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Durch den Rauch des Tabaks blicken: Junge Menschen kämpfen für Klarheit und Freiheit

31 May 2024
News release
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„Für meine Generation ist es wirklich wichtig, das Gefühl zu haben, dass sie für etwas kämpfen, dass sie Teil eines Trends, Teil einer Bewegung sind. Und wir sehen, dass das funktioniert.“

So die Jugendführerin Karina Mocanu, die eine Gruppe junger Menschen leitet, die sich für eine bessere Kontrolle des Tabakkonsums in Europa einsetzt. Das European Network for Smoking and Tobacco Prevention (ENSP) hat ENSPNext, die Gruppe, die Karina koordiniert, als Reaktion auf den alarmierenden Anstieg des Tabakkonsums unter Jugendlichen in Europa ins Leben gerufen.

Ziel der Gruppe ist es, jungen Menschen zu helfen, die manipulativen Taktiken einer Industrie zu erkennen, die sie ausnutzen und eine lebenslange Nikotinsucht fördern will.

„Wenn man einer Sucht verfallen ist, kann man nicht mehr tun und lassen, was man will, denn man ist von einem Produkt abhängig und muss dafür Geld ausgeben“, betont Karina. „Es ist nicht cool zu konsumieren, es ist eine Falle. Unser Ziel ist es, junge Menschen dazu zu befähigen, sich ihre Freiheit zurückzuholen.“

Karina glaubt auch, dass ihre Generation verstehen muss, dass sie mit ihrem Kampf gegen die Tabakindustrie auch einen Beitrag zu einer guten Sache leisten.

„Tabak hat Auswirkungen auf so viele Aspekte unseres Lebens, und es gibt so viele Gründe, für die wir kämpfen müssen“, erklärt sie auf die Frage, was sie motiviert. „Dazu gehören die Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit und die Umwelt, Fragen der Armut und der Ernährungsunsicherheit sowie gesundheitliche Auswirkungen und die Manipulation durch die Industrie. Ich glaube wirklich, dass Tabak kein Nischenmarkt ist.“

Eine Geschichte der Täuschung

Dr. Raouf Alebshehy ist Chefredakteur bei Tobacco Tactics, einem Teil der Tobacco Control Research Group an der University of Bath im Vereinigten Königreich. Er betont, wie wichtig es ist, junge Menschen über die schmutzigen Taktiken der Tabakindustrie zu informieren, und beschreibt, wie die Industrie bereits in den 1950er Jahren das Narrativ rund um Tabak beeinflusst hat, indem sie Forschungsergebnisse finanzierte, die für ihre Produkte vorteilhaft waren, und ihre eigenen wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzte, um politische Entscheidungsträger zu beeinflussen.

„Es gab eine Zeit, in der die Tabakwerbung schamlos behauptete, Tabak sei nicht schädlich. Jahrzehntelang hat sich die Industrie gegen die erwiesenen Tatsachen gewehrt: dass Tabak schädlich ist und süchtig macht, dass Tabak Krebs verursacht, dass Passivrauch schädlich ist und dass Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakkonsums wirksam und absolut notwendig sind“, erklärt Dr. Alebshehy.

<з>„Die Industrie verfolgt die neuesten Entwicklungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit stets aufmerksam und ist darum bemüht, das Narrativ des öffentlichen Gesundheitswesens zu untergraben.“

Die Täuschung durch die Tabakindustrie ist gut dokumentiert. So hat die Industrie etwa schon vor Jahrzehnten „Light“-Zigaretten auf den Markt gebracht, um sie als sicherer erscheinen zu lassen und Konsumenten anzulocken. Ein Gerichtsverfahren in den Vereinigten Staaten zwang die Industrie zur Offenlegung von Dokumenten, aus denen hervorging, dass sie sich damals der Gefahren der Nikotinsucht bewusst waren. 

Als Reaktion auf die Tabakepidemie trat 2005 das Rahmenübereinkommen der WHO zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC) in Kraft, das evidenzbasierte Maßnahmen zum Schutz heutiger und künftiger Generationen vor den schädlichen Auswirkungen des Tabaks enthält. Der Verkauf von Zigaretten begann zurückzugehen.

