Mira, eine zähe und energische 67-jährige Frau aus dem Bezirk Alamedin nahe der kirgisischen Hauptstadt Bischkek, lebt seit 1985 mit Diabetes. Ihre Geschichte handelt von Widerstandsfähigkeit, Gemeinschaftssinn und der Überzeugung, dass ein gesundes Leben möglich ist.
Als aktives Mitglied einer örtlichen Selbsthilfegruppe glaubt sie fest an die Wirksamkeit solcher Gruppen bei der Bewältigung der Krankheit.
„Wir leben mit Diabetes, und ich weiß, dass man damit fertigwerden kann“, sagt sie. „Aber ich glaube, dass viele Menschen immer noch Angst vor der Krankheit haben, und darauf müssen wir uns meiner Meinung nach stärker konzentrieren.“
Um die Angst vor Diabetes zu überwinden, sagt Mira, muss man seinem Arzt vertrauen und Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen. Ihr Eintreten für einen gesunden Lebensstil und regelmäßige ärztliche Untersuchungen spiegelt ihr Engagement für andere Menschen wider, die mit Diabetes zu kämpfen haben.
„Führen Sie ein gesundes Leben, gehen Sie zum Arzt, lassen Sie sich testen und haben Sie keine Angst.“
Mira ist überzeugt: auf Vertrauen kommt es an.
„Ich stehe in ständigem Kontakt mit meiner Endokrinologin, ich rufe sie ständig an“, erzählt sie und betont die Verbundenheit zwischen ihnen. „Wir setzen uns hin und reden, und sie erklärt mir alles.“
Dieses Vertrauen ist ein Eckpfeiler ihrer Diabetesbewältigung – eine Partnerschaft, die auf gegenseitigem Respekt und Verständnis beruht.
Einmal sank ihr Blutzuckerspiegel stark ab, und die Ärztin riet ihr, die Dosis zu ändern.
„Wenn also die Ärztin mir einen Rat gibt, dann befolge ich den“, erinnert sich Mira.
Nach einer Pandemie, die das Vertrauen der Menschen in die Institutionen – und namentlich in die Gesundheitssysteme – untergraben hat, ist dieses Vertrauen in das Gesundheitspersonal entscheidend. Die bevorstehende Konferenz von WHO/Europa über Gesundheitssysteme in Tallinn befasst sich mit den wesentlichen Themen Vertrauen und Wandel und untersucht deren Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung.
Die Konferenz beschäftigt sich mit der zunehmenden Einschätzung, dass das Gesundheitswesen nicht für die Menschen da ist, wenn es gebraucht wird, aber auch mit der wachsenden Wahrnehmung der Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegewesen, die sich innerhalb des Systems nicht wertgeschätzt fühlen. Dies spiegelt sich in Miras Darstellung und auch in den Aussagen der Ärzte und Pflegekräfte wider, die in Kirgisistan Diabetespatienten versorgen.
Veränderungen sind nicht immer einfach, vor allem bei der Bewältigung von Erkrankungen
Allein in der Europäischen Region der WHO leben mindestens 64 Mio. Erwachsene und etwa 300 000 Kinder und Jugendliche mit Diabetes. Bis 2045 wird nach Schätzungen der International Diabetes Federation aufgrund der Bevölkerungsalterung und zunehmender Adipositasraten fast ein Zehntel der Menschen in der Europäischen Region mit Diabetes leben.
Diabetes wird im Allgemeinen nicht ausreichend erkannt, behandelt und kontrolliert. Viele Komplikationen, wie etwa Probleme mit den Füßen infolge von Durchblutungsstörungen, sind vermeidbar – ebenso wie die damit verbundenen Kosten für das Gesundheits- und Sozialwesen. Einfache Maßnahmen wie regelmäßige Fußpflege können das Amputationsrisiko verringern.
Kirgisistan, wo nach Schätzungen 256 400 Menschen mit der Krankheit leben, hat mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen: Nur 60 % der Menschen mit Diabetes werden diagnostiziert.
2022 begann das Gesundheitsministerium mit Unterstützung durch WHO/Europa und die World Diabetes Foundation mit der Durchführung eines neuen Projekts in Kirgisistan. Bei dem Projekt geht es im Wesentlichen darum, die Qualität der Diabetesversorgung zu verbessern, indem z. B. geändert wird, wer die Krankheit diagnostiziert und die Diabetespatienten bei der Behandlung unterstützt.
