Erklärung von Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa
22. September 2021
Meine Damen und Herren,
wie der Generaldirektor der WHO gerade erwähnt hat, ist die Verschmutzung der Innen- und Außenluft nach Schätzungen jährlich für weltweit mehr als sieben Millionen Todesfälle und Verlust vieler Millionen gesunder Lebensjahre verantwortlich. Diese Krankheitslast ist hoch und steigt weiter, sodass die Luftverschmutzung der größte umweltbezogene Risikofaktor für unsere Gesundheit ist. Sie ist einer der führenden Risikofaktoren für nichtübertragbare Krankheiten, die aufgrund der Bevölkerungsalterung und veränderter Lebensgewohnheiten weltweit weiter auf dem Vormarsch sind.
Jeder Mensch auf unserem Planeten hat das Grundrecht, saubere Luft zu atmen. Wie die meisten Umweltfaktoren macht auch die Luftverschmutzung nicht vor nationalen Grenzen Halt. Diese Art von Herausforderung verlangt sofortige und erweiterte Maßnahmen, denn saubere Luft ist eine politische Grundsatzentscheidung und eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung.
Heute präsentieren wir die neuen Globalen Luftgüteleitlinien der WHO – ein wesentlicher Schritt bei der erforderlichen globalen Antwort. Sie sind das Ergebnis einer systematischen Bestandsaufnahme der gesammelten Evidenz und beinhalten Empfehlungen zu Richtwerten für Luftqualität zum Schutz der öffentlichen Gesundheit in Bezug auf sechs maßgebliche Luftschadstoffe.
Diese Leitlinien dienen als aktualisierte Bezugswerte für Konzepte und Maßnahmen zur Bewertung der Auswirkungen von Luftverschmutzung auf die Bevölkerungsgesundheit und sollen weltweit für mehr Gesundheit sorgen, insbesondere für schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen.
Die letzte Veröffentlichung von Luftgüteleitlinien durch die WHO erfolgte im Jahr 2006. In den seitdem vergangenen 15 Jahren ist der Kenntnisstand darüber, wie und in welchem Maße sich Luftverschmutzung auf verschiedene Aspekte der menschlichen Gesundheit auswirkt, deutlich gewachsen. Aus diesem Grund und nach einer gründlichen systematischen Durchsicht der gesammelten Evidenz fallen nun fast sämtliche der aktualisierten Richtwerte niedriger aus als vor 15 Jahren.
Wir sind uns dessen bewusst, dass dadurch für viele Länder die Latte noch höher gelegt wird als zuvor. Doch diese Leitlinien beinhalten auch Zwischenziele, die graduelle Fortschritte auf dem Weg zu ihrer Erfüllung ermöglichen sollen – und damit allmähliche, aber messbare Zugewinne im Bereich der öffentlichen Gesundheit.
Der nächste Schritt für Politiker in aller Welt besteht jetzt darin, anhand dieser Leitlinien evidenzgeleitete Konzepte zu entwickeln, um die nicht hinnehmbare gesundheitliche Belastung durch Luftverschmutzung zu reduzieren. Für die dringend erforderlichen Maßnahmen bedarf es eines anhaltenden Engagements der Politik und einer entsprechenden Zusammenarbeit zwischen den maßgeblichen Ressorts und Akteuren.
Hier gibt es zwei erfreuliche Nachrichten:
Die erste lautet, dass fast alle Bemühungen um Verbesserung der Luftqualität auch dem Klimaschutz zugute kommen können und dass umgekehrt fast alle Klimaschutzmaßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität führen können – mit unmittelbarem Nutzen für die Gesundheit. Dadurch vervielfacht sich die Rendite der Investitionen in Maßnahmen, mit denen gleichzeitig beide Herausforderungen in Angriff genommen werden und die der Verbesserung der Gesundheit dienen.
Die zweite gute Nachricht ist, dass wir angesichts der enormen Ressourcen, die weltweit für den Wiederaufbau nach der COVID-19-Krise mobilisiert werden, eine einzigartige Gelegenheit haben, eine „Weiterentwicklung zum Besseren“ hin zu einem gesundheits- und umweltverträglichen Wiederaufbau zu vollziehen.
Vor diesem Hintergrund liefern die Leitlinien ein solides gesundheitliches Argument, das sich in den weltweiten Kampf gegen Klimawandel und Umweltverschmutzung einfügt.
Wir sind all jenen Wissenschaftlern, Fachkollegen und Partnerorganisationen in der ganzen Welt, die Zeit und Mittel in die Erstellung dieser Leitlinien investiert haben, äußerst dankbar.
Ich bin sehr stolz darauf, dass ihre Ausarbeitung unter der Aufsicht einer beim Europäischen Zentrum der WHO für Umwelt und Gesundheit in Deutschland angesiedelten Steuerungsgruppe erfolgte. Dies ist eine Fortsetzung der langen Tradition, in der das Zentrum seit Mitte der 1980er Jahre Beiträge zur Koordinierung dieser wichtigen normativen Arbeit der WHO leistet. Dr. Dorota Jarosińska, die diese Arbeiten koordiniert hat, ist uns heute aus unserem Büro in Bonn zugeschaltet, um Ihre Fragen zu beantworten. Ein herzliches Dankeschön, liebe Dorota, an Sie und Ihr Team!
Zusammen können wir die Luftqualität verbessern und gleichzeitig unsere Gesundheit und die Gesundheit künftiger Generationen schützen und verbessern.
Ich überlasse Sie jetzt den kompetenten Händen der Experten, die hinter diesem bahnbrechenden Dokument stehen und Ihre Fragen gerne beantworten werden.
Ich danke Ihnen.