Zum Beginn des Schuljahrs in ganz Europa sprachen wir mit der 16-jährigen Kitty McFarland über ihre täglichen Schwierigkeiten beim Leben mit dem Post-COVID-Syndrom (auch als „Long COVID“ bezeichnet), aber auch über Maßnahmen,
die Schulen zum Schutz ihrer Schüler vor den Symptomen ergreifen können.
Im März 2020 war Kitty McFarland eine körperlich fitte und gesunde 14-Jährige. Sie genoss ihre Hobbies: Ballett, SUP-Paddeln, Laufen und Netball. Dann infizierte sie sich mit COVID-19.
Kitty erinnert sich, dass sie nur Husten und Fieber wie bei einer Grippe hatte, aber ihre Mutter Sammie, die etwa zur gleichen Zeit an COVID-19 erkrankte, erinnert sich an einen erschreckenden Moment, als ihre Tochter plötzlich nicht mehr reagierte.
Glücklicherweise ließen diese schweren Symptome nach ein paar Tagen nach, und ihr Zustand schien sich zu verbessern. Etwa einen Monat später probierten es die beiden mit leichter Bewegung, doch der Rückfall, den Kitty daraufhin
erlitt, fesselte sie für die nächsten acht Monate ans Bett.
„Mir war vor allem schwindelig, und ich war erschöpft. Ich kippte manchmal einfach um oder bekam Herzrasen; ich saß nur rum, und plötzlich schnellte mein Puls auf 190 hoch“, erzählt Kitty. Darüber hinaus entwickelte
sie noch eine Glutenintoleranz und bekam akute Bauchschmerzen, die sie ohnmächtig werden ließen und mehrere Krankenhausaufenthalte zur Folge hatten.
„Manchmal brauchte ich Hilfe, um aufzuessen; dann konnte ich oft mein Glas nicht aufheben vor lauter Schwäche; es fällt einem schwer, das zuzugeben, wenn man sich normalerweise stark und aktiv fühlt“, erinnert sie sich. Aufgrund
von Sehstörungen und Bewusstseinstrübung führten sogar Fernsehen oder das Versenden von SMS zu Erschöpfung und Übelkeit. Während dieser Zeit muss ihr Vater Scott für Kitty und ihre Mutter sorgen, da sie beide mit
Symptomen von Long COVID zu kämpfen hatten.
Eine nicht rechtzeitig erkannte Erkrankung
Leider war das Gesundheitspersonal in der Anfangsphase der Pandemie aufgrund eines begrenzten Verständnisses der Auswirkungen von COVID-19 nicht in der Lage, Kitty und ihrer Mutter Antworten auf ihre Gesundheitsprobleme zu geben, und der Rat, den
sie erhielten – aktiver zu sein – erhöhte die Gefahr einer Verschlimmerung ihres Zustands.
Bis heute hat Kitty mit den Auswirkungen von Long COVID zu kämpfen. „Manchmal habe ich Schwierigkeiten mit dem Sprechen. In meinem Gehirn verschwimmt alles, und ich habe Probleme, Sätze zu bilden. Ich stottere viel. Jeder Tag ist anders.
Manchmal leide ich unter Erschöpfung und Schwindelgefühlen, manchmal habe ich eine Bewusstseinstrübung, aber ich kann zumindest laufen. Manchmal geht es mir gut, dann können wir spazieren gehen, aber am nächsten Tag bin ich
oft wieder im Bett. Man macht so viele Auf- und Ab-Phasen durch, es ist wie eine endlose Achterbahnfahrt.“
Schulbildung gefährdet
Wegen ihrer Krankheit konnte Kitty lange nicht am Unterricht teilnehmen. Der Online-Unterricht war schwierig, und der Druck, die Hausaufgaben fertigzumachen, führte zu weiteren Rückfällen. Als der Präsenzunterricht wieder begann, erlitt
ihre Gesundheit aufgrund der Anstrengungen zur Bewältigung des langen Schultages einen weiteren Rückschlag. Schließlich veranlasste ihre Familie für sie häuslichen Unterricht während der Vorbereitung auf ihre Prüfungen.
„Ein Prüfer kam zu mir nach Hause, und das machte es erheblich leichter. Ich konnte nach der Prüfung einfach wieder ins Bett gehen, und das hat enorm geholfen.“
Ausblick auf die Zukunft
Kitty und ihre Mutter bewältigen ihre Krankheit mit einer Kombination aus Medikamenten und einer sorgfältigen Dosierung ihrer Aktivitäten, aber sie sind frustriert angesichts mangelnder Fortschritte in Bezug auf Verständnis und Anerkennung
der Krankheit. Neben einer umfassenderen wissenschaftlichen Erforschung von Long COVID wünscht sich Kitty auch mehr schulische Flexibilität für Jugendliche mit Long COVID – etwa durch persönliche Betreuer, die Erfahrung im
Umgang mit Menschen haben, die unter Erschöpfung und Sehproblemen leiden.