„Früher wurden die Patienten ausschließlich von Endokrinologen betreut, und die Diabetesversorgung wurde nie den Hausärzten und Pflegekräften überlassen“, erklärt Dr. Guldana Jolchieva, Endokrinologin am Nationalen Zentrum für Endokrinologie in Bischkek. „Dies führte zu einer Reihe von Problemen, z. B. zu langen Wartezeiten, da die Endokrinologen einfach nicht mit so vielen Patienten fertigwerden konnten.“
Das Projekt ermöglicht es den Patienten, sich direkt an die Zentren für primäre Gesundheitsversorgung zu wenden und sich von ihren Hausärzten oder von Krankenschwestern untersuchen zu lassen, und verändert damit die Art und Weise, wie Diabetes in dem Land behandelt wird. Nun wird den Patienten zugetraut, eine aktive Rolle bei der Gestaltung dieser Versorgungspfade zu übernehmen – und bei der Bewertung, wie gut sie funktionieren.
„Erstens haben die Patienten jetzt mehr Vertrauen in ihre Hausärzte und Krankenschwestern, und zweitens müssen sie keine weiten Wege mehr zurücklegen, sondern können zu ihrem örtlichen Zentrum für primäre Gesundheitsversorgung gehen“, erklärt Dr. Nataliya Dobrynina, die leitende Endokrinologin am Nationalen Zentrum für Endokrinologie.
Vertrauen ermöglicht Wandel
Im Zuge der Umstellung wurden Ärzte und Krankenschwestern der primären Gesundheitsversorgung vermehrt und umfassender darin geschult, Diabetesfälle zu erkennen, die Krankheit zu behandeln und Komplikationen zu verhindern, insbesondere für Augen, Füße und Herz-Kreislauf-System der Patienten.
Alita, eine Feldscherin im Bezirk Alamedin, erklärt, wie die Schulungen die Art und Weise, wie sie Diabetespatienten betreut, von Grund auf verändert haben.
„Früher mussten wir die Patienten zur Kontrolle ihres Blutzuckerspiegels an eine weit entfernte Poliklinik überweisen, und für die älteren Patienten war das manchmal unpraktisch“, erzählt sie. „Jetzt testen wir selbst den Blutzuckerspiegel und führen Labortests durch; und wir beraten sie in Bezug auf Ernährung, Gewichtsabnahme und ihren Lebensstil im Allgemeinen.“
Dies, sagt Alita, hat auch ihre Einstellung zu ihrer Arbeit verändert. Sie freut sich, dass ihre neu erworbenen Fähigkeiten den Patienten in ihrem Bezirk helfen, ihre Krankheit besser zu bewältigen. „Ich glaube, sie vertrauen mir jetzt und kommen öfter hierher“, sagt sie.
Eine neue Vision für Gesundheitssysteme, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen
Die Umstellung in der Diabetesversorgung in Kirgisistan beschränkt sich nicht auf verfahrenstechnische Änderungen. Sie zeugt von dem Vertrauen – der sich entwickelnden Beziehung zwischen Patienten und Gesundheitspersonal, den politischen Entscheidungsträgern und den Patientenverbänden sowie dem wachsenden Vertrauen in die sich entwickelnde Landschaft der Diabetesversorgung.
Diese Umstellung steht im Mittelpunkt einer neuen Vision für die Gesundheitssysteme, über die WHO/Europa und seine Partnerorganisationen am 12. und 13. Dezember 2023 auf der Konferenz in Tallinn diskutieren werden.
Alitas Einsatz und das Engagement von Ärztinnen wie Nataliya und Guldana verstärken diese neue Philosophie – eine Geschichte des Wandels, bei der Vertrauen als Brücke zwischen Patienten und Gesundheitspersonal wirkt. Wenn Patienten wie Mira das Gefühl haben, dass sie ihrem Gesundheitspersonal und dem System, in dem sie tätig sind, vertrauen können, und wenn sie bei der Selbstbewältigung Unterstützung erhalten, werden sie für die eigene Gesundheit Verantwortung übernehmen.
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