Guten Tag alle zusammen! Vielen Dank, dass Sie sich heute zugeschaltet haben.
Kontrolle, Eliminierung, Ausrottung. Diese drei Maßnahmen bilden die Basis meiner Ausführungen am heutigen Tag mit Bezug zu drei unterschiedlichen gesundheitlichen Notlagen von internationaler Tragweite, von denen jede ihre eigene ganz konkrete
Reaktionsstrategie und ihre eigenen Ziele erfordert.
Widmen wir uns zunächst der Kontrolle insbesondere im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie.
In wenigen Wochen wird die Europäische Region Prognosen zufolge eine Zahl von 250 Millionen bestätigten COVID-19-Fällen seit Beginn der Pandemie vor 2,5 Jahren erreichen. Wir haben bei der Bekämpfung der Pandemie große Fortschritte
erzielt. Doch das Virus zirkuliert weiterhin, führt nach wie vor zu Krankenhauseinweisungen und verursacht weiterhin zu viele vermeidbare Todesfälle – allein in der vergangenen Woche waren es rund 3000, was etwa einem Drittel der weltweit
gemeldeten Gesamtzahl entspricht. Ferner entwickelt sich das Virus permanent weiter, um sich unseren Gegenmaßnahmen zu entziehen. Angesichts der bevorstehenden Herbst- und Wintermonate gehen wir davon aus, dass die Zahl der Fälle wieder
stark ansteigen wird – unabhängig davon, ob es zu einem Wiederaufflammen der saisonalen Influenza in der Europäischen Region kommen wird.
Unsere kürzlich veröffentlichte COVID-19-Strategie für den Herbst und Winter ist sehr umfassend und beschreibt genau, welche Maßnahmen die Länder ergreifen müssen, um sowohl SARS-CoV-2 als auch andere respiratorische Viren
zu kontrollieren.
Die Strategie beschreibt, wie wir am besten Maßnahmen, von denen wir wissen, dass sie Wirkung zeigen, mit der besseren Nutzung neuer Instrumente und Taktiken kombinieren können, um die Auswirkungen dieser Krankheiten einzudämmen. Mit einem
verstärkten Fokus auf gemeindenaher Surveillance, Fallerkennung und Versorgung hebt die Strategie die Notwendigkeit einer frühzeitigen Entdeckung und des Zugangs zu oral einzunehmenden antiviralen Medikamenten im Rahmen der primären
Gesundheitsversorgung für besonders gefährdete Patienten hervor. Dies bedeutet, dass wir uns nach wie vor darum bemühen müssen, die Übertragung zu stabilisieren, ohne Pauschalmaßnahmen ergreifen zu müssen. Darüber
hinaus befasst sich die Strategie mit anhaltenden Problemen wie der psychischen Gesundheit von und Burnout bei Gesundheitsanbietern – und zwar unter einem einzigen Reaktionsrahmen.
Die Strategie rückt ferner jene Maßnahmen in den Mittelpunkt, von denen wir wissen, dass sie bereits zahllose Menschenleben gerettet haben, und die noch mehr retten können.
Die Bereitstellung der Impfstoffe wird in den meisten Ländern fortgesetzt, auch in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Doch noch immer sind Millionen von Menschen in großen Teilen unserer Region bisher nicht geimpft. Wir müssen
bessere Wege finden, um sie zu erreichen. Dabei muss einer zweiten Auffrischungsimpfung für die am stärksten gefährdeten Menschen, wie ältere Erwachsene, Menschen mit geschwächtem Immunsystem und Menschen mit Vorerkrankungen,
Priorität eingeräumt werden.
Zudem fordern wir die Länder eindringlich dazu auf, nach Möglichkeit zusammen mit den COVID-19-Impfstoffen auch Grippeimpfstoffe zu verabreichen.
Doch die Menschen sollten auch nach wie vor die Situation, in der wir uns befinden, begreifen und gesunden Menschenverstand gebrauchen, um sich selbst zu schützen – etwa in belebten Innenräumen und im öffentlichen Nahverkehr eine
Maske zu tragen, Räume regelmäßig gut zu lüften und sich regelmäßig die Hände zu waschen. Hierbei handelt es sich nicht um neue Botschaften, doch sie sind nach wie vor entscheidend für die persönliche
Sicherheit. Angesichts der aufgehobenen Beschränkungen liegt es an uns, diese einfachen, aber wirkungsvollen Maßnahmen zu ergreifen.
Die zweite Maßnahme, die ich am heutigen Tag hervorheben möchte, ist unser Bemühen um Eliminierung – und zwar vor dem Hintergrund des Ausbruchs der Affenpocken, in dessen Zusammenhang in der Europäischen Region bisher über
22 000 bestätigte Fälle in insgesamt 43 Ländern und Gebieten gemeldet wurden, was mehr als einem Drittel aller weltweit gemeldeten Fallzahlen entspricht.
Es gibt ermutigende erste Anzeichen aus Deutschland, Frankreich, Portugal, Spanien, dem Vereinigten Königreich und anderen Ländern, dass der Ausbruch sich verlangsamt. Um in unserer Region auf eine Eliminierung hinzuarbeiten, müssen wir
dringend unsere Anstrengungen verstärken.
Doch wir glauben, dass wir die anhaltende Übertragung der Affenpocken von Mensch zu Mensch in der Region eliminieren können, wenn wir uns dazu verpflichten und die erforderlichen Ressourcen einsetzen.
