Harun Tulunay
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„Wir glauben immer, das passiert uns doch nicht“ – ein Mitarbeiter einer Klinik für Sexualgesundheit schildert seine eigenen Erfahrungen mit den Affenpocken

15 July 2022
News release
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Am 11. Juni 2022 bekam Harun Tulunay Fieber. Zuerst dachte er , er habe sich mit COVID-19 infiziert, aber dann fiel ihm auf, dass es sich anders anfühlte.
 
„Meine Lymphknoten schmerzten sehr und waren stark angeschwollen. Ich hatte 39,6 °C Fieber. Ich nahm Ibuprofen und andere Schmerzmittel, um den Schüttelfrost zu bekämpfen. Am fünften Tag lag ich nur noch auf dem Sofa und konnte mich weder bewegen noch schlafen. Ich fühlte mich einsam, und die Schmerzen waren unerträglich.“
 
Ein paar Wochen zuvor waren in mehreren Ländern der Europäischen Region der WHO erste Fälle von Affenpocken entdeckt worden. Mit Stand vom 14. Juli lag die Gesamtzahl der bestätigten Fälle von Affenpocken in der Europäischen Region über 8900. Die höchsten Fallzahlen werden aus Deutschland, Frankreich, Spanien und dem Vereinigten Königreich gemeldet, doch insgesamt liegen nun Meldungen aus 35 Ländern und Gebieten in der Europäischen Region vor.
 
„Als man mich zu einem Test auf Affenpocken in eine Klinik für Sexualgesundheit schickte, hatte ich nur eine Blase an der Nase. Am Anfang hatte sie die Größe einer Kulispitze, aber dann wurde sie immer größer und tat immer mehr weh. Mein Hals war so wund, dass ich nicht schlucken, essen oder trinken konnte. Es tat einfach so weh“, erzählt Harun. 
 
Die Affenpocken nehmen meist einen milden Verlauf, und die Infizierten erholen sich dann innerhalb weniger Wochen auch ohne Behandlung. Doch die Krankheit ist oft unangenehm oder schmerzhaft und kann gelegentlich zu Komplikationen führen, die eine enge ärztliche Überwachung erfordern. Dies war auch bei Harun der Fall, dessen Symptome sich nach der Einweisung ins Krankenhaus verschlimmerten.
 
„Nachdem meine Tests auf Affenpocken positiv waren, wurde ich auf eine Isolierstation in einer Spezialklinik für Infektionskrankheiten verlegt. Ich war einfach nur erleichtert, weil ich nun endlich wusste, was ich hatte. Aber ich hatte immer noch Angst, denn obwohl ich mich für die Förderung der sexuellen Gesundheit engagiere, hätte ich doch nie gedacht, dass die Affenpocken so schlimm sein können. Die Stärke der Schmerzen hat mich überrascht. Und ich merkte, wie allein ich war. Ich durfte keinen Besuch von Freunden oder Angehörigen empfangen. Ich dachte mir: Wenn du an dieser Krankheit stirbst, dann stirbst du allein.“
 
Zehn Tage lang wurde Harun mit Tecovirimat behandelt, einem antiviralen Wirkstoff, der für die Bekämpfung der Pocken entwickelt wurde und nun von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) gegen Affenpocken zugelassen wurde. Doch es werden dringend mehr internationale Daten über seine Wirksamkeit bei der Behandlung der Affenpocken beim Menschen benötigt. 
 
„All die unbeantworteten Fragen haben mir psychisch schwer zugesetzt. Ich war noch nie ins Krankenhaus eingewiesen worden, und die Ungewissheit in Bezug auf die Krankheit war zermürbend. Ich musste starke Schmerzmittel nehmen, außerdem Antibiotika wegen einer sekundären bakteriellen Infektion, und ich wurde intravenös behandelt. Ich wollte einfach nur, dass der Schmerz aufhört“, erklärt Harun.
 
„Sogar jetzt werde ich emotional bei dem Gedanken, welche Narben die Affenpocken hinterlassen könnten. Ich will keine Narben haben, die mich an diesen schrecklichen Monat erinnern. Ich möchte mich nicht im Spiegel anschauen und das hier sehen.“

Die primären Maßnahmen zur Bekämpfung des Ausbruchs sind Kontaktverfolgung und Isolierung. Es ist sehr wichtig, dass Personen mit bestätigten Affenpocken ihre Kontaktpersonen nennen, damit diese darüber aufgeklärt werden können, auf welche Symptome sie achten müssen.

