WHO / James Hammond
Bei einem HIV-Schnelltest in Dänemark wird aus einem Finger des Patienten Blut entnommen.
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Bericht von WHO/Europa und ECDC verdeutlicht zunehmende Zahl undiagnostizierter HIV-Fälle in der Europäischen Region

30 November 2022
Media release
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Neue Daten belegen, dass aufgrund von Diagnoselücken für HIV in den Ländern der Europäischen Region Hunderttausende nicht rechtzeitig die benötigte Versorgung erhalten.

Aus einem neuen Bericht, der am Welt-Aids-Tag vom WHO-Regionalbüro für Europa und dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) veröffentlicht wird, geht hervor, dass sich seit mindestens 2018 und bis 2021 mehr Menschen in der Europäischen Region mit HIV infiziert haben als diagnostiziert wurden.

Dagegen verzeichneten die Länder der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) im vergangenen Jahrzehnt etwas mehr Diagnosen als HIV-Infektionen, was darauf hindeutet, dass die Zahl der mit undiagnostizierter HIV-Infektion lebenden Personen in vielen dieser Länder wohl rückläufig ist. Trotzdem bleibt in den Ländern der EU und des EWR immer noch geschätzt jeder achte HIV-Fall undiagnostiziert.

„Wir alle haben Grund zur Sorge angesichts der Daten über Tests, Behandlung und Versorgung im Bereich HIV in Europa und Zentralasien. Die anhaltende und weit verbreitete Stigmatisierung von HIV hält Menschen von Tests ab, und das bringt uns bedenklich vom Kurs zu unserem Ziel, bis 2030 Aids zu beenden, ab.

Wenn wir unser Versprechen halten wollen, müssen wir einen chancengleichen Zugang zu Angeboten im Bereich HIV gewährleisten. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass niemand Angst davor hat, sich testen zu lassen, oder wegen seines Status Scham, Verzweiflung oder Isolation empfindet. Alle Menschen sollten überall die Leistungen und die respektvolle Versorgung erhalten, die sie benötigen“, erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.

Dr. Andrea Ammon, Direktorin des ECDC, betonte: „Wenn es keine regelmäßigen HIV-Testangebote für die Hauptrisikogruppen gibt, kann zwischen einer HIV-Infektion und ihrer Diagnose viel Zeit vergehen. Das ist nicht gut für die Betroffenen, da sie dann ein höheres Risiko haben, im Fall einer späten Diagnose schwer zu erkranken oder gar zu sterben. Ebenso ist es nicht gut aus Sicht der öffentlichen Gesundheit, da unbehandelte seropositive Personen unwissentlich das HIV auf ihre Sexualpartner übertragen können.“

„Aus diesen Gründen wollen wir die Zahl der Menschen, die mit einer undiagnostizierten HIV-Infektion leben, durch frühzeitige Tests und eine schnelle Überweisung zur HIV-Behandlung senken. Leider geht der Trend in die andere Richtung: mit einer großen Anzahl undiagnostizierter HIV-Fälle.“

Ein Viertel weniger HIV-Diagnosen im Jahr 2021 gegenüber dem Niveau vor der Pandemie

2021 wurden in 46 der 53 Länder der Europäischen Region fast 300 HIV-Neudiagnosen pro Tag registriert, davon 45 in den Ländern der EU und des EWR. Dies summiert sich zu 106 508 HIV-Neudiagnosen in der Europäischen Region, davon 16 624 in den Ländern der EU und des EWR.

Doch 2020, im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie, gab es einen drastischen Rückgang der gemeldeten Fallzahlen, und 2021 lag die Zahl der gemeldeten HIV-Neudiagnosen in der Europäischen Region der WHO fast 25% unter dem Niveau vor der Pandemie.

Etwas über die Hälfte der Neudiagnosen im Jahr 2021 hatten zum Zeitpunkt der Diagnose eine CD4-Zellzahl von unter 350 pro Kubikmillimeter (mm3), was darauf hindeutet, dass sie wohl schon seit acht bis zehn Jahren mit einer undiagnostizierten HIV-Infektion lebten. Von diesen Fällen hatte etwas mehr als ein Drittel schon eine fortgeschrittene HIV-Infektion mit einer CD4-Zellzahl unter 200/mm3.

Auswirkungen von COVID-19 auf das Testgeschehen

Angesichts der negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Testangebote in der Europäischen Region ist eine zügige Ausweitung der HIV-Tests dringend geboten. Während der Pandemie waren die Ressourcen im klinischen Bereich und in der Surveillance überlastet, sodass viele Länder Mühe hatten, HIV-Tests durchzuführen und Neuinfektionen zu melden.

Laut dem Bericht werden neue Strategien benötigt, um eine frühzeitige Diagnose zu ermöglichen und mehr Menschen auf ihre HIV-Infektion aufmerksam zu machen, indem verstärkt diversifizierte und nutzerfreundliche Ansätze für HIV-Tests angeboten werden. Aufgrund der Lücken bei Diagnose und Meldung sind verspätete HIV-Diagnosen weiterhin eine erhebliche Herausforderung für die Europäische Region.

Intravenöser Drogenkonsum und Geschlechtsverkehr zwischen Männern als Haupttreiber der HIV-Übertragung

In den letzten vier Jahrzehnten wurden mehr als 2,3 Mio. Menschen in der Europäischen Region der WHO mit HIV diagnostiziert und gemeldet, davon fast 590 000 in den Ländern der EU und des EWR.

In den Ländern der EU und des EWR und generell im westlichen Teil der Region hat die heterosexuelle Übertragung in den vergangenen Jahren erheblich abgenommen, vor allem unter Frauen; Gleiches gilt für die Zahl der Fälle infolge von Geschlechtsverkehr zwischen Männern in bestimmten Ländern der EU und des EWR und im westlichen Teil der Region. Obwohl die Übertragung durch injizierenden Drogenkonsum seit 2012 stetig rückläufig ist, ist sie doch im Osten nach wie vor hoch.

Das WHO-Regionalbüro für Europa und das ECDC werden zusammen mit den Mitgliedstaaten und den Partnerorganisationen weiterhin die langfristigen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und des danach ausgebrochenen Krieges in der Ukraine auf die HIV-Surveillance und auf die Kontinuität der Versorgung im Bereich HIV im Auge behalten. Dies wird zu einem besseren Verständnis beitragen, wie die Pandemie sich auf die HIV-Inzidenz und -Mortalität ausgewirkt haben könnte, insbesondere in den am stärksten gefährdeten Teilregionen und Gruppen, und der Aufrechterhaltung der hohen Qualität der Daten über HIV und Aids in der Europäischen Region dienen.