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Verspätete HIV-Diagnosen und Unterdiagnose von HIV behindern Fortschritt bei der Bekämpfung von Aids in der Europäischen Region

28 November 2024
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Im Vorfeld des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember haben WHO/Europa und das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) heute einen neuen Bericht mit dem Titel „HIV/Aids-Surveillance in der Europäischen Region 2024“ veröffentlicht. Aus diesem Bericht geht hervor, dass seit Beginn der Epidemie Anfang der 1980er Jahre mehr als 2,6 Mio. Menschen in der Europäischen Region der WHO mit HIV diagnostiziert wurden, davon mehr als 650 000 in den Ländern der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Obwohl seitdem erhebliche Fortschritte erzielt wurden, kennt immer noch fast jeder dritte HIV-Infizierte in der Europäischen Region seinen HIV-Status nicht.  

Wichtigste Ergebnisse

  • 2023 wurden in 47 der 53 Länder der Europäischen Region fast 113 000 HIV-Diagnosen gemeldet, was einem Anstieg um 2,4 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. 
  • 21 der 47 Berichtsländer verzeichneten 2023 einen Anstieg der HIV-Diagnosen gegenüber 2022, und mehrere Länder meldeten die höchste Zahl von HIV-Diagnosen innerhalb eines Jahres seit einem Jahrzehnt. Dieser Anstieg lässt sich zum Teil durch die verstärkten Testanstrengungen der Länder, neue Teststrategien und einen Wiederanstieg der Zahl der HIV-Tests und der entdeckten Fälle seit der COVID-19-Pandemie erklären.
  • Während die Zahl der HIV-Diagnosen in den Ländern der EU und des EWR in den letzten zehn Jahren generell rückläufig war und im Jahr 2023 aus diesen 30 Ländern insgesamt 24 731 Fälle gemeldet wurden, zeigt sich bei der Betrachtung der neu diagnostizierten Fälle (ohne bereits bekannte HIV-Diagnosen) ein anderer Trend. Dort stieg die Rate der HIV-Neudiagnosen für die besagten Länder von 2022 bis 2023 um fast 12 % an, was wahrscheinlich auf vermehrte HIV-Tests und mehr Diagnosen in der Migrantenbevölkerung zurückzuführen ist.
  • In der gesamten Europäischen Region der WHO, einschließlich der EU- und EWR-Länder, wird mehr als die Hälfte (52 % für die gesamte Europäische Region, 53 % für die EU- und EWR-Länder) der HIV-Diagnosen zu spät gestellt, was eine höhere Morbidität und ein erhöhtes Sterberisiko aufgrund von Aids zur Folge hat. 
Die wichtigsten Ergebnisse zeigen, wie wichtig Prävention, frühzeitige Tests, Diagnosen und der Zugang zu Therapien sind, um die Gesundheit der Menschen zu verbessern und die Übertragung zu verringern, und verdeutlichen auch die dringende Notwendigkeit, die Stigmatisierung von HIV zu bekämpfen.  

Trotz vermehrter Diagnosen sind sich immer noch viele Menschen mit HIV nicht ihres Status bewusst 

Zwischen der Zahl der HIV-Diagnosen und der geschätzten Zahl der Infektionen in der Europäischen Region besteht eine besorgniserregende Kluft. Schätzungen zufolge wissen insgesamt nur 70 % aller HIV-Infizierten in der Europäischen Region über ihren Status Bescheid. Während in den Ländern der EU und des EWR 92 % der Menschen ihren Status kennen, wissen in Osteuropa und Zentralasien nur etwa 60 % aller Menschen mit HIV über ihren Status Bescheid. Diese Diskrepanz unterstreicht die dringende Notwendigkeit neuer Teststrategien in der gesamten Europäischen Region. 

Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, betont, wie wichtig es ist, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen: „Die größten verbleibenden Hürden im Kampf gegen HIV/Aids in unserer Region sind ein restriktives und intolerantes Umfeld, Stigmatisierung, Diskriminierung und sogar eine Kriminalisierung der HIV-Übertragung, aber auch die uneinheitliche Akzeptanz in Bezug auf evidenzbasierte Interventionen. Wir müssen sichere Räume für den Zugang zu Gesundheitsangeboten schaffen, Tests normalisieren und dafür sorgen, dass die Maßnahmen mitfühlenden und nicht strafenden Charakter haben. Außerdem müssen wir die Mittel für die Prävention aufstocken, um neue HIV-Infektionen von vornherein zu verhindern und die Übertragung zu stoppen.“  

Gerechter Zugang zu Präventions-, Test- und Therapieangeboten für alle

Der Bericht verdeutlicht die erheblichen Auswirkungen von HIV auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, insbesondere auf erst spät diagnostizierte Personen und auf Migranten, auf die im Jahr 2023 fast die Hälfte (48 %) aller HIV-Diagnosen in den EU- und EWR-Ländern entfiel. 

Pamela Rendi-Wagner, Direktorin des ECDC, betont die Notwendigkeit, die Zahl der spät diagnostizierten Patienten zu verringern: „Die Länder der EU und des EWR haben große Fortschritte bei der Verbesserung des Zugangs zu Tests und der Verringerung der Zahl der Menschen, die unwissentlich mit HIV leben, gemacht, aber wir müssen noch mehr tun. Da mehr als die Hälfte der Diagnosen immer noch zu spät gestellt wird, müssen wir uns unbedingt auf die Schlüsselgruppen und die am stärksten gefährdeten Personen konzentrieren, damit sie frühzeitig diagnostiziert werden und Zugang zu den Präventions-, Therapie- und Pflegemaßnahmen erhalten, die sie für ein langes und erfülltes Leben benötigen.“

In Bezug auf den Übertragungsweg weisen die einzelnen Teilregionen unterschiedliche Trends auf. Der häufigste Weg der HIV-Übertragung in der Europäischen Region ist die sexuelle Übertragung. In den östlichen Teilen der Region erfolgt die Übertragung überwiegend durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr. Im wesentlichen und mittleren Teil der Region und in den EU-Staaten erfolgt die Übertragung in erheblichem Maße durch Geschlechtsverkehr zwischen Männern, doch auch in den EU- und EWR-Ländern wird heterosexueller Geschlechtsverkehr zunehmend zum vorherrschenden Übertragungsweg. In einigen Ländern kommt es immer noch zu einer beträchtlichen Anzahl von HIV-Infektionen durch injizierenden Drogenkonsum.

Der Bedarf an maßgeschneiderten Maßnahmen für die Teilregionen innerhalb der Europäischen Region liegt also auf der Hand, wobei die spezifischen epidemiologischen Gegebenheiten und Übertragungsmuster jeder Teilregion zu berücksichtigen sind. Im östlichen und mittleren Teil der Europäischen Region, wo wieder vermehrt HIV-Tests durchgeführt werden, sollten sich die Bemühungen auf die Ausweitung innovativer Teststrategien konzentrieren, die auf eine verstärkte Entdeckung von Fällen und eine umfassende Kombinationsprävention abzielen. Für die EU- und EWR-Länder und den westlichen Teil der Europäischen Region, wo ein Anstieg der HIV-Diagnosen unter Migranten zu verzeichnen ist, kommt es darauf an, in Bevölkerungsgruppen mit hohem HIV-Infektionsrisiko unbedingt den Zugang zur Primärprävention, namentlich durch Präexpositionsprophylaxe, zu erweitern. Die Beseitigung von Hindernissen für die HIV-Versorgung, einschließlich solcher, die durch den Wohnort oder den Migrationsstatus bedingt sind, trägt entscheidend dazu bei, einen gleichberechtigten Zugang zu Leistungsangeboten zu gewährleisten.