Malta hat erfolgreich eine innovative Lotsenfunktion in der Krebsversorgung und damit einen personalisierten, integrierten Ansatz für die Versorgung während und nach der Behandlung eingeführt. Dr. Gauden Galea, Repräsentant der WHO in China und Experte für öffentliche Gesundheit, ist mit dem Angebot in seinem Heimatland Malta vertraut. Ihm ist bewusst, dass eine am Menschen orientierte Versorgung zwar häufig thematisiert, aber selten in die Praxis umgesetzt wird. Das ändert sich mit der neuen Funktion.
„Als Lotsen tätige Pflegekräfte sorgen dafür, dass sich das System um den Patienten dreht. In einer Zeit großer Sorge führt der Pflegelotse den Patienten durch ein Labyrinth von Angeboten, Protokollen und Formularen und schafft einen Kokon des Vertrauens in das System, der gut für die psychische Gesundheit des Patienten ist und enorm zur Qualität der gesamten therapeutischen Erfahrung beiträgt.“
Wie in den meisten Ländern mit hohem Einkommen steigt auch in Malta die Krebsinzidenz, aber ebenso die Überlebensrate. Hinter allen Krebsstatistiken stehen Hunderte individuelle Geschichten von Kampf, Leid, Akzeptanz und zunehmend auch Genesung. Die Gesundheitsbehörden in Malta achten mehr und mehr auf die Lebensqualität von Menschen, die an Krebs erkrankt sind, sowohl während als auch nach ihrer Behandlung.
Da die individuellen Erfahrungen von Krebskranken Danika Marmarà, der Leiterin der maltesischen Direktion Pfade in der Krebsversorgung, ein großes Anliegen waren, wollte sie Ansätze finden und entwickeln, die über die grundlegende
medizinische Behandlung von Krebstumoren hinaus den individuellen Bedürfnissen der Patienten gerecht werden.
Erfahrungen in der Krebsversorgung
Marmarà begann sich während ihres Studiums der medizinischen Bildgebung im Vereinigten Königreich für die Krebsversorgung zu interessieren. Aus ihrem anfänglichen Schwerpunkt – der Verbesserung von Brustuntersuchungen
und Krebstechnologien wie Brustbildgebung – entwickelte sich im Lauf der Zeit ein umfassenderes Interesse für die gelebten Erfahrungen von Krebspatienten bei der Navigation durch Gesundheitssysteme.
Was Marmarà während ihrer Ausbildung und ihres Studiums im Vereinigten Königreich auf dem Gebiet der Krebsversorgung am meisten beeindruckte, waren zeitnahes Handeln und effiziente Koordination. Es wurden Zeitvorgaben gemacht, um eine rasche Weiterverfolgung und Diagnose zu gewährleisten. Spezialisierte onkologische Pflegekräfte übernahmen die Rolle von Fallmanagern, boten eine Anlaufstelle für Patienten, kommunizierten aktiv mit ihnen und führten sie durch Leistungsangebote und schwierige Behandlungswege. Doch obwohl es diese recht robusten Verfahren gab, konnten Patienten offenbar immer noch aus dem System herausfallen.
Auf der Suche nach Möglichkeiten, zu verhindern, dass Menschen durch Lücken im System rutschen, oder gefährdete Personen aufzufangen, stieß Marmarà erstmals auf die Idee eines „Lotsen“ für das Gesundheitssystem, die in Teilen der Vereinigten Staaten erprobt wurde. Das Konzept blieb ihr im Gedächtnis. Nach Abschluss ihrer Promotion auf dem Gebiet der Krebsversorgung an der Universität Stirling (Vereinigtes Königreich) kehrte sie in ihr Heimatland Malta zurück, mit der Vision, die Krebssysteme vor Ort zu verbessern.
Patienten zuhören
Sie begann ihre Nachforschungen auf Krankenhausfluren, wo sie mit Patienten und ihren Familien sprach, um zu verstehen, wie die bestehenden „Pfade“ der Krebsversorgung aus der Sicht der Patienten aussahen, und um festzustellen, wo es Lücken gab. Mit ihrer Recherche, sagt sie, wollte sie den gesamten Krebspfad kennenlernen und wissen, was mit Patienten in jedem Stadium passiert. Außerdem wollte sie verstehen, was Patienten durchmachen, wenn sie ihre Behandlung abgeschlossen haben.
„Patienten wie Angehörige sagten, dass sie sich nach Abschluss der Behandlung verlorener fühlten, weil sie weniger Kontakt zum System hatten. Neun Monate lang waren sie von einem Gesundheitsteam betreut worden, und dann war die Behandlung plötzlich abgeschlossen, und sie fühlten sich verloren.“
Sie hörte Patienten im Rahmen der Krebsversorgung zu und stellte fest, dass sich deren Bedürfnisse in der Regel in den ersten 6 bis 12 Monaten ändern. „Die Bedürfnisse zum Zeitpunkt der Diagnose sind ganz anders als die nach der Behandlung, die emotional sehr belastend ist. Die Bedürfnisse jedes Einzelnen hängen vom jeweiligen Kontext ab; handelt es sich zum Beispiel um eine Frau, die berufstätig ist und eine Familie hat, dann geht es um die Rückkehr an den Arbeitsplatz, um den Umgang mit Familie und Beziehungen und natürlich um ihre körperlichen, psychosozialen, spirituellen und emotionalen Bedürfnisse.“
Die implizite Frage, die sie immer wieder von Patienten hörte, war: Wie helfen Sie mir, diese Tortur zu überstehen? Ihr war klar, dass die Patienten ein menschliches Gesicht im Gesundheitssystem brauchten, jemanden, der auf ihre Sorgen eingeht, ihnen hilft, sich in der Komplexität des Systems zurechtzufinden, und der sich für sie einsetzt.