Dr. Alebshehy beschreibt, wie die Industrie auf diesen neuen Druck mit anderen Taktiken reagierte. Er weist auf Studien hin, aus denen hervorgeht, dass 9 von 10 Tabakrauchern vor dem 18. Lebensjahr mit dem Rauchen beginnen, was verdeutlicht, warum die Tabakindustrie jetzt gezielt junge Menschen mit ihrer Werbung anspricht: damit sie so früh wie möglich mit dem Rauchen beginnen.

Kontrolle über das Narrativ

Dr. Alebshehy fährt fort: „Die Industrie hat damit begonnen, die Jugend ins Visier zu nehmen, indem sie attraktive Veranstaltungen wie die Formel 1 sponsert und Rauchen in Filme und Netflix-Sendungen sowie in die sozialen Medien integriert. Sie wissen, dass eine Botschaft, die man mehrmals an verschiedenen Orten sieht, zur Normalität wird und man davon beeinflusst werden kann.“

Er stellt fest, dass der Verkauf von Zigaretten in einigen Ländern zwar allmählich zurückgeht, der zunehmende Trend zu erhitzten Tabakprodukten und E-Zigaretten, insbesondere bei jungen Menschen, jedoch sehr alarmierend ist.

„Die Industrie forciert nun das Narrativ, dass sie auf eine ,rauchfreie‘ Welt hinarbeiten und Organisationen finanzieren, um dies zu fördern, doch in der Zwischenzeit expandiert sie weiter“, betont er. 

„Sie nutzen jede Gelegenheit, um ihre Gewinne zu steigern, indem sie neue Nikotinkonsumenten anlocken und den Markt erweitern. Zu diesem Zweck investieren sie in die Herstellung neuer, abhängig machender Produkte wie Wasserpfeifen, Snus, E-Zigaretten und erhitzte Tabakerzeugnisse.“

Dr. Alebshehy verweist auf die Versuche der Tabakindustrie, sich in die diesjährige Konferenz der Vertragsparteien (COP10) einzumischen, das leitende Organ des FCTC der WHO. Karina betont, dass auf der COP10 zum ersten Mal junge Menschen auf höherer Ebene berücksichtigt wurden. 

„In meiner Gemeinschaft sind wir alle sehr unzufrieden angesichts des langsamen Tempos, mit dem die Behörden handeln“, sagt sie. „Ich stelle fest, dass die Verantwortlichen nur selten konkrete, proaktive Maßnahmen ergreifen, sondern fast immer erst mit Verzögerung auf durch unterschiedliche Faktoren bedingte bereits entstandene Schäden reagieren.“ 

Karina fügt hinzu: „Auch wenn die Zahl der jungen Menschen, die sich in diesem Bereich engagieren, immer noch recht gering ist, wollen wir junge Wissenschaftler weiterhin dazu ermutigen, sich mit der Bekämpfung des Tabakkonsums zu befassen, damit wir unsere eigenen Erkenntnisse gewinnen und unsere Aktionen darauf stützen können. Wir sollten keine passive Generation sein.“

Umweltaktivismus

Karina weiß aus eigener Erfahrung, wie sich die neuesten Taktiken der Tabakindustrie auf junge Verbraucher auswirken. Sie sagt, Einwegtabak- und -nikotinprodukte seien auf den Plattformen, auf denen sich junge Verbraucher aufhalten, allgegenwärtig und würden direkt an sie vermarktet. Obwohl zum Beispiel der Zusatz von Menthol mit seiner kühlenden Wirkung in Europa seit 2020 aus Tabakprodukten verbannt ist, wurde der Markt mit neuartigen Tabak- und Nikotinprodukten überschwemmt, die mit leuchtenden Farben und Aromen ihre Attraktivität steigern sollen.

