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Neues Handbuch der WHO: ein paar einfache Fragen können Millionen Menschenleben retten

13 December 2022
News release
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Viele Menschen, die eine Einrichtung der primären Gesundheitsversorgung aufsuchen, machen sich Sorgen um ihre Gesundheit, ohne zu wissen, was zu ihrem Risiko in Bezug auf Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere nichtübertragbare Krankheiten beiträgt, die für 90% aller Todesfälle in der Europäischen Region der WHO verantwortlich sind. 

Genau hier setzt ein neues Handbuch der WHO mit dem Titel „Integrierte Kurzinterventionen zu Risikofaktoren für nichtübertragbare Krankheiten im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung“ an, das von zwei Fachzentren der WHO im Rahmen des laufenden Projektes BRIEF präsentiert wurde.

Patienten sind nicht über Risiken für Krebs- und Herzerkrankungen informiert

Aus manchen Studien geht hervor, dass 95% der Patienten bei Terminen in Kliniken oder anderen Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung keinerlei Beratung in Bezug auf Risiken für nichtübertragbare Krankheiten erhalten.

Um dies zu ändern, wird in dem BRIEF-Handbuch vorgeschlagen, die Gesundheitssysteme dahingehend neu auszurichten, dass Gespräche über gesündere Entscheidungen und mehr Wohlbefinden zum festen Bestandteil der täglichen Arbeit von Kliniken und anderen Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung werden – ohne wesentliche Mehrbelastung für die dort Beschäftigten.

Das BRIEF-Handbuch wurde vom Europäischen Büro der WHO für die Prävention und Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten erstellt und zusammen mit dem Europäischen Zentrum der WHO für primäre Gesundheitsversorgung im November 2022 präsentiert.

Kurzinterventionen sind nachweislich wirksam

„Durch Einführung von durch die WHO empfohlenen Kurzinterventionen können wir die Prävalenz nichtübertragbarer Krankheiten erheblich senken. Doch die Gesundheitsberufe können dieses Instrument nicht isoliert nutzen. Wenn wir das System schaffen können, das es ihnen erleichtert und ganz natürlich nahelegt, mit ihren Patienten über Risiken für nichtübertragbare Krankheiten zu sprechen, kann das einen entscheidenden Unterschied ausmachen“, erklärte Prof. Shlomo Vinker, Präsident des Europäischen Verbands der World Organization of Family Doctors (WONCA Europe).

Eine vor Kurzem durchgeführte Studie ergab, dass in der primären Gesundheitsversorgung gegebene Empfehlungen für eine gesündere Ernährung eine Erhöhung des Verzehrs von Obst, Gemüse und Ballaststoffen sowie einen Rückgang des Fettkonsums zur Folge hatten. Auch Kurzinterventionen in Bezug auf andere Risikofaktoren für nichtübertragbare Krankheiten können sich positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden der Patienten auswirken.

Fragen, die Leben retten

Eines der geplanten Instrumente des Projektes BRIEF ist ein Fragebogen, mit dessen Hilfe Gesundheitsfachkräfte die Risiken von Patienten in Bezug auf nichtübertragbare Krankheiten bestimmen können und der gemeinsame Entscheidungen über einen Plan zur Verringerung der Exposition gegenüber Risikofaktoren ermöglicht. Er beinhaltet folgende Fragen:
  • Wie lange nach dem Aufwachen rauchen Sie Ihre erste Zigarette?
  • Wie oft pro Woche konsumieren Sie gesüßte Lebensmittel/Getränke?
  • Wie oft trinken Sie ein alkoholisches Getränk?
  • Wie viel Zeit verbringen Sie durchschnittlich am Tag im Sitzen oder zurückgelehnt?
Diese einfachen Fragen retteten das Leben von Shayakhmet Kussainov, einem 73-jährigen Autor aus Kasachstan. 2019 ging er zum Hausarzt, weil er sich Sorgen über seinen hohen Blutdruck machte. 

„Der Arzt stellte mir eine Reihe von Fragen über meinen Lebensstil und meine Gewohnheiten. Damals war ich ein typischer Schreiber – ich rauchte viel, trank oft Alkohol und hatte keine Bewegung. Der Arzt schickte mich zu Tests, die bestätigten, dass ich an Prädiabetes und Fetthepatose litt. So landete ich in dem Krankheitsmanagement-Programm unter der Führung von Dr. Venera Duisebayeva, einer Hausärztin, die das Pflegeteam koordiniert“, erzählt Shayakhmet. 

Allmähliche Änderung von Gewohnheiten

Im Rahmen des Programms berät das Personal von Kliniken in Kasachstan Patienten im Hinblick auf die Bewältigung ihrer Erkrankung. Die Beratung veränderte Shayakhmets Leben.

„Zuerst musste ich sicherstellen, dass ich den vereinbarten Plan einhielt. Dann begann ich nach und nach damit, meine Gewohnheiten zu ändern: Ich hörte mit dem Rauchen und Trinken auf und aß kein Weißbrot mehr; und ich fing damit an, mindestens 10 000 Schritte pro Tag zu gehen. Sie haben sogar meiner Frau beigebracht, wie man mit viel Gemüse gesund kocht.“ 

Mit der Zeit nahm auch Shayakhmets Frau gesündere Essgewohnheiten an. 

2022, nachdem er die erforderlichen Kontrolltests durchlaufen und von allen Patienten in seiner Kohorte die besten Resultate erreicht hatte, wurde Shayakhmet von dem Pflegeteam, das am  Kompetenzzentrum Enbekshikazakh für primäre Gesundheitsversorgung über seine Fortschritte wachte, zum Patienten des Jahres ernannt. 

„Mein Blutzucker ist normal, ich habe keine Probleme mit dem Blutdruck, und meine Leber ist auch in guter Verfassung“, erzählt er stolz.

Zeit für ein Gespräch über gesündere Gewohnheiten

Das neue BRIEF-Handbuch der WHO präsentiert wirksame Wege zur Unterstützung der Arbeit von Hausärzten, Pflegekräften und anderen Leistungserbringern in der primären Gesundheitsversorgung und ermöglicht so einen patientenorientierten Ansatz für die Einführung und Ausweitung von Kurzinterventionen in der Alltagspraxis. 

„Die wichtigsten Hindernisse, vor denen das Gesundheitspersonal jetzt steht, sind die erhöhte Arbeitsbelastung und die dadurch fehlende Zeit für vorausschauende Beratung sowie das Fehlen einer stützenden Umgebung, die es ihnen ermöglicht, solche Gespräche mit den Patienten zu führen“, erklärt Dr. Thomas Frese, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. 

Er fügt hinzu: „Aber wenn die Idee effektiver Kurzinterventionen von Politik, Gesundheitsbehörden und Gesellschaft unterstützt wird, können wir ein besseres System schaffen, das die Gesundheit der Bevölkerung in allen Teilen unserer Region verbessert.“ 

Das BRIEF-Handbuch bietet jedem Gesundheitssystem die Möglichkeit, zu einer wichtigen Quelle von Gesundheitsmessungen und Gesundheitsberatung zu werden, die eine Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden in allen Ländern der Europäischen Region der WHO im Einklang mit dem Europäischen Arbeitsprogramm 2020–2025 bewirkt.