Shukran, gracias: Sechsjährige Zwillinge aus Gaza bedanken sich für ihre lebensrettende Behandlung in Spanien

27 November 2024
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Die 33-jährige Iman Almajayda und ihre sechsjährigen Zwillinge Samar (links) und Eleen (rechts) kommen aus Chan Yunis im Gazastreifen. Heute leben sie in Spanien, wo Eleen wegen Leukämie, einer Art von Blutkrebs, behandelt wird.

Eleen war erst vier Jahre alt, als sie mit Leukämie diagnostiziert wurde. Sie wurde in Gaza behandelt, aber dann wurde das Krankenhaus 2023 nach Ausbruch des Krieges durch Artilleriebeschuss zerstört.

Ihre Mutter Iman traf schweren Herzens den Beschluss, ihren Mann und ihre Familie zurückzulassen, um in Spanien Asyl zu beantragen und Eleen behandeln zu lassen, wo sie nun versuchen, sich in die spanische Gesellschaft zu integrieren – eine enorme Herausforderung.

„Nachdem das Krankenhaus bombardiert worden war, gab es für Eleen keine Behandlungsmöglichkeiten mehr“, erinnert sich Iman. „Ihr Arzt sagte, er könne nichts mehr für sie tun. Wir haben es nach Kairo geschafft, aber dort wurde Eleen in 25 Tagen im Krankenhaus immer kränker, weil sie nicht die fachärztliche Behandlung bieten konnten, die sie brauchte.“

Wir haben Eleen und ihre Schwester Samar in Spanien getroffen. Die sechsjährigen palästinensischen Zwillinge, die gleich gekleidet waren, sind Energiebündel, die den Raum mit Freude erfüllen und die das Team, das ihre Familie unterstützt, umarmen.

 

Bruno Thevenin
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Eleen war eines von insgesamt 15 kranken oder verletzten Kindern aus Gaza, die im Juli 2024 über Ägypten nach Spanien evakuiert wurden, um ihnen eine dringend benötigte medizinische Versorgung zu ermöglichen.

„Ich bin mit nur meinen Papieren, etwas Kleidung und meinem Telefon nach Spanien gegangen“, erzählt Iman. „Es war eine ungeheuer schwere Entscheidung. Einerseits war ich glücklich, dass Eleen die dringend benötigte Behandlung bekommen konnte, aber andererseits fiel es mir so schwer, meine Familie in Gaza zurückzulassen. Es war vor allem für meinen Mann schwierig, weil er von seinen kleinen Töchtern und seiner Frau Abschied nehmen musste.“

Alle 15 Kinder im Alter von 3 bis 17 Jahren, die nach Spanien evakuiert wurden, waren nach ihrer Flucht aus Gaza mehrere Monate lang in ägyptischen Krankenhäusern wegen lebensbedrohlicher Erkrankungen behandelt worden. 

Sie sind nur wenige von Tausenden Kindern und Erwachsenen, die Zugang zu fachärztlicher Versorgung außerhalb von Gaza benötigen. 13 der evakuierten Kinder haben komplexe Verletzungen. Alle werden in verschiedenen Krankenhäusern in Spanien behandelt.    

Die Evakuierung wurde durch das Katastrophenschutzverfahren der Europäischen Union in Zusammenarbeit mit der WHO unterstützt. Das Palästinensische Kinderhilfswerk kümmerte sich um die Unterlagen der Patienten und die Genehmigungen für die Evakuierung. Die ägyptische Regierung unterstützte ihre Versorgung während ihres Aufenthalts im Land, und sechs spanische Ministerien leisteten zusätzliche Unterstützung.

 

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Die sechsjährige Eleen lebt mit Leukämie. Inzwischen wird sie in Spanien wegen ihrer Krebserkrankung behandelt.

Inzwischen kämpft Iman in Spanien weiter mit der Herausforderung, sich ein Leben fern der Heimat aufzubauen und gleichzeitig für Eleens Behandlung und Wohlergehen zu sorgen.

Der Gesundheitszustand ihrer Tochter hat sich dank der medizinischen Versorgung in Spanien deutlich verbessert, sagt sie. Eleen bekommt eine Chemotherapie und nimmt orale Medikamente gegen ihre Erkrankung ein. Alle zwei Wochen werden ihre Fortschritte mit umfassenden Tests kontrolliert. Ihre derzeitige Behandlung wird bis Januar 2025 fortgesetzt, dann werden die Ärzte die nächsten Schritte festlegen. 
 
„Das Wichtigste ist, dass Eleen jetzt die Behandlung erhält, die sie braucht“, sagt Iman. „Wegen der gegenwärtigen Lage in Gaza kann ein Kind weder ein Gefühl der Sicherheit entwickeln noch eine normale Kindheit erleben. Jetzt leben wir in Frieden. Meine Töchter fühlen sich sicher, weil um uns keine Raketen mehr einschlagen.“ 

 

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Iman, Samar und Eleen auf einem Spielplatz in Spanien.

Die psychische Gesundheit ist oft ein verborgenes Opfer des Krieges. Iman wird von einer Psychologin betreut, die ihr dabei helfen soll, das Trauma, das sie in Gaza erlitten hat, zu verarbeiten und sich an das Leben in einem fremden Land ohne ihre Familie und Freunde zu gewöhnen. Die Sorge um die Sicherheit ihres Mannes, der in Gaza zurückgeblieben ist, lastet schwer auf ihr. 
 