Außerdem wünscht sie sich von Gleichaltrigen wie auch Lehrern mehr Verständnis für die Krankheit.
„Die Kinder denken: Ach, das krieg ich doch nicht. Ich bin jünger, ich habe ein gesünderes Immunsystem. Aber so geht das nicht. Meine Mutter und ich waren sehr sportlich. Wir hatten keinerlei Vorerkrankungen“, sagt Kitty.
Ihre Mutter Sammie, die inzwischen den Verband Long COVID Kids gegründet hat, eine internationale gemeinnützige Organisation mit Sitz im Vereinigten Königreich, ist besorgt angesichts mangelnder Anerkennung für Long COVID bei jungen
Menschen: „Wir hören Geschichten von Familien über Kinder, die nach COVID-19 mit verstärkten Allergien oder ständigen Kopfschmerzen, Übelkeit oder Magenproblemen in den Unterricht, zurückkehrten; trotzdem
werden sie von ihren Eltern wieder in die Schule geschickt, weil sie nicht wissen, dass es Long COVID ist. Diese Kinder sollen in ihren normalen Alltag zurückkehren und erhalten nicht die nötige Zeit zum Ausruhen. Aber es ist nicht die Schuld
der Familien. Es fehlt an Aufklärung und dem nötigen Bewusstsein.“
Neben dem Appell an Schulen, Anpassungen für Schüler mit Long COVID vorzunehmen, wünscht sie sich auch Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität in Bildungseinrichtungen und mehr Maskentragen zur Verhinderung von Infektionen.
„Wenn wir das nicht tun, bekommen wir eine ganze Generation von Kindern, die Gefahr laufen, nicht mit einer Behinderung leben zu lernen. Wir erleben jetzt Kinder, die nach einer Reinfektion Long COVID entwickeln, obwohl sie es nach der ersten, zweiten
oder dritten Infektion nicht bekamen. Angesichts der Zahl wiederholter Infektionen ist das zutiefst besorgniserregend. Long COVID Kids fordert mehr biomedizinische Forschung auf diesem Gebiet und eine Schwerpunktlegung auf Prävention.“
Das Post-COVID-19-Syndrom: Mehr Anerkennung, Forschung und Rehabilitation
Das Ausmaß des Post-COVID-19-Syndroms und die langfristige Belastung, die es für die Gesundheitssysteme darstellen dürfte, werden erst jetzt allmählich erkannt. Studien zufolge haben rund 10% bis 20% der mit COVID-19 Infizierten,
also Millionen von Menschen weltweit, möglicherweise noch Wochen, Monate oder sogar Jahre nach ihrer ursprünglichen Infektion mit anhaltenden Symptomen zu kämpfen.
Bisher ist das Post-COVID-Syndrom bei Kindern und Jugendlichen nicht hinreichend erforscht, und es werden größere Anstrengungen auf diesem Gebiet benötigt, um mehr über seine klinischen Eigenschaften und seine Häufigkeit sowie
über die Risikofaktoren zu erfahren, die bei manchen Gruppen von Jugendlichen bestimmte anhaltende Symptome auslösen.
WHO/Europa ist derzeit dabei, eine Partnerschaft mit Long COVID Europe einzugehen, ein Netzwerk aus patientengeführten Verbänden, das seit seiner Gründung im letzten Jahr Informationen zu der Erkrankung sammelt und sie mit interessierten
Akteuren und Betroffenen teilt.
Darüber hinaus arbeitet WHO/Europa mit Patientengruppen zusammen, um vorrangige Bereiche zu ermitteln, in denen Handlungsbedarf besteht. Aktuell fordert WHO/Europa Regierungen und Behörden auf, ihre Aufmerksamkeit auf Long COVID und die von
dieser Erkrankung Betroffenen zu richten, und zwar durch mehr:
- Anerkennung: sämtliche Dienste müssen angemessen ausgestattet werden, und kein Patient sollte allein gelassen werden oder sich in einem System zurechtfinden müssen, das nicht darauf vorbereitet oder nicht in der Lage ist, diese stark beeinträchtigende Erkrankung anzuerkennen;
- Forschung und Berichterstattung: es bedarf der Datensammlung und Fallmeldung sowie einer gut koordinierten Erforschung unter vollständiger Einbindung von Patienten, um ein besseres Verständnis der Prävalenz, Ursachen und Kosten von Long COVID zu entwickeln; und
- Rehabilitation: diese kostenwirksame Intervention stellt eine Investition in den Wiederaufbau gesunder und produktiver Gesellschaften dar.