Bashar Al-Bilbisi
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Eine Frage der Menschlichkeit: die Verbindung zwischen einem verletzten Apotheker aus dem Gazastreifen und einer französischen Ärztin

17 August 2025
„Hallo Cathy. In einem Café hat eine Bombe eingeschlagen. Bashar hat eine schwere Beinverletzung. 80 % seiner Freunde sind tot.“

Diese herzzerreißende Nachricht erhielt Dr. Catherine Le Scolan-Quéré im Juni 2025 in ihrer Allgemeinpraxis in der Bretagne. Es ging um ihren Freund Bashar Al-Bilbisi, einen 25-jährigen Pharmazeuten aus Gaza. 

Etwas mehr als einen Monat später, am 31. Juli, wurde Bashar als einer von fünf Patienten aus dem Gazastreifen nach Frankreich evakuiert. Jetzt wird er in einem Krankenhaus in Rennes, im Nordwesten Frankreichs, behandelt, wo die Ärzte versuchen, sein Bein zu retten. 

Seit Oktober 2023 sind 919 Patienten aus dem Gazastreifen in 16 Länder der Europäischen Region der WHO evakuiert worden. Frankreich hat bisher 27 Personen aufgenommen, und seine humanitäre Führungsrolle bei dieser medizinischen Evakuierung verdeutlicht, warum Multilateralismus in unserer vernetzten Welt zur Stärkung der globalen Gesundheit unverzichtbar ist.

Der gemeinsame Wunsch zu heilen

Bashar ist ausgebildeter Pharmazeut und Tänzer. Ihn und Catherine verbinden die Liebe zur Medizin und die feste Entschlossenheit, anderen zu helfen. Auch sind beide sehr an Kunst interessiert. 

Seine Leidenschaft gilt dem Dabke, einer traditionellen palästinensischen Tanzform, zu deren Anerkennung durch die UNESCO er beigetragen hat; Catherines Leidenschaft gilt der Fotografie. Sie lernten sich 2023 kennen, als Bashar mit seiner Tanztruppe Al Farsan in Frankreich auf Tournee war. Nach der Tournee blieben sie in Kontakt. Später im Jahr, nach den Anschlägen vom 7. Oktober und dem darauf folgenden Krieg, schrieben sie einander regelmäßiger. 

Als die Medikamentenvorräte im Gazastreifen zur Neige gingen, war Bashar zunehmend frustriert darüber, dass er nicht helfen konnte. Er begann, Dabke und Yoga-Tanzkurse für Kinder und Jugendliche zu organisieren, um ihre psychische Gesundheit zu fördern und sie von dem Konflikt abzulenken. 

„Bashar ist ein intelligenter, ruhiger, diskreter und sehr aufgeschlossener Mensch mit einem starken Willen und einer beeindruckenden inneren Stärke. Er spaltet nicht, sondern führt die Menschen mit seinen Projekten zusammen. Ein großartiger Mensch“, sagt Catherine. 2024 meldete sie sich für einen zweiwöchigen Einsatz am Nasser-Krankenhaus in Gaza und bot ihre Fähigkeiten als Ärztin an:

„Ich war sehr glücklich darüber, helfen zu können. Als ich im Innenhof des Nasser-Krankenhauses ankam, wartete Bashar mit seiner Familie auf mich.“

Verletzung und Lobbyarbeit

Ein Jahr später, am 30. Juni, als Bashar sich mit Freunden in einem Strandcafé aufhielt, schlug eine Rakete ein. Einige seiner Freunde waren auf der Stelle tot, er selbst wurde schwer verletzt.

„Ich dachte, mein Bein sei komplett weggesprengt worden, weil die Knochen gebrochen waren und es schrecklich aussah“, erzählt Bashar. 

Doch sein Leidensweg hatte gerade erst begonnen. 

„Als ich im Krankenhaus ankam, musste ich aufgrund der vielen Toten und Verletzten lange auf dem Flur warten. Der Behandlungsprozess war äußerst schwierig. Es fehlten Medikamente, und meine Operation wurde verschoben. Zuerst sagte man meiner Familie, dass sie mein Bein amputieren müssten, weil sie die tägliche Wundreinigung nicht durchführen könnten. Ich brauchte Antibiotika und Schmerzmittel, aber es gab zu wenig Medikamente. Ich musste ohne Betäubung die Reinigung und den Verbandswechsel überstehen.“

„Sein Bein brauchte dringend eine Abdeckung der Bruchstelle mit einem Hautlappen, aber das war in Gaza nicht möglich“, sagt Catherine. „Er hatte ständig Schmerzen und schlief nur eine bis zwei Stunden pro Nacht. Und es gab nichts zu essen für ihn.“ 
Sie begann, sich für seine Evakuierung einzusetzen.

