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20 Jahre poliofreier Status der Europäischen Region bestätigt – doch es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit

16 November 2022
News release
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Die Zertifizierungskommission für die Eradikation der Poliomyelitis in der Europäischen Region (RCC) bestätigte auf ihrer 36. Tagung am 19. und 20. Oktober 2022, dass die Europäische Region der WHO nach wie vor frei von einer endemischen Ausbreitung von Polio-Wildviren ist. 

Zu diesem Ergebnis kam sie nach einer eingehenden Überprüfung von Berichten aus allen 53 Mitgliedstaaten in der Region für das Jahr 2021, in denen ausführlich auf Durchimpfungsraten für Polio, Vorsorge- und Gegenmaßnahmen für einen Ausbruch, die Surveillance-Sensitivität sowie Aktivitäten für eine sichere Laborlagerung eingegangen wird. 

„Aufgrund der von uns überprüften Informationen können wir sagen, dass die Region nach wie vor frei von Polio-Wildviren ist – und darauf können wir alle stolz sein. Doch wir dürfen jetzt nicht selbstgefällig sein. Solange Polio-Wildviren weiterhin in anderen Teilen der Welt zirkulieren, besteht auch für uns nach wie vor ein Risiko“, erläuterte der Vorsitzende der RCC, Prof. David Salisbury.

Durchimpfungsraten

Die RCC stellte mit Besorgnis fest, dass die Durchimpfungsrate für die gesamte Region um 1% zurückgegangen ist – von 95% im Jahr 2019 auf 94% im Jahr 2020. Dieser Rückgang setzte sich im Jahr 2021 jedoch nicht fort; in diesem Jahr blieb die Rate beständig bei 94%. Einige Länder verzeichneten in diesem Zeitraum jedoch eine erhebliche Verschlechterung der Impfraten, und die Tausende von Kindern, die in den vergangenen Jahren nicht geimpft wurden, bleiben gefährdet.

Impflücken in der Bevölkerung haben bereits die Ausbreitung des Virus ermöglicht, sodass im Zeitraum zwischen 2021 und 2022 in mehreren Ländern in der Region vakzine-abgeleitete Polioviren entdeckt wurden. Die Zirkulation von Polioviren ist möglich, wenn Impflücken nicht geschlossen werden. Daher werden alle Länder dazu aufgefordert, eine hohe Durchimpfungsrate auf allen subnationalen Ebenen aufrechtzuerhalten und bei Bedarf Nachimpfungskampagnen durchzuführen.

Vorsorge- und Gegenmaßnahmen bei Ausbrüchen 

Darüber hinaus empfahl die RCC, dass alle Länder ihre Bereitschaftsplanung für eine mögliche Einschleppung von Polioviren verbessern, und forderte bestimmte Länder mit einem höheren Risiko für eine Einschleppung und anschließende Ausbreitung des Virus nachdrücklich dazu auf, ihre Reaktionspläne für einen Ausbruch, ihre Impfprogramme und ihre Systeme für die Krankheitsüberwachung zu stärken.

Die RCC würdigte Tadschikistan für die sofortige Ergreifung umfassender Maßnahmen im Jahr 2021, um einen Ausbruch des vakzine-abgeleiteten Poliovirus Typ 2 zu stoppen, wodurch die Zirkulation des Virus innerhalb des regionsweit zur Erhaltung des poliofreien Status vorgeschriebenen Zeitraums von 12 Monaten erfolgreich unterbrochen wurde. 

Auf ähnliche Weise wurde auch nach der Entdeckung des Virus in Israel, der Ukraine und dem Vereinigten Königreich im Jahr 2022 verfahren, wo ebenfalls umfassende Maßnahmen ergriffen wurden. Die Reaktion in der Ukraine wird jedoch infolge des anhaltenden Krieges behindert. Die RCC wird die Robustheit und Ergebnisse dieser Maßnahmen im Rahmen ihrer jährlichen Tagung im Jahr 2023 prüfen. 

Krankheitsüberwachung 

In Übereinstimmung mit der globalen Strategie zur Polioeradikation (2022–2026) betonte die RCC die Bedeutung einer hochwertigen Surveillance, um in allen Ländern möglichst rasch Polio-Wildviren entdecken zu können. Dies umfasst auch die Gewährleistung, dass entsprechende Stuhl- bzw. Umweltproben gesammelt und zeitnah entweder an ein von der WHO akkreditiertes nationales Polio-Labor oder das entsprechende Polio-Referenzlabor der Europäischen Region für das betreffende Land geschickt werden. 

Die RCC beklagte, dass einige nationale Polio-Labore im Jahr 2021 nicht an den jährlichen Eignungsprüfungen für die Virusisolation teilgenommen oder diese nicht bestanden hatten.

Sicherheitslagerung in Laboren 

Um die von Polio ausgehenden Risiken für die Bevölkerung in jedem einzelnen Land und darüber hinaus so gering wie möglich zu halten, ist es unerlässlich, dass die internationalen Anforderungen für die Sicherheitslagerung von Polioviren in Laboren eingehalten werden. Die Gefahr einer Ausbreitung im Falle eines Verstoßes gegen die Vorschriften zur Sicherheitslagerung ist in Gebieten mit niedrigen Durchimpfungsraten und einer dadurch bedingten niedrigen Immunität gegenüber Polio in der Bevölkerung besonders hoch.

Neben ihren Empfehlungen zur Sicherheitslagerung von Polioviren merkte die RCC an, dass einige Länder bisher noch keinen Nationalen Koordinator für die Sicherheitslagerung von Polioviren ernannt haben. Angesichts der Tatsache, dass Polio-Wildviren des Typs 2 und 3 überall auf der Welt eradiziert wurden, erinnerte die RCC die Länder daran, regelmäßig ihre nationalen Bestände zu überprüfen und dabei besonderen Fokus auf mit Polio-Wildviren des Typs 2 und 3 sowie mit vakzine-abgeleiteten Polioviren behaftete infektiöse und potenziell infektiöse Materialien zu legen. 

In Einklang mit dem globalen Aktionsplan der WHO zur Minimierung der von Laboreinrichtungen für Polioviren ausgehenden Risiken nach einer typenspezifischen Eradikation von Polio-Wildviren und der anschließenden Einstellung der Verwendung des oralen Polioimpfstoffs (GAPIII) sind die Länder dringend dazu aufgefordert, eine ordnungsgemäße Zerstörung oder Übertragung dieser Materialien zu gewährleisten, falls diese in entbehrlichen Poliovirus-Einrichtungen aufbewahrt werden.

Die vollständigen Empfehlungen und Ergebnisse der 36. Tagung der RCC werden bald auf dieser Website in einem Tagungsbericht veröffentlicht.