„Jeden Tag mache ich mir Sorgen um meinen Mann und frage mich, wie es ihm in Gaza geht“, erzählt Iman. „Zu Beginn meiner Sitzungen mit dem Therapeuten ging es vor allem um die Kinder und darum, wie sie sich anpassen. Dann begann ich über meine Gefühle zu sprechen, wie es sich anfühlte, meine Familie in Gaza zurückzulassen, während ich hierher komme. Die Sitzungen sind unterschiedlich; manchmal lässt sie mich einfach über meine Sorgen reden.“ 

 

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Maria Tejada ist die Leiterin der Abteilung Kampagnen und Kommunikation bei Accem, einer gemeinnützigen Organisation in Spanien.

Accem, eine landesweit tätige gemeinnützige Organisation in Spanien, versorgt Iman und ihre Kinder mit den nötigsten Dingen, also Unterkunft, Nahrung und Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen, zu Dolmetschern und Sozialarbeitern sowie psychosozialer Betreuung. Außerdem ist Accem ihnen bei der Integration in die spanische Gesellschaft behilflich. Samar und Eleen besuchen jetzt die Grundschule, während Iman Spanischkurse besucht.

Maria Tejada, die Leiterin der Abteilung Kampagnen und Kommunikation bei Accem, erklärt: „In solchen Situationen ist es sehr wichtig, dass man psychologisch betreut wird. Menschen, die aus Gaza kommen, haben wirklich Dramatisches erlebt. Sie mussten nicht nur ihr Land verlassen, sondern auch Familienmitglieder zurücklassen und machen sich nun ständig Sorgen um sie. Wenn dann noch der Stress dazukommt, den ein krankes Kind mit sich bringt, ist das eine extrem schwierige Situation. Als Eltern würden Sie alles tun, damit Ihr Kind am Leben bleibt. Wir haben es hier mit zwei Situationen zu tun, die das seelische Wohlbefinden stark beeinträchtigen.“

Sie fügt hinzu: „Man kann nicht anders, als Mitgefühl für sie zu empfinden – ihr Kampf ums Überleben, ihr Schmerz, ihre Traurigkeit, ihre Unsicherheit, ihre Angst.“

 

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Veronica Canel Álvarez, eine Sozialarbeiterin, spielt mit Samar und Eleen. Accem bietet Iman und ihren Kindern diese Unterstützung an.

Veronica hilft ihnen beim Zugang zu Sozialleistungen in Spanien und erklärt ihnen Methoden, die ihnen dabei helfen, mit der Situation fertigzuwerden.  

„Wir beschäftigen uns beispielsweise mit Angstzuständen, Depressionen und Veränderungen im emotionalen Verhalten“, sagt Maria. „Wir arbeiten mit den Kindern, um ihre Reaktionen zu normalisieren. Zum Beispiel haben die Kinder aus Gaza, wenn sie zum ersten Mal in unser Büro kommen, panische Angst davor, in einem geschlossenen Raum zu sein, und versuchen zu fliehen. Sie suchen instinktiv nach einer Tür oder einem Fenster und reagieren automatisch, ohne nachzudenken. Sie kommen aus einer Situation, in der bei einem Angriff die Decke auf sie einstürzen könnte. Deshalb suchen sie immer nach einem Fluchtweg.“

Maria erklärt: „Als Erstes haben wir dafür gesorgt, dass sie nicht mehr ständig in Alarmbereitschaft waren; wir haben ihre Angst gedämpft und ihnen geholfen, sich sicher zu fühlen. Dank der Normalisierung dieser Verhaltensweisen können sie nun in einem Klassenzimmer sitzen und uns in unseren Büros treffen.“

 

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Tamara Vega Sierra von Accem ist eine beruhigende Präsenz im Leben von Eleen und Samar und bringt ein Gefühl von Normalität in ihr Leben.

Auf die Frage, ob die Arbeit von Accem für Samar und Eleen einen Unterschied bewirkt, antwortet Maria: „Wir haben eine Veränderung in ihrem Verhalten festgestellt, und eine der wichtigsten Veränderungen ist, dass die Mädchen sich einfach wieder wie Kinder verhalten. Das klingt vielleicht trivial, aber das ist eigentlich ziemlich schwierig. Ein krankes Kind, das keine Hilfe bekommt, kann sich nicht wie ein Kind verhalten. Und alle Kinder haben das Recht, eine Kindheit zu erleben und sich sicher zu fühlen. Für uns ist das wie ein kleiner Triumph.“ 
 
Maria lächelt, wenn sie sich an das erste spanische Wort der Kinder erinnert: die Übersetzung von „shukran“, dem arabischen Wort für „danke“. „Gracias – das ist wahrscheinlich das erste spanische Wort, das sie lernen. Denn wenn man sich an einem Ort sicher fühlt, ist das Erste, was man sagen möchte: Danke.“ 
 
Die WHO hat dazu aufgerufen, mehrere medizinische Evakuierungskorridore einzurichten, um eine kontinuierliche, organisierte, sichere und rechtzeitige Überführung von Patienten über alle möglichen Routen, einschließlich Rafah und Kerem Shalom, zu ermöglichen.   
  
Israel hat sich verpflichtet, die dringende medizinische Evakuierung kranker und verletzter Frauen und Kinder aus Gaza in Aufnahmeländer in Europa über den Grenzübergang Kerem Shalom und den Flughafen Eilat (Ramon-Flughafen) zu ermöglichen.
  
Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, bemüht sich durch intensive persönliche Kontakte mit den Ländern der Europäischen Region der WHO, die Evakuierungen zu beschleunigen und um mehr Krankenhausplätze für die Aufnahme von Patienten zu bitten. 
   
Die WHO fordert erneut ein Ende des Krieges, da Frieden letztendlich der beste Weg zur Gesundheit ist.

 

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