Medizinische Evakuierung – eine Kette der Menschlichkeit

„Jeder Patient, der aus dem Gazastreifen evakuiert wird, erinnert uns daran, dass hinter den Zahlen echte Menschen mit Wünschen und Hoffnungen stehen, genau wie Sie oder ich“, sagt Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. „Wenn Länder ihre Krankenhäuser für Kranke und Verletzte aus Kriegsgebieten öffnen, zeigen sie damit, dass Kooperation stärker ist als Konflikt. Bisher haben 16 der 53 Länder der Europäischen Region der WHO insgesamt 919 Patienten aus Gaza aufgenommen. Doch der Bedarf ist weiterhin immens, denn mehr als 14 800 Patienten müssen dringend evakuiert werden. Ich danke Frankreich dafür, dass es bisher 27 Patienten aufgenommen hat, und ich fordere weitere Länder dringend auf, ihre Hilfe anzubieten, insbesondere für kranke und verletzte Kinder. Die Geschichte wird sich an diejenigen erinnern, die mit Mitgefühl und Solidarität gehandelt haben.“

Anfang Juli wurde das Team des Programms für gesundheitliche Notlagen bei WHO/Europa um Unterstützung bei Bashars medizinischer Evakuierung nach Frankreich gebeten. Der erste Schritt bestand darin, bei den Gesundheitsbehörden in Gaza die erforderlichen Dokumente anzufordern, die bestätigten, dass sein Gesundheitszustand eine dringende Evakuierung erforderte. Durch ständige Kommunikation mit dem Team des WHO-Länderbüros in dem besetzten palästinensischen Gebiet (OPT) in Ost-Jerusalem konnte die erforderliche Genehmigung schließlich eingeholt werden.

Der nächste Schritt bestand darin, die offizielle Genehmigung der französischen Regierung für Bashars Aufnahme und Behandlung zu bekommen. Das Team der WHO stand in ständigem Kontakt mit den maßgeblichen Akteuren, u. a. mit dem französischen Konsulat in Jerusalem, dem Ministerium für Europa und Auswärtige Angelegenheiten in Paris, der Generaldirektion Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe (ECHO) bei der Europäischen Kommission und dem Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen (ERCC). Dank dieser Zusammenarbeit erteilte die Regierung die Genehmigung, nicht nur Bashar, sondern auch vier weitere Patienten und ihre Begleitpersonen nach Frankreich zu evakuieren.

In einer weiteren Abstimmung mit dem ERCC, dem Länderbüro der WHO und den spanischen Behörden wurden der Lufttransport und andere logistische Vorkehrungen organisiert. Diese koordinierten Bemühungen führten zu einer erfolgreichen medizinischen Evakuierung von Bashar und 28 weiteren Patienten, die derzeit in vier Ländern der Europäischen Region (Frankreich, Norwegen, Spanien und Türkei) fachärztlich behandelt werden.

Bashar befindet sich jetzt in Rennes (Frankreich). Er hat bereits eine Operation hinter sich und wird derzeit von einem plastischen Chirurgen untersucht. Doch seine Genesung wird langwierig und mühsam sein.  

Catherine war eine der ersten, die ihn an seinem Bett begrüßte. „Einen Monat nach seiner Verletzung wissen wir immer noch nicht, ob sein Bein gerettet werden kann, aber ich hoffe, es gelingt“, sagt Catherine. „Das Bein ist infiziert, aber die Behandlungsbedingungen sind optimal, und die Chirurgen werden alles versuchen. Im Moment hat er viele Freunde in Rennes, und er ist am Leben und in Sicherheit.“

„Bashars Evakuierung war dank der Professionalität und Menschlichkeit des gesamten Teams der WHO und des Konsulats erfolgreich“, fügt sie hinzu. „Es ist eine moralische Verpflichtung, die Menschen in Gaza zu retten. Das ist keine Frage der Politik, sondern eine Frage der Menschlichkeit. Alles Leben verdient es, geachtet und geschützt zu werden – und genau das tut die WHO jeden Tag.“

„Die Verwundeten und Kranken in Gaza sind wie alle anderen Menschen auf der Welt“, sagt Bashar. „Sie haben Träume, Ambitionen und Hoffnungen, aber ihre jetzige Situation ist katastrophal. Sie alle leiden. Die in den Krankenhäusern des Gazastreifens angebotenen Leistungen sind sehr, sehr begrenzt. Die Patienten in Gaza brauchen Ruhe und einen sicheren Ort für die Behandlung, daher ist es sehr wichtig, dass die Länder bei der Evakuierung und Unterstützung der Verwundeten und Verletzten helfen.“

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Schätzungsweise 14 800 Patienten müssen für komplexe Operationen oder Behandlungen dringend aus dem Gazastreifen evakuiert werden. WHO/Europa ist den Ländern sehr dankbar, die sich bereit erklärt haben, Patienten aus dem Gazastreifen medizinisch zu evakuieren. Wir fordern die Länder dringend dazu auf, Patienten aufzunehmen und die medizinischen Evakuierungen auf allen möglichen Wegen zu beschleunigen. 

Die WHO sorgt weiterhin dafür, dass der Solidarität auch Koordination und Ressourcen folgen, und bemüht sich zusammen mit den Aufnahmeländern, den Kollegen im Länderbüro, dem WHO-Regionalbüro für den östlichen Mittelmeerraum und den Partnern bei der Europäischen Union und im ERCC um eine Koordinierung der grenzüberschreitenden medizinischen Evakuierungen und der logistischen Planung.