Häftlinge vor Krebs schützen: neuer Bericht der WHO erläutert, wie sich gesundheitliche Benachteiligungen bekämpfen lassen

17 July 2022
News release
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Anlässlich des Internationalen Nelson-Mandela-Tags beleuchtet die WHO die gravierenden Hindernisse, mit denen sich Häftlinge mit Blick auf ihre Gesundheit konfrontiert sehen. Der neue Bericht der WHO mit dem Titel „Krebs und gesundheitliche Benachteiligungen im Strafvollzug“ untersucht Wege, wie sich das Wohlbefinden jedes einzelnen Häftlings schützen lässt. 

Haftanstalten können zur Gesundheit gefährdeter Menschen beitragen


„Jüngsten Studien zufolge sind viele Häftlinge durchaus gewillt, sich einer Krebsvorsorge zu unterziehen und mehr darüber zu erfahren, wie sie ihre Gesundheit allgemein schützen können. Einige von ihnen hatten überhaupt keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung, bevor sie inhaftiert wurden. Haftanstalten können daher eine einzigartige Chance bieten, um zur Gesundheit gefährdeter Menschen beizutragen“, erklärte Dr. Carina Ferreira-Borges, Leitende Beraterin für nichtübertragbare Krankheiten und Leiterin des Programms für Gesundheit im Strafvollzug bei WHO/Europa.

Über 1,5 Mio. Menschen befinden sich derzeit in der gesamten Europäischen Region der WHO in Haft, und sie leiden häufiger an nichtübertragbaren Krankheiten wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen als die Allgemeinbevölkerung.

„Auch wenn in den meisten Mitgliedstaaten gemäß den Empfehlungen der WHO in Haftanstalten Vorsorgeuntersuchungen für drei Arten von Krebs – Brust-, Gebärmutterhals- und Dickdarmkrebs – durchgeführt werden, gibt es noch immer viele Haftanstalten, die erst jetzt Schritte in diese Richtung ergreifen“, fügte Dr. Ferreira-Borges hinzu.

Der neue Bericht der WHO verweist auf die wichtigsten Faktoren, die die Gesundheit von Inhaftierten noch fragiler machen. Hierzu zählen:

  • schlechte Aktenführung in Haftanstalten,
  • fehlende Priorisierung von Gesundheitsaspekten,
  • uneinheitliche Qualität der bereitgestellten Gesundheitsleistungen.



Krebsvorsorge und kardiovaskuläre Vorsorge: Was macht diese Maßnahmen in Haftanstalten wirksam?


Die wichtigsten Ergebnisse des WHO-Berichts deuten darauf hin, dass Inhaftierte von Vorsorgeprogrammen und Impfmaßnahmen in der Haft profitieren und derartige Programme und Maßnahmen die Kosten für die Gesundheitssysteme senken können. So führen etwa Vorsorgeuntersuchungen auf Brust-, Gebärmutterhals- und Dickdarmkrebs bei inhaftierten Männern und Frauen zu besseren gesundheitlichen Resultaten. 

Vorsorgeprogramme für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hingegen zeigen schlechtere Ergebnisse, obwohl sie für Häftlinge heute leichter verfügbar sind.

„Es ist sehr wichtig, dass auf Vorsorgeprogramme konsistente Überweisungen für Diagnosen und ein entsprechender Zugang zu Behandlungen folgen. Ohne diese Nachverfolgung sind Vorsorgeuntersuchungen sicherlich nicht kostenwirksam oder gar ethisch vertretbar, und gesundheitliche Benachteiligungen bleiben dadurch häufiger unverändert“, erklärte Dr. Filipa Alves da Costa, Spezialistin für öffentliche Gesundheit, die im Programm Gesundheit im Strafvollzug im Europäischen Büro der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten arbeitet.

„Ein weiterer Erfolgsfaktor sind Programme für die Gesundheitserziehung. In Haftanstalten können sie dazu beitragen, die Vorsorgeraten und die Gesundheitskompetenz bei Menschen mit geringem sozioökonomischem Status zu verbessern“, fügte sie hinzu.

In Haft altern Menschen schneller: Es ist jetzt an der Zeit zu handeln!


Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Menschen in Haft schneller altern, selbst jene mit kurzen Freiheitsstrafen. Aus diesem Grund könnte erwogen werden, Vorsorgeuntersuchungen bei Häftlingen bereits früher durchzuführen als in der Allgemeinbevölkerung. 

Um besser zu verstehen, welche Arten von Gesundheitsprogrammen und -praktiken im Strafvollzug eine höhere Wirksamkeit aufweisen, bedarf es zusätzlicher Forschung und Daten. So wurde etwa in den meisten aktuellen Studien zum Thema Gesundheit im Strafvollzug das Thema Gebärmutterhalskrebs in den Mittelpunkt gerückt, obwohl Frauen in der Europäischen Region der WHO nur 5% der Gefangenenpopulation ausmachen. 

Gleichzeitig können die Mitgliedstaaten bereits jetzt von der WHO empfohlene Maßnahmen ergreifen, um gesundheitliche Benachteiligungen in Haftanstalten abzubauen, darunter etwa Folgende:

  • Nach Ankunft in der Haftanstalt sollten alle Häftlinge so schnell wie möglich auf unmittelbare gesundheitliche Risiken untersucht werden (u. a. auf Anzeichen von psychischen Gesundheitsproblemen). 
  • Innerhalb der ersten Woche in Haft sollten alle Häftlinge einer groß angelegten Gesundheitsbeurteilung unterzogen werden.
  • Die Mitgliedstaaten sollten validierte Vorsorgeinstrumente einführen, um Informationen zu nichtübertragbaren Krankheiten zu erfassen.
  • Daten aus Vorsorgeuntersuchungen in Haftanstalten sollten auf der nationalen Ebene gesammelt und gemeldet werden.
  • Auch Längsschnittdaten sollten erfasst werden, da diese unerlässlich sind, um die Versorgungskontinuität sowie Gründe zu verstehen, warum Momente des Übergangs sich auf den Zugang zu Versorgung und Behandlung auswirken können.





Nach den Grundsätzen des Europäischen Arbeitsprogramms 2020–2025 der WHO sind alle Mitgliedstaaten beauftragt, in Haftanstalten Gesundheitsleistungen gleichen Standards wie in der Gesamtbevölkerung anzubieten.