Guten Tag alle zusammen.
Erst gestern verkündete die WHO, dass wir in der nächsten Woche einen Notfallausschuss gemäß den Internationalen Gesundheitsvorschriften einberufen werden, um darüber zu beraten, ob der aktuelle Ausbruch der Affenpocken in nicht-endemischen
Ländern eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite darstellt.
Europa ist nach wie vor das Epizentrum dieses eskalierenden Ausbruchs, nachdem mittlerweile 25 Länder über 1500 Fälle gemeldet haben, was 85% der globalen Gesamtfallzahl entspricht.
Das Ausmaß dieses Ausbruchs stellt ein reales Risiko dar: je länger das Virus zirkuliert, desto weiter wird es sich ausbreiten und desto stärker wird die Krankheit in nicht-endemischen Ländern Fuß fassen.
Regierungen, Gesundheitspartner und die Zivilgesellschaft müssen dringend handeln, und zwar gemeinsam, um diesen Ausbruch einzudämmen. Hierzu bedarf es drei grundlegender Schritte.
Erstens bedarf es der Durchführung einer verstärkten Surveillance, Kontaktverfolgung und Infektionsprävention und -bekämpfung.
Es ist den leistungsfähigen Surveillance- und Diagnosesystemen mehrerer europäischer Länder sowie Mechanismen für einen raschen Informationsaustausch zu verdanken, dass der Ausbruch so schnell gemeldet und Informationen darüber
so schnell verbreitet wurden.
Dennoch sehen wir bereits erhebliche Reaktionslücken, die es zu schließen gilt. Mit höchster Priorität hat die WHO Mittel für Sofortmaßnahmen freigegeben, um rasch die Identifizierung und Sequenzierung des Affenpockenvirus
in Ländern zu ermöglichen, die noch nicht über die notwendigen Tests und Laborgeräte verfügen, um das Virus in ihren Laboren nachzuweisen.
Und doch verfügen wir auch ohne die ganzen Instrumente, die uns jetzt zur Verfügung stehen, bereits über alles, was wir brauchen, um Fälle zu identifizieren und die weitere Ausbreitung zu verhindern.
Mediziner müssen wissen, auf was sie achten müssen und wie sie mit Verdachtsfällen umgehen sollten. Auch die allgemeine Öffentlichkeit muss wissen, worauf man achten sollte und was zu tun – oder zu unterlassen – ist, falls
man den Verdacht hat, sich mit den Affenpocken angesteckt zu haben.
Sobald sie identifiziert wurden, sollten Patienten mit Verdacht auf Affenpocken oder einer bestätigten Affenpocken-Infektion isoliert werden, bis ihre Symptome vollständig abgeklungen sind. Zudem sollten die notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen
ergriffen und die nötige Unterstützung bei der Genesung geleistet werden. Wir müssen enge Kontaktpersonen von bestätigten Fällen identifizieren und auch diese unterstützen. Sie sollten sich 21 Tage lang selbst auf frühe
Anzeichen von Affenpocken (wie etwa Fieber) beobachten.
Bislang traten in Europa die meisten – aber nicht alle – gemeldeten Fälle bei Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten auf. Viele – aber nicht alle – Patienten berichten über mehrere und manchmal anonyme
Sexualpartner. Die rasche Identifizierung, Verfolgung und Benachrichtigung von Sexualpartnern gestaltet sich daher oft schwierig, bleibt aber dennoch wichtig, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern.
Dennoch – und dies ist wichtig – müssen wir daran denken, dass das Affenpockenvirus an sich nicht mit einer bestimmten Gruppe verbunden ist. Die Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen untergräbt die Reaktion des öffentlichen
Gesundheitswesens, wie wir es immer wieder in so unterschiedlichen Zusammenhängen wie HIV/Aids, Tuberkulose und COVID-19 gesehen haben. Die Affenpocken sind in ihrem Kampf ums Überleben opportunistisch und ihre Ausbreitung wird von den ihnen
gebotenen Bedingungen abhängen.
Der zweite Schritt zur Eindämmung der Übertragung ist eine intensive Einbeziehung der Bevölkerung und eindeutigere Kommunikation.
