Trauernde Familienmitglieder reflektieren über 2 Millionen Todesfälle infolge von COVID-19: Interviews mit Menschen, die während der Pandemie ihren Vater verloren haben

11 May 2022
News release
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„Ich kann es nicht in Worte fassen, wie sehr der Verlust meines Vaters sich auf mein Leben und das Leben meiner Familie ausgewirkt hat. Es fühlt sich an, als sei das Fundament unseres Lebens auseinandergerissen worden“, sagt Safiah Ngah, während wir vor der Nationalen Gedenkwand für Opfer von COVID-19 in London stehen.

Ähnliche Gefühle spiegeln sich auch in den tausenden aufgemalten Herzen und Botschaften wider, die an der 500 Meter langen Mauer entlang der Themse prangen. Jedes Herz markiert einen Todesfall und eine trauernde Familie, die den schweren – und oft plötzlichen – Verlust eines Familienangehörigen aufgrund der Krankheit verarbeitet.

„Wenn wir darüber sprechen, jemanden an COVID-19 verloren zu haben, dann berührt dieses eine Leben so viele Menschen. Im Vereinigten Königreich sind mittlerweile fast 180 000 Menschen an COVID-19 gestorben. Das bedeutet hunderttausende trauernde Familienmitglieder“, erzählt uns Safiah. 

In dieser Woche meldete WHO/Europa das Erreichen des traurigen Meilensteins von 2 Millionen Todesfällen aufgrund von COVID-19 in der Europäischen Region.

Die Zahl der Menschen, die an der Krankheit gestorben sind, ist überwältigend, wie Lobby Akinnola, der seinen Vater 2020 an COVID-19 verlor, betont: „Wenn man die Zahl ,2 Millionen‘ hört, sollte das jeden von uns erschrecken. Eine Million Menschen pro Jahr, das ist verrückt. Es zeigt, wie tödlich diese Krankheit ist und wie unvorbereitet wir waren. Dies sollte uns wirklich zum Nachdenken anregen und wir sollten überlegen, wie wir sicherstellen können, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“ 

Doch dieser schockierende Meilenstein von 2 Millionen Todesfällen ruft uns auch in Erinnerung, dass das Virus noch immer mitten unter uns ist, wie Elena Ciesco, die ihren Vater Luigi (79) verloren hat, gerne betont: „Die Menschen haben genug davon, ständig über COVID-19 zu hören, und sie wollen, dass ihr Leben zur Normalität zurückkehrt. Aber von Normalität kann keine Rede sein. Die Pandemie ist nicht vorbei, denn noch immer sterben Menschen. Es mag in den Medien nicht mehr das Hauptthema sein, aber die täglichen Sterberaten aufgrund der Krankheit sind nach wie vor viel zu hoch.“ 

Wie Lobby erklärt, müssen wir weiterhin Maßnahmen ergreifen, um COVID-19 zu bekämpfen: „Es ist immer noch wichtig, sich an bestimmte Dinge zu halten, wie Maskentragen in geschlossenen Räumen. Natürlich ist das unpraktisch, aber es könnte dein Leben retten, oder das Leben eines deiner Familienmitglieder. Es ist besser, nicht auf schmerzhafte Weise zu lernen. Selbst wenn man sich selbst keinen Schaden zufügt, muss man doch an die Folgen für andere denken.“ 

Auch Jean Adamson ist sich des Wertes von Schutzmaßnahmen bewusst, nachdem ihr 98‑jähriger Vater sich im Pflegeheim mit COVID-19 infizierte und weniger als 24 Stunden nach Einlieferung ins Krankenhaus verstarb: „Der Tod meines Vaters aufgrund von COVID‑19 hat mir das Risiko einer Infektion schmerzlich bewusst gemacht. Nachdem ich meinen Vater auf diese Weise verloren hatte, war es für mich eine sehr persönliche Sache, deshalb bin ich seither sehr vorsichtig gewesen, insbesondere im Hinblick auf meine Enkel.“  

Zudem ist Jean eine große Befürworterin der COVID-19-Impfstoffe: „Ich habe einen Hintergrund im Pflegewesen, daher gab es für mich keinen Zweifel, dass ich mich impfen lassen würde. Aber auch der Tod meines Vater bedeutete, dass ich nicht abwarten konnte, mich impfen zu lassen, daher habe ich meine Impfung schon früh nach der Einführung bekommen.“  

Auch Safiah setzt sich für die Notwendigkeit des Erhalts der Schutzmaßnahmen ein: „Wenn es COVID-19 nicht mehr gibt und die Menschen sich nicht mehr anstecken oder nicht länger daran sterben, und wenn es eher mit einer gewöhnlichen Erkältung zu vergleichen ist, dann werde ich sicher kein Bedürfnis mehr verspüren, eine Maske zu tragen. Aber das ist derzeit sicher nicht der Fall.“ 

Es frustriert Safiah und viele andere, mit denen wir entlang der Mauer sprachen, dass die Beschränkungen aufgehoben wurden und viele Menschen so schnell zu ihrem normalen Leben zurückkehren, als wenn nichts geschehen wäre.  

