksichtigung jener Bevölkerungsgruppen, in denen die Impfungen bislang schlecht angenommen wurden, kombiniert mit einem grenzübergreifenden Impfstoffaustausch;
- Unterstützung der Menschen bei der Minimierung der Gefahr für sie selbst und andere durch häufige Selbsttests, finanzielle und anderweitige Unterstützung im Falle einer Selbstisolation und das Tragen von Schutzmasken, wenn man sich mit anderen in Innenräumen trifft;
- Ausweitung des Zugangs zu wirksamen Virostatika und anderen evidenzbasierten Behandlungsmethoden in sämtlichen Ländern;
- Unterstützung der Gesundheitssysteme beim Abbau des Rückstaus an Behandlungen infolge der Pandemie und bei der künftigen Planung angesichts einer wachsenden Belastung durch Long-COVID.
Diese wichtigen Maßnahmen gelten für den Osten wie auch den Westen der Region gleichermaßen.
Und in diesem Zusammenhang möchte ich auch näher auf einen Bericht eingehen, den wir im Rahmen einer Veranstaltung anlässlich des heutigen Internationalen Kinderkrebstages im Laufe des Tages veröffentlichen werden. Der Bericht untersucht
Ungleichheiten in Bezug auf Krebs im Kindesalter. Die gute Nachricht dabei ist, dass bis zu 90% aller Krebserkrankungen im Kindesalter geheilt werden können. Und doch liegt die Überlebensrate bei Krebs im Kindesalter an einigen Orten bei
lediglich 20%. Diese Ungleichheiten verschärfen sich noch im späteren Lebensverlauf, wenn eine Krebsdiagnose die Chancen und die Zukunft eines Kindes und seiner Familie drastisch verändert.
Eine der fatalen Folgen dieser Pandemie ist die ungleiche Belastung, die sie für bereits zuvor benachteiligte Menschen bedeutet hat. Die Sicherstellung, dass die Gesundheitssysteme ihren Fokus auch wieder auf die Krebsversorgung richten können,
wird dazu beitragen, den Teufelskreis zu durchbrechen, der die Zukunft von Kindern zerstört, die ohnehin ein hartes Schicksal zu tragen haben.
Vielen Dank.