Verknüpfung der Versorgung: Erkundung des innovativen schwedischen Modells für die primäre Gesundheitsversorgung

6 January 2025
In den ruhigen Wiesen und Wäldern des südlichen Lapplands in Schweden, wo die Luft frisch ist und Rentiere frei herumlaufen, steht die örtliche Bevölkerung noch immer vor realen Herausforderungen. Unter ihrer idyllischen Oberfläche hat die Region ein Jahrhundert damit verbracht, Wege zu finden, um ihrer alternden Bevölkerung eine primäre Gesundheitsversorgung bereitzustellen, den Verlust von qualifiziertem Gesundheitspersonal und von Fachkräften an städtische Zentren zu bekämpfen und die großen Entfernungen zu überwinden, die die Zugänglichkeit einschränken. In den 1990er Jahren erfand Schweden seine so genannten sjukstugor (so genannte „Cottage Hospitals“ [im Deutschen gemeinhin als „Krankenstation“ bezeichnet]) neu, um diesen Herausforderungen zu begegnen, und verwandelte sie in das herausragende Modell für die Gesundheitsversorgung, das sie heute sind. 

Der Erfolg des schwedischen Modells für die primäre Gesundheitsversorgung im südlichen Lappland ist auf einen Ansatz zurückzuführen, der die Verknüpfung von physischen, psychischen und sozialen Gesundheitsproblemen anerkennt und diese durch multidisziplinäre Teams, professionelle Rollenentwicklung und Aufgabenoptimierung angeht. Die gemeinsamen Bemühungen lokaler maßgeblicher Akteure, verbunden mit innovativen organisatorischen Veränderungen, haben sich positiv auf die Entwicklung, Anwerbung und Bindung von Arbeitskräften ausgewirkt. 

Seit Oktober 2022 haben Georgien, Kasachstan und Lettland Delegationen nach Schweden entsandt, um von diesem Modell zu lernen. Bei einem kürzlichen Besuch berichtete Ieva Špironoka, eine hochrangige Expertin aus dem lettischen Gesundheitsministerium, wie wichtig es ist, die Rolle von Pflegekräften zu erweitern und sie dabei zu unterstützen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen: „Dies und der Wert des Erfahrungsaustauschs und des Lernens aus fortschrittlichen Praktiken bestärkt uns in der Überzeugung, dass ein sinnvoller Wandel möglich ist.“ 

Das Europäische Zentrum der WHO für primäre Gesundheitsversorgung und die regionalen und kommunalen Gesundheitsbehörden der Region Västerbotten haben eine sjukstuga in eine Demonstrations-Plattform der WHO zum Thema primäre Gesundheitsversorgung eingebracht, die es Ländern mit ähnlichen Herausforderungen ermöglicht, Einblicke in Lösungen zu gewinnen, die an unterschiedliche Kontexte angepasst werden können. Das Zentrum für ländliche Medizin in der Gemeinde Storuman, das bald zu einem Kooperationszentrum der WHO ernannt werden soll, ist der Hauptpartner für die Organisation dieser Besuche. Es ist führend in der Forschung und Innovation im Bereich der primären Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten, wobei der Schwerpunkt auf der Versorgung abgelegener Gemeinschaften und der einheimischen samischen Bevölkerung liegt. Das schwedische Modell ist ein inspirierendes Zeugnis für die transformative Kraft einer effektiven primären Gesundheitsversorgung.

„Besuche wie dieser können wirklich etwas bewirken, weil sie Veränderungen anstoßen“, betont Melitta Jakab, Leiterin des Europäischen Zentrums der WHO für primäre Gesundheitsversorgung. „Es ist eine Sache, über die Politik eines Landes zu lesen, aber zu sehen, wie sie in der Praxis funktioniert, ist eine ganz andere Erfahrung.“

 

WHO/Sofia Berggren
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Rentiere, die in der Nähe von Siedlungen in der Region Västerbotten im südlichen Lappland durch den Wald streifen.

