Aus einem neuen Bericht von WHO/Europa geht hervor, dass Notrufzentralen für Frauen und Kinder, die Gewalt ausgesetzt sind, in den ersten neun Monaten der COVID-19-Pandemie einen deutlichen Anstieg der Anruferzahlen verzeichneten.
Die Daten, die in dem neuen Bericht mit dem Titel „Reaktion auf die Gewalt gegen Frauen und Kinder während der COVID-19-Pandemie“ verwendet werden, wurden zwischen Januar und September 2020 erhoben, als Millionen Menschen in der Europäischen Region der WHO wegen Lockdowns oder anderer Beschränkungen ihre Wohnungen nicht verlassen konnten.
Neben einem Anstieg der Nachfrage nach Angeboten nichtstaatlicher Organisationen während durch COVID-19 bedingter Lockdowns geht aus dem Bericht auch hervor, dass 52 der 53 Länder der Europäischen Region auf die eine oder andere Weise solcher Gewalt vorbeugen oder auf sie reagieren.
„Die Tatsache, dass fast alle Länder in unserer Region diese besorgniserregende Zunahme von Gewalt erkannt und darauf reagiert haben, ist ein erheblicher Erfolg“, sagte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.
„Die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Gesundheitsdienste hat in den einzelnen Ländern die Wahl der Strategien beeinflusst – Strategien wie die Ausweitung von Notrufnummern und Notunterkünften und die Verlagerung von Ressourcen auf Online-Verfahren. Wir sollten jetzt auf diesen Lehren aufbauen und die Präventions- und Gegenmaßnahmen ausbauen.“
Die Veröffentlichung des Berichts fällt zeitlich mit der diesjährigen Kampagne „16 Aktionstage gegen geschlechtsspezifische Gewalt“ zusammen, die von engagierten Bürgern und Organisationen in aller Welt jährlich durchgeführt wird und die Prävention und Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen anstrebt.
Gewalt gegen Frauen: ein gesundheitspolitisch relevantes Thema
Gewalt gegen Frauen ist ein wichtiges Thema mit Blick auf die öffentliche Gesundheit, die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern und die Menschenrechte.
Nach neuesten Schätzungen der WHO haben ca. 22% aller Frauen in der Europäischen Region der WHO, die irgendwann in einer Partnerschaft gelebt haben, sexuelle oder körperliche Gewalt durch einen Partner und ca. 5% der Frauen ab 15 Jahren sexuelle Gewalt von anderen Personen als ihrem Partner erlebt.
Körperliche, sexuelle und psychologische Gewalt von Intimpartnern verursacht bei Frauen schwerwiegende kurz- und langfristige Schäden in Bezug auf ihre körperliche und psychische, aber auch ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit.
Die COVID-19-Pandemie hatte eine weitere Zunahme der Gewalt gegen Frauen zur Folge. Aufgrund der verbreiteten Schulschließungen, der Durchsetzung von Ausgangsbeschränkungen, der Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der Beeinträchtigung von Gesundheits- und Sozialangeboten haben sich in den meisten Ländern der Europäischen Region die Betreuungsaufgaben von Frauen und die damit verbundenen Stressfaktoren im Wohnbereich schnell erhöht.
So stieg in Spanien in den ersten beiden Wochen im April 2020 die Zahl der Anrufe bei Notrufzentralen für Gewalt von Intimpartnern um 47% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. In Frankreich berichteten die Medien nach einem Monat Lockdown von einer Zunahme der Anrufe bei der nationalen Notrufnummer für Kinder um 89% gegenüber dem Vorjahr.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder während Seuchenausbrüchen zunimmt, wie sich während der Ebolaepidemie gezeigt hat, und COVID-19 bildet hier keine Ausnahme.
Länder reagieren auf den Ausschlag nach oben
Der andere wesentliche Befund des Berichts besteht darin, dass fast alle Länder der Europäischen Region in irgendeiner Weise Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung der Gewalt während der Pandemie ergriffen haben.
Die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel, die Anpassung der Angebote an die neuen Herausforderungen (z. B. durch Online- oder Telefonangebote) sowie von nichtstaatlichen Organisationen durchgeführte Maßnahmen waren in den vergangenen zwei Jahren besonders häufig zu beobachten.
Zur Ergänzung dieser Maßnahmen empfiehlt die WHO den Regierungen, ihre Angebote zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen während der Pandemie als Teil der Grundversorgung aufrechtzuerhalten, Hilfesuchenden das sichere Verlassen der Wohnung zu ermöglichen und die Aufgaben von Notrufzentralen auszuweiten und weitere Möglichkeiten zur Bereitstellung von Angeboten im Fernmodus zu eruieren.