Den Nutzen darlegen
Ein Jahr lang erforschte Marmarà die Krebsversorgung und die Patientenerfahrungen in Malta und legte dann dem Gesundheitsministerium ihre Ergebnisse vor. Ihre Prüfungen und Untersuchungen zeigten deutlich, wo Versorgungslücken bestanden und wo Verbesserungen möglich waren.
Wichtige Bereiche, denen Aufmerksamkeit gelten sollte, waren Verzögerungen bei der Behandlung, Schwierigkeiten der Krebspatienten, sich im System zurechtzufinden, und die Notwendigkeit einer stärker koordinierten, maßgeschneiderten und
kontinuierlichen Patientenversorgung. Ihre Einblicke in die Erfahrungen von Patienten und ihren Familien in den verschiedenen Stadien der Krebsreise legten den Grundstein für die Einführung der Lotsenfunktion – zusammen mit anderen
innovativen Angeboten, wie der beschleunigten Verfolgung von Krebsverdachtsfällen und der koordinierten Nachsorge für Krebsüberlebende.
Im Mittelpunkt der Pflegelotsenfunktion in Malta steht eine ganzheitliche und kontinuierliche Versorgung. Konzipiert wurde die Funktion auf der Basis von Patientenaussagen über ihre alltäglichen Bedürfnisse, darunter zugängliche krebsartspezifische Informationen, eine vernetzte Versorgung und der Umgang mit der Angst vor dem Unbekannten.
Der Auf- und Ausbau der Pflegelotsenfunktion war ein stetiger und langsamer Prozess. Zunächst ging es darum, Daten zu sammeln, zu analysieren und zu verstehen, wo es Versorgungslücken gibt, und zwar ausschließlich aus der Sicht der Patienten und nicht, wie sonst üblich, aus der Sicht der Leistungsanbieter, um dann dem Gesundheitsministerium auf der Grundlage dieser Erkenntnisse den Nutzen von Investitionen darzulegen. Dabei war es besonders wichtig zu zeigen, wie die Lotsenfunktion dem gesamten Gesundheitssystem zugutekommen kann, weil sich dadurch nicht nur die Patientenerfahrungen verbessern und die Beschwerden über die Versorgung verringern, sondern weil auch die Zahl der Krankenhauseinweisungen sinkt und andere Mitglieder multidisziplinärer Teams unterstützt werden.
Früchte der Beharrlichkeit
Um Kliniker, einschließlich der Pflegekräfte, und Gesundheitsbehörden für die Idee zu gewinnen, musste Evidenz erbracht und Beharrlichkeit an den Tag gelegt werden; doch die harte Arbeit hat sich gelohnt. Nach viel Vorarbeit wurde die Funktion 2017 mit der Einstellung einer als Lotse tätigen Pflegekraft für Dickdarmkrebs eingeführt. Seitdem werden Pflegelotsen für Krebserkrankungen des Magen-Darm-Trakts, der Lunge, des Urogenitalsystems (Prostata, Blase, Nieren, Penis und Hoden), gynäkologische Krebserkrankungen, Krebs im Kopf- und Halsbereich und neuerdings auch für Brustkrebs eingesetzt. Eine WHO-Mission, die 2019 nach Malta reiste, um die Pfade der Krebsversorgung zu prüfen, erkannte den Wert der Lotsenfunktion an und gab konkrete Empfehlungen für ihre Weiterentwicklung; unter anderem sollte der hohe administrative Aufwand zum Teil an Verwaltungskräfte übertragen werden.
Die Wege der Gesundheitsversorgung können neuen Patienten oft wie ein Irrgarten erscheinen, vor allem wenn die Versorgung eine Interaktion mit mehreren Anbietern und in mehreren Einrichtungen erfordert. Schritte zur Einführung digitaler Gesundheitsakten werden die Integration von primärer und sekundärer Versorgung ein Stück weit voranbringen und dazu beitragen, dass verschiedene Teile des Systems miteinander „sprechen“. Sie sind jedoch keine Patentlösung für Patienten, die nach der Diagnose einer schweren Krankheit wie Krebs schnell auf Informationen zugreifen und das Versorgungssystem kennenlernen müssen.
Je nach Wohnort der Patienten, Art und Schwere der Krankheit, ihrer Fähigkeit, für sich selbst einzutreten, und anderen Faktoren gibt es enorme Unterschiede bei den Patientenerfahrungen, von der Vordiagnose bis zur Nachsorge. Das maltesische Pflegelotsenmodell bietet eine Lösung für eine stärkere Patientenorientierung, Koordinierung und Vernetzung der Systeme; hier gibt es jemanden, der sich um den individuellen Versorgungspfad kümmert, der weiß, was im Leben des Patienten vor sich geht, und der als Bindeglied zwischen dem Empfänger und dem Anbieter von Versorgungsleistungen fungiert.
Ein reproduzierbares Modell?
Die Einführung der Lotsenfunktion in der Krebsversorgung in Malta hat nachweislich Vorteile für Menschen mit einer Krebsdiagnose gebracht, darunter eine schnellere Diagnose (auch aufgrund eines neuen Schnellverfahrens, das die Direktion Pfade in der Krebsversorgung gemeinsam mit Allgemeinärzten entwickelt hat), kürzere Zeitabstände zwischen Diagnose und Behandlungsbeginn, verbesserte Kenntnisse bei Patienten und Betreuenden, eine bessere Befolgung empfohlener Therapien und nach eigenen Angaben eine bessere Lebensqualität. Auch für andere Länder kann dies interessant sein, denn bereits jetzt deutet einiges darauf hin, dass dieses Modell echte Verbesserungen bringt und für eine wirklich patientenorientierte Versorgung steht.