„Diese Produkte riechen wie Parfüm oder wie etwas, das man essen würde. Influencer in den sozialen Medien werben für E-Zigaretten, die super schlank und stylisch sind und zum Outfit passen. Nikotinbeutel sind winzig und in einer Reihe von ansprechenden Farben und Designs erhältlich, so dass sie gut in die Tasche passen. Das sind die Dinge, die Kinder und Jugendliche anziehen, nicht das Produkt selbst.“

Da Tabak nicht nur der menschlichen Gesundheit schadet, sondern auch unsere Umwelt schädigt, ist Karina der Ansicht, dass ein wirksamer Weg zur Bekämpfung dieser Werbestrategien darin besteht, dass sich Aktivisten für die Tabakbekämpfung mit Umweltaktivisten zusammenschließen. Sie sagt, dass während Gespräche über die gesundheitlichen Auswirkungen des Tabakkonsums auf Jugendliche als Einzelpersonen nur eine begrenzte Wirkung haben, Informationen darüber, inwiefern Tabak den Planeten verschmutzt, bei der Generation Z hingegen auf große Resonanz stoßen.

„Während der Verhandlungen über das Abkommen der Vereinten Nationen zur Eindämmung von Plastik setzte sich unsere Gemeinschaft für ein Verbot von Zigarettenstummeln ein, da diese Plastik enthalten und statistisch gesehen die meisten Abfälle auf dem Planeten verursachen. Gleichermaßen werden Einwegtabak- und -nikotinprodukte bald in Frankreich und Belgien verboten, und zwar überwiegend mit der Begründung, dass sie den Planeten verschmutzen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir uns auf die Zusammenhänge zwischen Tabak und der Gesundheit der Welt konzentrieren“, betont sie. 

„Es mag Jahre oder gar Jahrzehnte dauern, bis wir die Schäden sehen, die wir unserer eigenen Gesundheit zufügen, aber zumindest können wir schon jetzt deutlich die Auswirkungen des Klimawandels sehen. Ich denke, das ist Grund genug, um jetzt zu handeln.“

Auf den Wandel setzen

Eine weitere Möglichkeit, auf die jüngere Generation einzuwirken, besteht nach Ansicht von Karina darin, ihnen beizubringen, allgemein gegen den Konsumismus vorzugehen und auf ganzheitlichere und ausgewogenere Weise zu leben. Sie hofft, dass die neuesten Internet-Trends zeigen werden, dass sich mehr junge Menschen bewusst werden, was um sie herum geschieht, und entsprechend versuchen, etwas zu unternehmen.

„Sich selbst zu informieren ist wichtig. Man muss lernen, in einer Bar oder beim Einkaufen zu sein, ohne alles konsumieren zu müssen. Tabak- und Nikotinprodukte sind kein cooler Lebensstil, ebenso wenig wie Alkohol. Es ist cool, gesund zu sein und sich gut zu fühlen“, sagt sie.

„Die Menschen sollten auch verstehen, dass die Bekämpfung des Tabakkonsums nicht nur ein Bereich für Experten ist und es nicht nur um die Entwicklung von Studien geht“, fährt Karina fort. „Ich versuche, meine Familie und meine kleine Schwester einzubeziehen. Es geht darum, dass alle, auch Wissenschaftler und Akademiker, Plattformen schaffen, um Synergien zu erzeugen und das Narrativ zu ändern.“

Doch, auch wenn es wichtig ist, Informationen zu verbreiten und Zielgruppen zu erreichen, ist Karina der Meinung, dass es noch wichtiger ist, jungen Menschen die Fähigkeit zu vermitteln, selbst nach vertrauenswürdigen Informationen zu suchen.

„Ich glaube, dass es für meine Generation wichtig ist, kritisches Denken zu fördern und ihnen zu zeigen, wie sie auf effektive Weise Online-Informationen durchforsten können. Man sollte ihnen sagen: ,Wenn du dir bei etwas nicht ganz sicher bist, dann recherchiere selbst, und eine gute Möglichkeit dazu ist die Suche nach unabhängigen und zuverlässigen Quellen wie etwa die WHO.‘“