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Europäische Impfwoche 2022 – Rückblick auf Erfolge und Bewältigung neuer Herausforderungen bei der Bekämpfung impfpräventabler Krankheiten

25 April 2022
News release
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Die heute beginnende Europäische Impfwoche (EIW) bietet eine günstige Gelegenheit, die historischen Errungenschaften beim Schutz von Menschenleben und Existenzen durch Impfungen zu feiern und deren weiteres Potenzial für den Schutz der öffentlichen Gesundheit anzuerkennen.
Auch die Hunderttausende von Menschenleben in der Europäischen Region der WHO, die durch die Impfungen gegen COVID-19 gerettet wurden, sind ein wesentlicher Grund zum Feiern. Gleichzeitig gilt es diese Erfolge zu bewahren: mit Wachsamkeit und einer neuen Vorgehensweise.

Fortschritte in der Europäischen Region

Dank der hohen Durchimpfung mit dem Impfstoff gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten (DTP) hat die Europäische Region seit den 1990er Jahren keinen größeren Ausbruch der Diphtherie mehr erlebt.
2002 wurde die Europäische Region für frei von endemischer Poliomyelitis (Polio) erklärt. In den Folgejahren wurden in der Europäischen Region mehrere Einschleppungen von Polioviren entdeckt, die jedoch jeweils beendet werden konnten, sodass die Europäische Region ihren Status aufrechterhalten konnte.
Der Nachweis von zirkulierenden vakzine-abgeleiteten Polioviren (cVDPV) des Typs 2 in Tadschikistan (2020) und in der Ukraine (2021) sowie von cVDPV des Typs 3 in Israel (2022) hat jeweils in großem Umfang Maßnahmen zur Bekämpfung des Ausbruchs ausgelöst. Die WHO arbeitet in enger Abstimmung mit den zuständigen Gesundheitsbehörden darauf hin, dass der Impfstoff alle noch anfälligen Bevölkerungsgruppen erreicht. Die in der Ukraine eingeleiteten Maßnahmen wurden durch den Krieg in dem Land unterbrochen und wurden seitdem inmitten des andauernden Konflikts so weit wie möglich wieder aufgenommen.
Die 53 Mitgliedstaaten in der Europäischen Region haben einstimmig vereinbart, die Masern und Röteln als endemische Krankheiten zu eliminieren. Nach den Schlussfolgerungen der Verifizierungskommission der Europäischen Region für die Eliminierung der Masern und Röteln, die auf den von den Ländern vorgelegten Berichten für 2019 basieren, haben bisher 29 Mitgliedstaaten die endemischen Masern und 45 die endemischen Röteln eliminiert. Insgesamt 29 Länder haben die Eliminierung beider Krankheiten nachgewiesen.
Besonders ermutigend sind die Fortschritte bei der Eliminierung von Gebärmutterhalskrebs: So führen 38 der 53 Länder in der Europäischen Region inzwischen Routineimpfungen gegen Humane Papillomaviren (HPV) durch. Die neuesten Daten aus England, das als eines der ersten Länder die HPV-Impfung eingeführt hatte, verdeutlichen, dass mit dem HPV-Impfprogramm in England eine fast vollständige Eliminierung von Gebärmutterhalskrebs bei seit 1. September 1995 im Land geborenen Frauen gelungen ist.

Wachsende Ungleichgewichte

Auch wenn die erzielten Fortschritte Anlass zum Feiern geben, so ist es doch auch notwendig, gegen potenzielle Bedrohungen für diese Erfolge vorzugehen. Dazu zählen die neuen Herausforderungen, die durch die COVID-19-Pandemie und den Krieg in der Ukraine entstanden sind.
Obwohl einige Länder in der Europäischen Region zu Beginn der Pandemie 2020 eine landesweite Unterbrechung der Routineimpfungen erlebten, konnten die meisten von ihnen doch nach Wiederaufnahme des Impfbetriebs das Versäumte wieder wettmachen und letztendlich wieder eine hohe Durchimpfung erreichen. Für die Europäische Region insgesamt ging 2020 die Durchimpfung mit der dritten Dosis DTP-Impfstoff (DTP3) nur um 1% zurück.
Doch diese Zahl verdeckt eine deutlich komplexere Realität auf der nationalen und subnationalen Ebene. Denn die Diskrepanzen in Bezug auf die Inanspruchnahme von Impfungen – und damit die Chance auf gute Gesundheit und Wohlbefinden – haben sich während der Pandemie verschärft. So meldeten elf Länder einen Rückgang der landesweiten Impfraten mit DTP3 oder der ersten Dosis Masernimpfstoff (MCV1) um über 5%, und etwa ein Fünftel der Länder in der Europäischen Region verzeichneten eine erhebliche Zunahme des Gefälles zwischen den Gebieten mit der höchsten und jenen mit der niedrigsten Durchimpfung.
Der Krieg in der Ukraine hat Millionen Menschen zur Flucht gezwungen, entweder innerhalb des Landes oder außerhalb der Landesgrenzen. Fast die Hälfte der 5 Millionen aus dem Land Geflohenen sind Kinder. Sie alle müssen irgendwann ihre nächste planmäßige Impfung erhalten, und viele von ihnen haben in der Vergangenheit Impfungen versäumt, die sie dringend nachholen müssen, um vor Krankheiten wie Masern und Polio geschützt zu sein.

Der weitere Weg – EIA2030

In den kommenden Monaten und Jahren werden die Impfprogramme in der Europäischen Region auf allen Verwaltungsebenen hohe Impfraten aufrechterhalten müssen. Dies macht es erforderlich, für eine hohe Inanspruchnahme der regulären Impfangebote zu sorgen, Nachholtermine für Kinder und Erwachsene anzubieten, die in der jüngeren oder ferneren Vergangenheit Impfungen verpasst haben, und diese Leistungen auf alle Neuankömmlinge, und namentlich Migranten und Flüchtlinge, auszudehnen.
Die Europäische Impfagenda 2030 (EIA2030) wurde im September 2021 von allen Mitgliedstaaten in der Europäischen Region angenommen. Sie soll die nationalen Impfprogramme dazu veranlassen, ihrer Bevölkerung im gesamten Lebensverlauf den Nutzen von Impfungen nahezubringen und die jeweils vorhandenen Herausforderungen zu überwinden, nämlich durch einen neubelebten Ansatz mit maßgeschneiderten örtlichen Lösungen und auf der Grundlage der Maxime, niemanden zurückzulassen.
Die Fortschritte, die wir als Europäische Region beim Schutz von Kindern und Erwachsenen vor lebensbedrohlichen Krankheiten erzielt haben, verdienen es, gefeiert zu werden, aber wir dürfen sie nicht als Selbstverständlichkeit betrachten. Die Aufrechterhaltung dieser Fortschritte ist unser aller Aufgabe und wird im kommenden Jahrzehnt eine gemeinsame Anstrengung erfordern.