Auf der Nordhalbkugel haben die Sommermonate begonnen, mit Sommertourismus, verschiedenen Pride-Veranstaltungen, Musikfestivals und anderen Massenveranstaltungen, die in allen Teilen der Europäischen Region geplant sind. Diese Veranstaltungen bieten
wichtige Gelegenheiten, um junge, sexuell aktive und hochmobile Menschen zu erreichen. Die Affenpocken sind kein Grund, um Veranstaltungen abzusagen, bieten aber Gelegenheit, um sie zur Förderung der Einbindung der Bevölkerung zu nutzen.
Die WHO und ihre Gesundheitspartner sind dabei, rasch mit Gemeinschaften, Veranstaltern und Dating-Apps Kontakt aufzunehmen, um eindeutige Informationen bereitzustellen und so das Bewusstsein für die Affenpocken zu schärfen und den Schutz von
Einzelnen und Gemeinschaften zu stärken.
Um es noch einmal zu wiederholen: Die unmittelbare Notwendigkeit besteht darin, diesen Ausbruch einzudämmen, indem wir die Übertragung von Mensch zu Mensch stoppen, und dafür sind die ersten beiden Schritte von zentraler Bedeutung.
Der dritte Schritt ist eine echte und uneigennützige regionsweite Zusammenarbeit – und zwar dringend genau jetzt aber auch längerfristig.
Auch wenn wir uns gerade mit der Gegenwart befassen, müssen wir unseren Blick auf die Zukunft richten und dabei Lehren aus einer globalen Krise ziehen, die uns noch immer beschäftigt – COVID-19.
Jahrzehntelang waren die Affenpocken in Teilen West- und Zentralafrikas endemisch – und jahrzehntelang wurde die Krankheit vom Rest der Welt vernachlässigt. Nun, da sie in Europa und anderswo angekommen ist, erleben wir erneut, wie eine Herausforderung
in einem Teil der Welt so leicht und schnell zu einer Herausforderung für uns alle werden kann – und wie wir uns alle gemeinsam darum bemühen müssen, eine koordinierte Reaktion zu gewährleisten, die für alle und jeden
gerecht ist, insbesondere für die Schwächsten und am stärksten Gefährdeten unter uns. Doch haben wir wirklich unsere Lektion gelernt?
Gegenwärtig gibt es nur begrenzte Mengen an Impfstoffen und antiviralen Arzneimitteln gegen die Affenpocken und nur begrenzte Daten zu ihrer Nutzung. Massenimpfungen werden zu diesem Zeitpunkt weder empfohlen noch gebraucht. Eine gezielte Impfung,
entweder vor oder nach einer Exposition gegenüber dem Virus, kann Kontaktpersonen von Patienten nutzen, wie z. B. Gesundheitsfachkräften. Und doch sehen wir in einigen Gegenden bereits eine lebhafte Nachfrage, um diese Mittel zu erwerben
und entsprechende Vorräte anzulegen.
Doch was ist mit jenen afrikanischen Ländern, in denen die Affenpocken schon seit Langem endemisch sind – sollten sie nicht Teil einer globalen Strategie zur Bekämpfung der Krankheit sein? Abermals könnte ein eigennütziger Ansatz
am Ende schädliche Folgen haben, wenn wir nicht ein wahrhaft kooperatives und weitsichtiges Vorgehen an den Tag legen. Ich ersuche die Regierungen eindringlich, bei der Bekämpfung der Affenpocken nicht die gleichen Fehler wie während
der Pandemie zu machen – und die Chancengleichheit ins Zentrum all unserer Maßnahmen zu rücken.
In dieser Frühphase des Affenpockenausbruchs ist das beste uns zur Verfügung stehende Instrument wirklich unsere Fähigkeit, entscheidendes Wissen über Grenzen, Gemeinschaften und Bevölkerungsgruppen hinweg zu generieren und zu
teilen.
Die Vielfältigkeit der Europäischen Region bietet uns auch riesige Chancen, um Wissen, Fähigkeiten und Ressourcen zu nutzen – die vorhandenen Kapazitäten über Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens hinweg
zu bündeln, zum Nutzen der gesamten Region.
In der Tat war es noch nie so wichtig wie heute, gemeinsam für mehr Gesundheit in Europa einzutreten. Ich danke den anderen Diskussionsteilnehmern, dass sie sich uns hierbei anschließen.
Vielen Dank.