„Wir alle haben in den letzten paar Jahren so viel verloren. Ob man Familienangehörige, Großeltern oder einfach das eigene Sozialleben verloren hat – wir alle trauern; und ich glaube, wir täten gut daran, mit einem Sinn für Introspektion über das Verlorene vorwärtszugehen, anstatt uns ohne jeglichen Sinn für das Erlebte in die Zukunft aufzumachen“, erklärt Safiah.  

„Wenn Menschen sagen ,Jetzt können wir zur Normalität zurückkehren‘, dann will ich schreien ,Nein, können wir nicht!‘“, erzählt Lobby voller Leidenschaft. „Vor einigen Jahrhunderten gab es in London das Große Feuer, durch das der Großteil der [aus Holz gebauten] Innenstadt zerstört wurde. Nach dem Feuer haben die Menschen realisiert, dass sie nicht auf die gleiche Weise fortfahren konnten. Also haben sie beim Wiederaufbau Veränderungen vorgenommen und die Stadt zum Besseren wiederaufgebaut. Das Gleiche müssen wir jetzt auch tun. Wir müssen aus COVID-19 lernen und Lehren ziehen“, fügt er hinzu.  

Als wir gehen, erzählen uns Lobby und Safiah mehr über die Bedeutung der Nationalen Gedenkwand für Opfer von COVID-19 – sie dient nicht nur der Erinnerung an die verlorenen britischen Leben, sondern auch anderer Nationalitäten, die in der Stadt leben oder diese besuchen.  

„Die Gedenkstätte ist wirklich schön und so wichtig, weil sie direkt neben einem Krankenhaus des NHS [National Health Service] und gegenüber der [Houses of Parliament] eingerichtet wurde, wo viele der Entscheidungen getroffen werden“, erklärt Safiah. „Es ist ein wirklich beeindruckendes Monument für eine ganze Gemeinschaft trauernder Familien. Es gibt viele Arten, auf die wir meines Vaters gedenken und ihm Anerkennung zollen können, aber es ist schön, hierher kommen zu können und sein Herz an dieser Wand zu sehen und diese geteilte Erinnerung zu haben.“ 

Und für die COVID-19-Zweifler hat Lobby folgende Botschaft: „Die Mauer ist eine greifbare Erinnerung, dass dies kein Hirngespinst war. Niemand von uns hat sich ausgesucht, wie unsere Angehörigen gestorben sind. Und niemand hat einen Nutzen aus dem, was passiert ist.“ 

Blick nach vorne nach 2 Millionen Todesfällen

Die bislang im Rahmen der Reaktion auf die Pandemie erzielten Fortschritte zeigen, dass die Europäische Region der WHO die akute Phase der Pandemie in diesem Jahr hinter sich lassen kann, doch um dies zu erreichen, bedarf es folgender Maßnahmen:

  • des Schutzes von Menschen mit besonderem Risiko für einen schweren, lebensbedrohlichen Krankheitsverlauf durch Fortsetzung von Infektionsschutz- und Impfmaßnahmen, durch Früherkennung und eine hohe Versorgungsqualität;
  • der Schaffung leistungsfähigerer integrierter Surveillance-Systeme, die eine bessere Beobachtung und Verfolgung des Virus ermöglichen, damit wir seine Ausbreitung schneller und genauer mitverfolgen können, und die genomische Veränderungen aufdecken, die signifikante Auswirkungen auf seine Eigenschaften haben können;
  • der Gewährleistung, dass die Reaktionskapazitäten der Gesundheitssysteme agil und bei Auftauchen einer neuen besorgniserregenden Variante – oder eines neuen Virus mit Pandemiepotenzial – handlungsfähig bleiben;
  • der Bekämpfung der langfristigen Folgen der Pandemie – einschließlich der drohenden Aussicht auf Millionen Menschen mit einer Post-COVID-19-Erkrankung oder ,Long Covid‘ – zusammen mit dem Rückstau von Gesundheitsschutzinterventionen, die während der Krise verschoben werden mussten, etwa Krebsvorsorgeuntersuchungen.