„Mein Vater was das Sinnbild eines Gentlemans. Er war so sanftmütig und liebevoll, liebenswürdig und mitfühlend.“
Der Vater von Safiah Ngah, Dr. Zahari Ngah, war ein klinischer Psychologe und Psychotherapeut, der in den 1970er Jahren von Malaysia ins Vereinigte Königreich zog, um im National Health Service zu arbeiten.
„In seiner Freizeit behandelte er aus reinem Mitgefühl Flüchtlinge und Asylbewerber, denn er wollte den Menschen helfen. Er war einfach ein unglaublich guter Mensch. Und wir vermissen ihn sehr.“
Safiah war über Weihnachten 2020 zurück nach Hause gezogen, kurz bevor im Vereinigten Königreich ein weiterer Lockdown angekündigt wurde. Sie und ihr Bruder infizierten sich beim Einkaufen für ihre Eltern mit COVID-19. Obwohl sie versuchten, sich zu isolieren, hatte auch Safiahs Vater bald darauf einen positiven Test.
„Er schien in Ordnung zu sein. Er arbeitete vom Bett aus, isolierte sich von meiner Mutter. Ein paar Tage später kam ich runter in sein Zimmer, um nach ihm zu sehen, und er erzählte mir, dass er in der Nacht einen Moment lang keine Luft bekommen habe. Später an diesem Tag begann er Blut zu husten.“
Dr. Ngahs Frau brachte ihn ins University College Hospital zur Untersuchung und er wurde sofort auf die COVID-19-Station des Krankenhauses aufgenommen.
„Er war nie wirklich krank gewesen, deshalb kann ich mir nur vorstellen, wie furchterregend diese Erfahrung für ihn gewesen sein muss, umgeben von Menschen in Schutzanzügen und Masken und in dem Wissen, wie gefährlich dieses Virus ist.“
Bedauerlicherweise verschlechterte sich sein Zustand und eine Intubation (bei der einem sedierten Patienten zur künstlichen Beatmung ein Schlauch in die Luftröhre eingeführt wird) war letztendlich unumgänglich.
„Wir verabschiedeten uns über Video von ihm. Es war unvorstellbar schrecklich für ihn, dies durchleben zu müssen und dann ganz allein in Schlaf versetzt zu werden. Wir hatten nur einen weiteren Videoanruf mit ihm, als er schlief.“
Dr. Ngah war fünf Tage lang intubiert, doch es wurde klar, dass nichts weiter getan werden konnte, um ihm zu helfen.
„Unser Arzt war sehr jung und er weinte als er uns sagte, dass es keine Alternativen mehr gäbe. Wir mussten in einer Schlange auf den Raum warten, in dem er uns die Nachricht überbrachte, denn an diesem Tag waren so viele Familien da, die alle aus dem gleichen Grund gekommen waren.“
Die Familie traf die herzzerbrechende Entscheidung, die Beatmung einzustellen, und hielt Dr. Ngahs Hände als er starb.
„In meinem Kopf besteht eine richtige Diskrepanz zwischen dem Moment und meinem Leben jetzt. Ich kann es nicht in Worte fassen, wie sehr der Tod meines Vaters sich auf mein Leben und das Leben meiner Familie ausgewirkt hat. Es fühlt sich an, als sei das Fundament unseres Lebens auseinandergerissen worden.“
Während sie ihre eigene Trauer verarbeitet, hat Safiah in der Solidarität mit anderen Familien, die Angehörige durch COVID-19 verloren haben, eine Stütze gefunden.
„Wenn wir darüber sprechen, jemanden an COVID-19 verloren zu haben, dann berührt dieses eine Leben so viele Menschen. Zwei Millionen Menschen sind in Europa an COVID-19 gestorben. Das ist so schrecklich. Wirklich entsetzlich. Und wenn man hinter die Zahl schaut, sieht man die Geschichten und die Familien, die zurückgelassen wurden. All die Trauer.“
Safiah ist nicht davon überzeugt, dass die Pandemie so schnell überwunden sein wird. Sie spricht sich für mehr Rücksicht gegenüber denjenigen aus, die durch das Virus einem großen Risiko ausgesetzt sind.
„Wenn mein Vater nicht gestorben wäre, dann wäre es für mich sehr einfach zu denken, dass COVID-19 keine ernsthafte Krankheit ist. Ich war nicht so schwer betroffen wie mein Vater. Deshalb kann ich nachvollziehen, warum Menschen so denken. Während wir dem Sommer entgegenblicken, dürfen wir andere Menschen nicht außer Acht lassen. Ich treffe weiterhin so viele Vorsichtsmaßnahmen wie ich kann. Ich trage noch immer meine Maske, wenn ich in ein Geschäft gehe oder den Bus nehme. Wenn es COVID-19 nicht mehr gibt und die Menschen sich nicht mehr anstecken oder nicht länger daran sterben, dann werde ich sicher kein Bedürfnis mehr verspüren, eine Maske zu tragen. Aber das ist derzeit nicht der Fall.“
Während wir in der Europäischen Region der WHO den düsteren Meilenstein von 2 Millionen Todesfällen aufgrund von COVID-19 erreichen, sträubt sich Safiah gegen ein Zurück-zur-Normalität.
„Ob man in den letzten paar Jahren Familienangehörige, Großeltern oder einfach das eigene Sozialleben verloren hat – wir alle trauern. Wir täten gut daran, mit einem Sinn für Reflexion über das Verlorene vorwärtszugehen, anstatt uns ohne jeglichen Sinn für das Erlebte in die Zukunft aufzumachen.“