Nach Angaben des Amts des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) hat der Krieg in der Ukraine bisher über 4000 Todesopfer gefordert. Doch wie das OHCHR einräumt, dürfte die tatsächliche Zahl weit höher liegen, da es schwierig ist, zuverlässige Information aus Gebieten zu erhalten, in denen es zu intensiven Kampfhandlungen kommt, und da andere Berichte noch auf Bestätigung warten.
Deshalb kommt es entscheidend darauf an, dass die Krankenhäuser auf einen plötzlichen Anstieg der Opferzahlen im Zuge dieser Krise vorbereitet sind. Dies setzt vor allem eine umfassende Schulung von Gesundheitsfachkräften in diesen Einrichtungen voraus, nicht nur in der Theorie, sondern vor allem in der Praxis der Organisation und Mobilisierung von Ressourcen für eine effektive Bewältigung solcher Krisen.
Schulung in der Republik Moldau
Vor Kurzem hat die WHO auf Wunsch des moldauischen Gesundheitsministeriums eine dreitägige Schulung für die Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten (sog. „MANV-Ereignisse“) organisiert, die in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium und dem Karolinska-Institut in Schweden entwickelt wurde. An der Schulung haben bisher 32 Chirurgen, Traumatologen und Leiter von Einrichtungen aus 13 Krankenhäusern teilgenommen.
In der Republik Moldau, einem Nachbarland der Ukraine, haben schon 400 000 Flüchtlinge Zuflucht gefunden. Die Vorbereitung des örtlichen Gesundheitspersonals auf einen plötzlichen Anstieg der Zahl der Kriegsopfer spielt daher eine zentrale Rolle.
Wie Ion Chesov, Leiter der Abteilung Integrierte Versorgung beim Gesundheitsministerium, betonte, geht der Nutzen dieser Schulung weit über die aktuelle Notlage hinaus: „Wir müssen dafür sorgen, dass das Gesundheitssystem als Ganzes und die einzelnen Einrichtungen für sich auf jegliche Notlage oder unerwartete Katastrophe vorbereitet sind. Kenntnisse in der grundlegenden und fortgeschrittenen Traumaversorgung sind von zentraler Bedeutung und bilden die Grundlage für die medizinischen Fähigkeiten von Ärzten.“
Schulungen in der Ukraine
In diesem Monat hat die WHO auch mit der Einführung der Schulung in der Ukraine begonnen. Die ersten Teilnehmer waren Mitarbeiter eines Krankenwagendepots in der Region Lemberg. Mit solchen Schulungen wird das ärztliche Hilfspersonal zur Erstversorgung von Verletzten, also schon vor Eintreffen im Krankenhaus, befähigt. Die WHO hat für die Schulungen ukrainische Notärzte engagiert und plant die Durchführung weiterer Schulungen im Land.
Johan von Schreeb, Koordinator im Medizinischen Notfallteam der WHO in der Ukraine, erklärte: „Leider wird diese Art von Schulung in diesem Land zurzeit dringend benötigt. Wir erleben zahlreiche Situationen mit einem Massenanfall von Verletzten, bei denen viele Menschen gleichzeitig Verletzungen erlitten haben. Für das Gesundheitssystem ist das eine große Herausforderung, insbesondere für die Mitarbeiter, die bei der Prioritätensetzung für die Evakuierung der Verletzten schnelle, oft lebenswichtige Entscheidungen treffen müssen. Die Triage der Patienten ist ein sehr nützliches Verfahren, und wir müssen das verstärkt praktizieren. Das geht natürlich nicht nur mit Vorträgen. Man muss der Stressbelastung, dem Entscheidungsdruck, den Sachzwängen und dem Chaos ausgesetzt sein, und wir bemühen uns, das in unserer Schulung so gut wie möglich zu simulieren.“
Der Kurs
Die Schulung für die Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten wurde in Zusammenarbeit mit dem Medizinischen Notfallteam der WHO, dem Karolinska-Institut (einem Kooperationszentrum der WHO) sowie der WHO-Akademie entwickelt. Den Entwicklern des Kurses war bewusst, dass ein Massenanfall von Verletzten nach Katastrophen oder schwerwiegenden Ereignissen, der durch eine hohe Zahl schwerer und sehr unterschiedlicher Verletzungen gekennzeichnet ist, schnell die Fähigkeit von Gesundheitseinrichtungen zur Bereitstellung einer angemessenen Gesundheitsversorgung übersteigen kann.
Die Schulung befasst sich mit der Organisation und der Tätigkeit des Personals in Notaufnahmen mit Schwerpunkt auf den ersten 30 Minuten nach Bekanntwerden eines MANV-Ereignisses. Die Schulung verfolgt einen praxisorientierten Ansatz, bei dem die Stabilisierung von Patienten und die Triage im Mittelpunkt stehen. Weitere Schwerpunkte sind Arbeiten im Team, der Erwerb neuer Fähigkeiten und Änderungen an der Arbeitsweise. Darüber hinaus erhält auch das Notfallpersonal in den Krankenhäusern spezielle Schulungen für die Bewältigung hoher Opferzahlen.