„Als ich meinen Freunden und Kollegen erzählte, dass ich die Affenpocken habe, haben mich alle sehr unterstützt und versucht, mir zu helfen.“

Der aktuelle Ausbruch in der Europäischen Region der WHO ist insofern besorgniserregend, als er anders verläuft als frühere Ausbrüche. Die Epidemiologie, die Infektionsquellen und die Übertragungsmuster werden noch untersucht.
 
Die wichtigste Präventionsstrategie gegen Affenpocken ist im Augenblick die Aufklärung. Neugeborene, junge Kinder, Schwangere und Personen mit bestehenden Immunschwächen können ernstere Symptome entwickeln, die in seltenen Fällen tödlich enden.  
 
„Wir glauben immer, das passiert uns doch nicht. Ärzte und Wissenschaftler leisten Erstaunliches, aber wenn jemand, der dieselbe Reise hinter sich hat, erzählen kann, was zu erwarten ist, dann ist das wirklich wichtig“, findet Harun.

„Ich lebe seit 2016 mit HIV und weiß, wie heilsam es sein kann, die Geschichten von anderen zu erfahren. Deshalb wollte ich die Geschichte von meiner Affenpockeninfektion erzählen, weil das noch eine relativ unbekannte Krankheit ist. Als ich erkrankte, wusste ich nichts darüber. Ich wünsche es keinem, dass er das erleben muss. Und ich möchte den Menschen zeigen, dass es mir gut geht. Ja, es war schlimm, aber jetzt geht es mir besser.“
 

Haruns Empfehlungen an die Öffentlichkeit 

 
„Ich wünsche mir, dass die Leute auf sich aufpassen. Seid rücksichtsvoll, seid freundlich und isoliert euch, wenn ihr Symptome habt. Haltet die Augen offen und achtet auf Symptome wie Ausschlag, Fieber und Muskelschmerzen. Tut etwas für eure Gesundheit und erkundigt euch nach euren Rechten. Es gibt einen Impfstoff, also fragt danach. Und wenn ihr die Affenpocken bekommt, lasst euch behandeln.“

Wenn Sie in einem Land leben, in dem Sie und Ihre engen Kontaktpersonen den Impfstoff bekommen können, machen Sie davon Gebrauch. Wenn Sie glauben, mit einer Person mit Affenpocken in Kontakt gewesen zu sein, suchen Sie umgehend ärztlichen Rat. 

Für Kontaktpersonen von Erkrankten empfiehlt die WHO eine Postexpositionsprophylaxe mit einem geeigneten Impfstoff der zweiten oder dritten Generation, möglichst innerhalb von vier Tagen nach der ersten Exposition. 

Je nach Verfügbarkeit eines Impfstoffs sind in manchen Ländern auch Strategien zur Impfung aller besonders gefährdeten Gruppen vorgesehen, die aus der Epidemiologie ersichtlich sind. 
 

Prävention und Behandlung der Affenpocken


Zwar ist ein längerer enger körperlicher Kontakt ein bekannter Risikofaktor für die Übertragung, doch ist gegenwärtig noch unklar, ob die Affenpocken speziell auf sexuellem Weg übertragen werden. Das Risiko muss noch näher untersucht werden.
 
Derzeit werden in wissenschaftlichen Studien die Machbarkeit und die Eignung von Impfungen zur Prävention und Bekämpfung von Affenpocken untersucht. Manche Länder haben Maßnahmen ergriffen oder arbeiten daran, besonders infektionsgefährdeten Personen wie Laborpersonal, schnellen Einsatzkräften und Gesundheitspersonal den Impfstoff anzubieten. Tecovirimat ist noch nicht in großem Umfang verfügbar. 
 
Die WHO arbeitet zusammen mit den betroffenen Ländern darauf hin, den Informationsaustausch zu erleichtern und Surveillance, Tests, Infektionsschutz, klinisches Management, Risikokommunikation und Bürgerbeteiligung zu fördern. Darüber hinaus bemüht sie sich zusammen mit den Impfstoffherstellern um eine Bewertung des Potenzials für eine Ausweitung der Herstellung von Impfstoffen gegen Affenpocken und Pocken, wenn die Notwendigkeit besteht, die am stärksten gefährdeten Gruppen oder jene, die möglicherweise einen schwereren Krankheitsverlauf fürchten müssen, zu impfen.