Aus diesem Grund haben wir in dieser Woche zwei umfassende Grundsatzpapiere veröffentlicht – eines, in dem die politischen Ziele sowie die erforderlichen Schritte für die Eindämmung und letztendliche Eliminierung der Affenpocken beschrieben
werden, und eines, das sich konkret mit der Anwendung von Impfstoffen gegen die Affenpocken befasst.
Diese Grundsatzpapiere liefern einen klaren Plan für Regierungen und Politiker, um auf wirkungsvolle Weise auf den Ausbruch zu reagieren. Zudem enthalten sie eine eindeutige Botschaft bezüglich unseres letztendlichen Ziels: zunächst die
Eindämmung und schließlich die Verwirklichung – und Aufrechterhaltung – der Eliminierung von Affenpocken-Infektionen in der Europäischen Region.
Sämtliche Länder – unabhängig davon, ob sie derzeit Fälle verzeichnen oder nicht – müssen zur Erreichung dieses Ziels eine Reihe von kombinierten Interventionen umsetzen.
Wir sagen dies nicht oft genug, doch eine Infektion mit den Affenpocken kann qualvolle Schmerzen verursachen und kann auch zu Entzündungen im Mund oder im Genital- und Analbereich führen. Darüber hinaus kann die Krankheit zu lebensbedrohlichen
Komplikationen führen, und in seltenen Fällen kann es zu Narbenbildung kommen. Die von vielen Patienten erlittene Qual ist nicht zu unterschätzen – es kann wirklich eine schreckliche Erfahrung sein. Wir möchten hervorheben,
dass die Unterstützung sowohl der physischen als auch der psychischen Gesundheit von Patienten während des gesamten Krankheitsverlaufs und danach von entscheidender Bedeutung bleibt.
Am wichtigsten ist jedoch, dass wir bei unserer Reaktion auf die Affenpocken sehr zielgerichtet vorgehen müssen. Der aktuelle Ausbruch begann unter Männern mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten, in vielen Fällen infolge von Sex mit
anonymen bzw. mehreren Sexualpartnern. Und nach wie vor konzentriert sich der Ausbruch auf diese Bevölkerungsgruppe. Hier müssen wir auch vorrangig mit unseren Präventions- und Reaktionsbemühungen ansetzen – unter aktiver
Zusammenarbeit und Beteiligung der Gemeinschaft selbst und unter Förderung eines Umfeldes, das frei von Stigmatisierung und Diskriminierung dieser seit langer Zeit marginalisierten Bevölkerungsgruppe ist. Hier bei WHO/Europa arbeiten wir
aktiv mit LGBTQI+-Aktivisten und -Organisationen zusammen, u. a. den Veranstaltern von Pride-Veranstaltungen – und stellen sicher, dass sie die bestmöglichen Informationen und Empfehlungen erhalten, um diese in der Gemeinschaft weiter zu
verbreiten, etwa bei Massenveranstaltungen, die möglicherweise als Kulisse für sexuelle Aktivitäten genutzt werden.
Ähnliche gemeindenahe Initiativen und Bemühungen um Partnerschaften von Regierungen, etwa in Portugal, haben zu einem hohen Bewusstsein für die Affenpocken geführt und Menschen dazu veranlasst, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen
und ihre Verhaltensweisen zu ändern, was zu besseren gesundheitlichen Resultaten geführt und dazu beigetragen hat, den Ausbruch einzudämmen.
Die dritte Maßnahme, auf die ich heute eingehen möchte, ist die Ausrottung, und zwar in Zusammenhang mit Polio, einer Krankheit, die zahlreiche Kinder in unserer Region in der Vergangenheit zu Behinderten gemacht hat. Während wir dem 20-jährigen
Jubiläum des poliofreien Status der Europäischen Region entgegensehen, werden wir daran erinnert, dass die bedeutsamen Fortschritte, die im Hinblick auf die weltweite Ausrottung erzielt wurden, sehr fragil sind.
In den vergangenen Jahren wurden vakzine-abgeleitete Polioviren in Israel, Tadschikistan, der Ukraine und dem Vereinigten Königreich entdeckt. Infolge unserer weltweiten starken Vernetzung ist das kürzlich in New York in den USA entdeckte Poliovirus
genetisch mit den in Israel und dem Vereinigten Königreich entdeckten Viren verwandt. Trotz der allgemein hohen Durchimpfungsraten hat das Poliovirus einen Weg gefunden, sich unter anfälligen Menschen in nicht ausreichend geimpften Gemeinschaften
auszubreiten.
Dies ist für uns alle ein Weckruf. Es liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, Polio weltweit auszurotten. Jeder, der nicht geimpft ist oder dessen Kinder ihre geplanten Impfungen verpasst haben, sollte sich so schnell wie möglich um eine
Impfung bemühen. Polio-Impfstoffe sind nachweislich höchst wirksam und äußerst sicher.
Polio, Affenpocken, COVID-19 – all diese Krankheiten haben wiederholt gezeigt, dass die Bedrohung durch eine Krankheit irgendwo auf der Welt sich rasch zu einer Bedrohung überall auf der Welt entwickeln kann. Wir wären in der Tat dumm,
wenn wir diese Lektion ignorieren würden, insbesondere in der heutigen Welt.
Und damit danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf Ihre Fragen.