Västerbotten ist ein weitläufiges Gebiet im südlichen Lappland (Schweden). Es ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen Europas, mit nur 5 Einwohnern pro Quadratkilometer. Obwohl es größer ist als Dänemark, die Niederlande oder die Schweiz, ist die Landschaft hier noch weitgehend unberührt, mit weiten Strecken Wildnis, die kleine, isolierte Dörfer voneinander trennt. Trotz dieser enormen Herausforderungen hat Västerbotten innovative Lösungen umgesetzt und ist zu einem Modell für die Gesundheitsversorgung in abgelegenen Dörfern geworden.

 

Nilsson Carl-Oskar, Storuman - Storumans kommun
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Personal vor der Krankenstation in Stensele (Archivfoto).

Um die Gesundheitsfürsorge näher an abgelegene Gemeinschaften heranzubringen, wurden 1901 die ersten sjukstugor (Krankenstationen) eingeführt. Sjukstugor fungieren als Zentren der primären Gesundheitsversorgung, die von Hausärzten und Pflegekräften geleitet werden. Die meisten Angebote der Gesundheitsversorgung werden ambulant erbracht, doch sie nehmen auch Patienten auf, wenn dies aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist, und bieten zudem Palliativversorgung an. 

Im Laufe der Jahre, als sjukstugor mit den globalen Trends der Bevölkerungsalterung und der Abwanderung qualifizierter Fachkräfte in die städtischen Zentren konfrontiert wurden, begannen diese Einrichtungen mit Personalengpässen zu kämpfen und hatten Schwierigkeiten, Zugang zu den Ressourcen zu erhalten, die zur Deckung des lokalen Bedarfs an medizinischer Versorgung erforderlich sind. 

 

WHO/Sofia Berggren
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Eine Pflegekraft nutzt telemedizinische Hilfsmittel in einer sjukstuga in Vilhemlina, einer Kleinstadt in Västerbotten.

Västerbotten begann in den 1990er Jahren mit der Wiederbelebung des jahrhundertealten Konzepts der sjukstugor. Während diese kleinen Krankenstationen schon immer die primäre Gesundheitsversorgung für kleinere Siedlungen in abgelegenen Gebieten bereitstellten, hat die Einführung von Telekonsultationen und anderen digitalen Tools den Zugang zu und die Qualität der Versorgung erheblich verbessert. Dieser innovative Ansatz kombiniert persönliche Beratungen, digitale Lösungen und Hausbesuche von Pflegehilfskräften und Sozialarbeitern, um eine personalisierte und konsistente Gesundheitsversorgung für die Gemeinschaft zu gewährleisten. 

 

WHO/Aidana Yergaliyeva
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Die örtliche Pflegekraft Henrik spielt in der sjukstuga in der Gemeinde Storuman ein Szenario durch.

Um vom schwedischen Erfolg zu lernen, reiste eine kasachische Delegation in die Region, um zu erkunden, wie diese Lösungen an die eigenen Gesundheitssysteme angepasst werden können, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen.

Von einer Notaufnahme in der Sjukstuga aus verfolgte die Delegation, wie Pflegekraft Henrik mit Miriam, einer 1000 Kilometer entfernten Allgemeinärztin, eine Telekonsultation einleitete. Sie erörterten ein Szenario, in dem es um eine Frau mittleren Alters mit Kälteverbrennungen und einer Handgelenksverletzung ging. Henrik sammelte Gesundheitsinformationen, führte Tests durch und besprach die Ergebnisse mit Miriam, die bestätigte, dass ein Krankenhausaufenthalt nicht notwendig sei. Aus der Sozialakte der Frau ging jedoch hervor, dass sie isoliert lebt und kognitive Schwierigkeiten hat. Das Team beschloss, sie über Nacht in der Krankenstation zu behalten, um ihr Wohlbefinden sicherzustellen.

 

WHO/Aidana Yergaliyeva
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Die örtliche Pflegekraft Henrik leitet eine Telekonsultation mit Miriam, einer Hausärztin, ein.

Henrik benutzte eine an einem Kran montierte Kamera, um die Schwere der Kälteverbrennungen und Verletzungen der Patientin zu zeigen. Gemeinsam entschieden Henrik und Miriam die beste Vorgehensweise für die Patientin. 

