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Auf dem Weg zu besseren Angeboten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit für Jugendliche in Kasachstan

21 October 2020
News release
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Trotz der hohen politischen Priorität, die der Gesundheit von Frauen, Kindern und Jugendlichen in Kasachstan eingeräumt wird, gibt es laut einem neuen Bericht des WHO Regionalbüros für Europa Defizite bei der Bereitstellung von Gesundheitsangeboten für junge Menschen. Durch die COVID-19-Epidemie im Land wurden einige der bestehenden Herausforderungen weiter verschärft und Gesundheitsfachkräfte dazu gezwungen, neue Wege für die Bereitstellung dringend benötigter Gesundheitsangebote für Jugendliche zu finden.

Beseitigung des mit der Sexualerziehung für Jugendliche verbundenen Stigmas

Im Rahmen der neuen Bewertung des WHO-Regionalbüros für Europa der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowie der Gesundheit von Müttern, Neugeborenen, Kindern und Jugendlichen im Kontext einer allgemeinen Gesundheitsversorgung in Kasachstan wurde festgestellt, dass das Land in den letzten 10–15 Jahren beträchtliche Fortschritte in diesem Bereich erzielt hat, insbesondere hinsichtlich der Senkung der Sterblichkeit von Müttern und Kindern unter 5 Jahren.

Staatliche Handlungskonzepte unterstützen die vollständige Abdeckung von Gesundheitsangeboten für Schwangere, Frauen bei und nach der Entbindung und Kinder im Alter zwischen 0 und 18 Jahren. In der Praxis ergeben sich jedoch Herausforderungen bei der Gewährleistung der Verfügbarkeit von hochwertigen Angeboten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit für diese Gruppen, insbesondere für Jugendliche.

Die Beseitigung der Stigmatisierung von und negativer Haltungen gegenüber der Sexualerziehung in Schulen bildet laut Laula Brik, einer Psychologin im Zentrum für Jugendgesundheit „Zhas Asyl“, einen wichtigen Teil des Prozesses zur Gewährleistung besserer Angebote im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit für junge Menschen. „Leider verstehen viele Menschen nicht ganz, warum es so wichtig ist, unsere Jugendlichen auf kompetente und vertrauliche Weise über diese Themen zu unterrichten. Sie sind der Ansicht, dass es nicht richtig und vulgär ist“, erklärt Frau Brik. „Fragen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sind unerlässlich für die Gesundheit und Bildung von Jugendlichen, denn sie betreffen nicht nur die Gesundheit des Einzelnen, sondern haben auch vielfältige Auswirkungen auf die Gesundheit der Nation und die Entwicklung des Landes.“

Das Zentrum für Jugendgesundheit „Zhas Asyl“, eines von 128 derartiger Zentren in Kasachstan, bietet Beratung, Schulungen, Tests und Konsultationen zu Fragen der sexuellen und reproduktiven sowie der psychischen Gesundheit durch ein Team von Spezialisten. In der Klinik arbeiten Psychologen, ein Gynäkologe, ein Urologe und ein Dermatologe. Eine der in dem Bericht des Regionalbüros enthaltenen Empfehlungen ist es, mehr solcher Zentren einzurichten, in denen die Angebote speziell auf die Bedürfnisse von Jugendlichen zugeschnitten werden.

Digitale Technologien gewährleisten kontinuierliche Gesundheitsangebote für Jugendliche

Eine in 105 Ländern weltweit durchgeführte Erhebung der WHO ergab, dass Interventionen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, wie etwa Familienplanung und Verhütung, zu den durch die COVID-19-Pandemie am stärksten beeinträchtigten Angeboten zählen. Wie jedes andere Land der Welt musste auch Kasachstan in den letzten Monaten schwierige Entscheidungen treffen, um ein Gleichgewicht zwischen der direkten Reaktion auf COVID-19 und der gleichzeitigen strategischen Planung und Ergreifung koordinierter Maßnahmen zur Aufrechterhaltung unentbehrlicher Gesundheitsleistungen zu gewährleisten. „Für Frauen, Kinder und Jugendliche sind hochwertige Gesundheitsleistungen von entscheidender Bedeutung und deren Beeinträchtigung kann zu ungewollten Schwangerschaften, sexuell übertragenen Krankheiten und erhöhten Gesundheitsrisiken für Mütter und ihre Neugeborenen sowie für Kinder und Jugendliche führen“, erklärt Dr. Nino Berdzuli, Direktorin der Abteilung Gesundheitsprogramme der Länder beim WHO-Regionalbüro für Europa.