Das Szenario zeigte, wie die sjukstuga mit Notfällen umgeht und Pflegekräfte zu eigenständigen Entscheidungen befähigt. In ländlichen Gebieten tätige Hausärzte erhalten außerdem ein zusätzliches Jahr Ausbildung, um ein breiteres Spektrum an Leistungen erbringen zu können, da sie Fälle oft selbständig und ohne Überweisungsmöglichkeiten behandeln. Dies ist ein Ansatz, von dem alle Seiten profitieren: Henrik brachte zum Ausdruck, dass er die Möglichkeit schätzt, „mit Ärzten und Spezialisten zusammenzuarbeiten, um Patienten mit komplexeren Bedürfnissen zu behandeln“, während Miriam erklärte, dass sie es als erfüllend empfindet, „im ganzen Land den gleichen Versorgungsstandard zu bieten und auf die Patienten einzugehen“.

 

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Ältere Menschen spielen im Pflegeheim Storuman mit einer Pflegekraft ein Ballspiel.

Das Pflegeheim in Storuman legt Wert auf eine personenorientierte Pflege in einer häuslichen Umgebung. Es wird von Pflegekräften und Pflegehilfskräften geleitet und passt sich den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bewohner an, wobei die individuellen Grenzen und Gewohnheiten respektiert werden. Die herzliche Atmosphäre unterstreicht die Kraft der Empathie in der Gesundheitsversorgung. 

„Für uns ist der ländliche Raum kein Problem, das es zu lösen gilt. Es ist unsere Art zu leben, und wir lieben es“, betonte Isabell Danielsson-Zemrén, Leiterin des Gesundheitsbezirks Südlappland.

Das Pflegemodell von Västerbotten beruht auf der Zusammenarbeit der lokalen Akteure sowohl im Gesundheits- als auch im Sozialwesen und ihrer Koordination mit regionalen Einrichtungen. Die Region hat digitale Lösungen und Strategien für Arbeitskräfte eingeführt, die von sozialem Zusammenhalt und Kooperation getragen werden. 

 

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Eine Pflegekraft demonstriert medizinische Geräte in einer örtlichen Bibliothek

Slussfors ist eine kleine Siedlung mit nur 300 Einwohnern. In der Schulbibliothek in Slussfors dient ein Gemeinschaftsraum als zentrale Anlaufstelle, die mit digitalen Gesundheitstools ausgestattet ist, von denen einige von den Einwohnern ohne Hilfe einer Pflegekraft genutzt werden können. 

Andreas Lundqvist, Referatsleiter im Zentrum für ländliche Medizin, hob hervor, dass diese Initiative die Einwohner in die Lage versetzt, digitale Lösungen selbständig zu nutzen und so die Eigenständigkeit bei der Erhaltung ihrer Gesundheit zu fördern. „Dies bringt die Gesundheit so nah wie möglich an die ländliche Bevölkerung und ermutigt Patienten, mehr Verantwortung für ihre eigene Versorgung zu übernehmen.“

 

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Die Krankenstation für die primäre Gesundheitsversorgung in Tärnaby ist eine ausschließlich von Pflegekräften geführte Einrichtung.

Eine für die primäre Gesundheitsversorgung zuständige Einheit in Tärnaby, in der Gemeinde Storuman, zeigt die erweiterte Rolle von Pflegekräften bei der Deckung der grundlegenden gesundheitlichen Bedürfnisse auf. In diesem abgelegenen, gebirgigen Ort leben etwas mehr als 1600 Einwohner, doch während der Skisaison steigt die Bevölkerungszahl um das 25-fache an. 

Roza Abzalova, eine kasachische Delegierte und Vorsitzende der kasachischen Nationalen Vereinigung für die primäre Gesundheitsversorgung, zeigte sich beeindruckt von der großen Verantwortung der Pflegekräfte. Sie hob die allgemeine Kompetenz und die entscheidende Rolle der Pflegekräfte im Gesundheitsmanagement hervor und verwies auf das hohe Ansehen, das sie in der lokalen Bevölkerung genießen. Am Ende des Rundgangs war klar, dass eine sjukstuga ein gut organisiertes System darstellt, geprägt von Mitgefühl und Fürsorge, das durch digitale Lösungen verbessert wird.  

 

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