Frau Brik betont zudem die Bedeutung einer kontinuierlichen Unterstützung und Bereitstellung von Gesundheitsangeboten für junge Menschen während der Epidemie. Aufgrund von COVID-19 musste das Zhas Asyl-Zentrum seine Arbeitsweise anpassen. „Auf dem Höhepunkt der Epidemie arbeiteten die meisten Mitarbeiter des Zentrums aus der Ferne und ersetzten die direkte persönliche Kommunikation durch eine Kommunikation über soziale Medien und Instant Messaging-Apps. Der Schwerpunkt unserer Arbeit lag auf dem Aspekt der Gesundheitskompetenz“, erläutert Frau Brik. Bei der Gesundheitskompetenz geht es um die Verbesserung des Zugangs der Menschen zu Gesundheitsinformationen sowie ihrer Fähigkeit, diese wirksam zu nutzen.

Die Mitarbeiter des Zentrums „Zhas Asyl“ stellten fest, dass Jugendliche während der Epidemie verschiedene emotionale Phasen durchliefen, beginnend mit Misstrauen und dem Gefühl der Ablehnung aufgrund der neuen Regelungen bis hin zu einem Gefühl der Gleichgültigkeit oder zu Depressionen im späteren Verlauf. „Sowohl für Jugendliche als auch für die Gesundheitsfachkräfte selbst wurde psychologische Unterstützung notwendig“, erklärt Frau Brik, um zu erläutern, inwiefern das Zentrum für Jugendgesundheit seine Arbeitsweise im Laufe der Epidemie anpassen musste.

Bewältigung der regionsweiten Herausforderungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit

Kasachstan ist nicht das einzige Land in der Europäischen Region der WHO, das damit zu kämpfen hat, junge Menschen mit auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Angeboten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu versorgen. „Auch wenn in der Region im Hinblick auf die Verringerung der Abtreibungsraten große Fortschritte erzielt wurden und wir auch einen Rückgang bei den Schwangerschaftsraten unter Jugendlichen verzeichnen, muss noch viel getan werden“, erklärt Dr. Berdzuli. Eine Bewertung des Regionalbüros ergab, dass es in den meisten der sechs bewerteten Länder Osteuropas und Zentralasiens entweder keine oder nur sehr wenige Angebote im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit für Jugendliche gibt. „Damit fehlt es Jugendlichen an der nötigen Unterstützung und es bleiben ihnen nur wenige Möglichkeiten, um an Informationen zu gelangen“, erklärt Dr. Berdzuli. „In Zukunft wird es besonders wichtig sein, unsere Anstrengungen zur Schließung dieser Lücken zu verstärken. Die Einbindung der Jugend in diesen Prozess ist dabei von entscheidender Bedeutung.“

Das Europäische Arbeitsprogramm 2020–2025 der WHO verweist ausdrücklich auf die Bedeutung sexueller und reproduktiver Gesundheit und damit verbundener Rechte. Das Arbeitsprogramm spricht sich für die Beseitigung von Defiziten bei der Chancengleichheit und die Aufrechterhaltung von Rechten der anfälligsten und am stärksten marginalisierten Gruppen – wie etwa jungen Menschen – in Bezug auf sexuelle und reproduktive Gesundheit aus. „Um Jugendlichen den Zugang zu umfassenden Angeboten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und entsprechenden Informationen zu ermöglichen, müssen eine Vielzahl von Partnern eingebunden werden“, betont Dr. Caroline Clarinval, WHO Repräsentantin in Kasachstan.

In Übereinstimmung mit den Ergebnissen und Empfehlungen der Länderbewertung der WHO bekräftigt Frau Brik, dass die Erziehung über sexuelle und reproduktive Gesundheit in den allgemeinen Lehrplan in Schulen aufgenommen und anhand einer standardisierten Methode von zertifizierten Spezialisten unterrichtet werden müsse. „Jugendliche brauchen mehr Informationen zu Themen, die sie interessieren und betreffen. Wir müssen offen und ehrlich über diese Themen sprechen.“

Am 20. und 22. Oktober werden das WHO-Regionalbüro für Europa und das Regionalbüro für Osteuropa und Zentralasien des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) mit den zentralasiatischen Republiken eine subregionale Konsultation zum Thema sexuelle und reproduktive Gesundheit abhalten.